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Registrierungschaos

Christoph Hasselbach12. Januar 2016

Der Angreifer von Paris war allein in Deutschland unter vier verschiedenen Identitäten gemeldet. In mehreren europäischen Ländern hatte er Asyl beantragt. Keinem fiel das zunächst auf. Wie kann das sein?

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Registrierung von Flüchtlingen im Zelt (Foto: Getty Images/S.Gallup)
Bild: Getty Images/S.Gallup

So stellen sich die Behörden die Sache vor: "Ein Ausländer, der in Deutschland Schutz vor Verfolgung sucht, muss sich als Asylsuchender melden. Hierzu muss er sich zunächst persönlich an eine Erstaufnahmeeinrichtung wenden. Im nächsten Schritt kann er dann einen Asylantrag stellen." So heißt es beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, BAMF. Das ist allerdings reine Theorie. Im Herbst kamen in Spitzenzeiten täglich mehr als 10.000 Menschen weitgehend unkontrolliert über die Grenze, auch heute sind es jeden Tag mehrere Tausend. Die Bundespolizei konnte unter diesen Umständen, so Jörg Radek, der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), oft nur 10 bis 20 Prozent der unerlaubten Einreisen registrieren, von den Übertritten über die grüne Grenze gar nicht zu reden.

Viele Flüchtlinge tauchen nach dem Grenzübertritt erst einmal ab, ziehen in die Stadt ihrer Wahl und melden sich dort später bei einer Ausländerbehörde. Dass sie sich gar nicht melden, kommt dagegen wohl seltener vor. Denn ohne Registrierung gibt es weder Sachleistungen noch Taschengeld, und auch ein Asylverfahren kann dann natürlich nicht beginnen, von dem sich die Flüchtlinge ja ein Aufenthaltsrecht in Deutschland erhoffen.

Bis zur Antragstellung allerdings, so Mehmet Ata, Pressesprecher des BAMF gegenüber DW, "kann eine Mehrfachregistrierung nicht ausgeschlossen werden". GdP-Vize Radek bemängelt, die drei möglichen Behörden, mit denen ein Asylbewerber normalerweise nach der Einreise in Kontakt tritt - Bundespolizei, Landespolizei oder Ausländerbehörde - tauschten ihre Personaldateien nur mangelhaft aus. Ein "Grundproblem in Deutschland" sei zusätzlich, dass die "unerlaubte Einreise" in die Zuständigkeit der Bundespolizei, "unerlaubter Aufenthalt" dagegen in den Bereich der Landespolizei falle. "Es gibt aber keine Zentralstelle, die das miteinander abgleicht."

Polizeifoto des Attentäters in Paris (Foto: Polizei NRW)
Der erschossene Attentäter von Paris hatte in mehreren europäischen Ländern unter mindestens sieben Identitäten gelebt.Bild: Polizei NRW

Pro Asyl: "Ein Rätsel"

Meldet sich aber ein Asylsuchender bei einer Erstaufnahmestelle, werden laut BAMF "die Personaldaten verglichen mit Asylbewerbern, die bereits beim Bundesamt erfasst sind, sowie mit dem Ausländerzentralregister". Das Bundeskriminalamt werte außerdem die Fingerabdrücke aus. Zudem würden diese mit europaweiten Daten verglichen. "So kann das BAMF erkennen, wenn eine Person mehrfach Asylanträge in Deutschland oder innerhalb der EU gestellt hat", so BAMF-Sprecher Ata gegenüber der Deutschen Welle.

Doch weder innerhalb Deutschlands noch innereuropäisch scheint der Datenabgleich zu funktionieren, wie der Fall des Pariser Attentäters zeigt. Karl Kopp, Europareferent der Organisation Pro Asyl, zeigt sich gegenüber der DW über den Fall "überrascht und irritiert". "Es ist ein Rätsel, wie das sein kann", meint Karl Kopp zu den Mehrfachanträgen in Europa. Andererseits, räumt er ein, "gab es letztes Jahr sehr chaotische Zeiten". Radek weist auch darauf hin, dass es zwar einen Austauch über Asylanträge gibt. Aber "auf der europäischen Ebene gibt es keinen Austausch über illegale Migration." Wenn die deutsche Bundespolizei die unerlaubte Einreise eines Flüchtlings feststelle, könne sie nicht sagen, "ob er an der griechisch-türkischen Grenze auch schon eingereist ist". "So ein Abgleich findet derzeit nicht statt."

Deutsch-Dänischer Grenzübergang (Foto: Reuters/Scanpix Denmark/P. P. Skov)
Dänische Kontrolle an der deutschen Grenze: Wissen, wo sich die Abgewiesenen aufhaltenBild: Reuters/Scanpix Denmark/P. P. Skov

Asylverfahren trotz Haftstrafe

Der Attentäter von Paris hat so nicht nur in verschiedenen europäischen Ländern Asylanträge gestellt und die Behörden mit insgesamt sieben Identitäten hinters Licht geführt, er hat sich auch strafbar gemacht. In Deutschland wurde wegen verschiedener Gewalt- und Rauschgiftdelikte gegen ihn ermittelt, er hatte eine kurze Haftstrafe abgesessen. Sein Asylantrag lief jedoch weiter. Nach den Worten von Ata "können die Asylberechtigung und der Flüchtlingsschutz ausgeschlossen werden, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist." Außerdem müsse das Bundesamt zu der Einschätzung kommen, dass auch künftig eine Gefahr von der Person ausgehe.

Diese Schwere lag hier nicht vor. Auch die Tatsache, dass der Mann als IS-Sympathisant galt und IS-Fahnen angefertigt hatte, ließ die Polizei kalt. "Wenn er eines der Terrorcamps im Mittleren Osten besucht hätte", meint Radek, hätte ihn die Polizei als Gefährder einstufen können. So aber sei es nicht um schwere Kriminalität oder Terrorismus gegangen.

Wie unterschiedlich einzelne EU-Staaten mit ein und demselben Asylbewerber umgehen können, zeigt sich daran, dass der Mann 2011 auch in Rumänien einen Asylantrag gestellt hatte. Rumänien hat ihn nach eigenen Angaben als "gefährlich" eingestuft und mit Eskorte in sein Heimatland Tunesien abgeschoben.

Jörg Radek zieht als Lehre aus dem Fall: "Wir brauchen eine stärkere Kooperation auf der europäischen Ebene, aber auch innerdeutsch", vor allem mit Blick auf unerlaubte Einreise und Aufenthalt. Das sei aktuell vor allem dann wichtig, wenn Schweden und Dänemark in großem Stil Migranten ohne Reisedokumente an ihren Grenzen abwiesen. Diese Menschen würden dann in Deutschland hängenbleiben. "Und dann müssen wir wissen, wo sie sich aufhalten, um sie auch abschieben zu können." "Ich glaube", so Radek, "dass wir als deutsche Behörden problembewusster werden müssen." Die Bundesregierung hat das Problem erkannt. Von dem geplanten einheitlichen Flüchtlingsausweis und einem verbesserten Datenaustausch zwischen den betroffenen Behörden erhofft sie sich, dass solche Mehrfachregistrierungen nicht mehr vorkommen. Auch Gesetzesänderungen, die Abschiebungen bei geringeren Straftaten möglich machen würden als bisher, sind in der Diskussion.