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Reise zum Mittelpunkt Europas

Leona Frommelt27. Mai 2004

Irgendwo zwischen dem hessischen Cölbe und der Ukraine sucht Stanislaw Mucha nach der geografischen Mitte Europas. Der Film "Die Mitte" ist eine kurzweilige, tragikomische Odyssee. DW-WORLD sprach mit dem Regisseur.

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Wo bitte geht's zur Mitte?Bild: strandfilm2004
Szenenbild Die Mitte von Stanislaw Mucha
Die deutsche Mitte Europas bei CölbeBild: strandfilm2004

Bevor sich Stanislaw Mucha auf den Weg zum geografischen Zentrum Europas macht, muss er feststellen, dass es auf dem Kontinent von "Mitten" nur so wimmelt. So hat der Regisseur des Films "Die Mitte" plötzlich nicht nur ein Ziel, sondern gleich mehrere. Los geht die Reise in einem hessischen, mit Gartenzwergen übersäten Vorgarten, über Braunau in Österreich, Polen und Litauen bis in die Ukraine. Mucha und seine Crew besuchen zwölf Orte, die über eine Distanz von 2000 Kilometern den Anspruch erheben, die Mitte Europas zu sein. Unzählige Säulen, Steine und verrostete Schilder - laut Regisseur allesamt langweilige und frustrierende Denkmäler - reklamieren für sich, das einzig wahre Herzstück des Kontinents zu markieren.

Feldforscher mit der Kamera

Die ebenso amüsante wie erhellende Suche erzählt viel über Menschen und verschlafene Landstriche, über Heimatgefühle und die Identität eines neuen Europas. "Mir ging es weniger darum, die Mitte zu finden, als die Menschen zu treffen, die zur Mitte gemacht wurden. Ich verstehe meinen Film als Europaporträt. Er macht deutlich, dass es so etwas wie eine europäische Identität eigentlich gar nicht gibt - jedenfalls nicht so, wie in Amerika. Viele Europäer fühlen sich von Europa nämlich im Stich gelassen", erklärt der Filmemacher. So zum Beispiel im litauischen "Europos Centro" in der Nähe der Hauptstadt Vilnius. Hier trifft Mucha auf eine Familie, die Europa als "Scheusal" betrachtet und im Untergang der Sowjetunion ihr größtes Unglück sieht.

Wie schon in seinem Film "Absolut Warhola" tritt Mucha seinen Gegenübern als freundlicher Gast und rücksichtsvoller Zuhörer entgegen. Dabei zeigt er ein bemerkenswertes Gespür für die Aussagekraft alltäglicher Szenen. Sein dokumentarisches Konzept ist denkbar einfach: Vor Ort fragt Mucha den nächstbesten Passanten: "Ist hier vielleicht das geographische Zentrum Europas?" So kommt er über die lokale Attraktion ins meist anregende Gespräch. Der Zuschauer spürt die tiefe Sympathie, die Mucha für die Menschen hegt, die ihm ihre Sorgen und Nöte anvertrauen: "Je weiter östlich wir kamen, desto mehr haben die Menschen auf Europa geschimpft. Sie reagierten schon gereizt, wenn sie das Wort 'Europa' nur hörten. Es wird halt viel schön geredet, wo nichts Schönes ist. Viele Europäer leben nach wie vor in erbärmlichen Verhältnissen."

Glaubenssache

"Die Mitte" zeigt nicht nur Menschen, die ungemein stolz darauf sind, im "wahren" Zentrums des Kontinents zu leben, sondern auch solche, denen das ganze Gerede egal ist. Denn was hat man schon davon, an einem angeblich einzigartigen Ort sein Leben zu fristen, wenn es dort keine Arbeit gibt. "Und trotzdem verbinden die Menschen mit der Mitte Hoffnung. Sie verstehen zwar nicht, warum sie zur Mitte gemacht wurden, hoffen aber, dass ihnen die Mitte etwas nutzt, obwohl da definitiv nichts ist. Sie haben regelrecht Angst, ihre Mitte zu verlieren und verteidigen sie gegen neue Mitten, die von Satelliten berechnet werden", sagt Mucha. Das Ergebnis seines Films: Europa ist Vielfalt und die Mitte ist überall. Wo sie liegt, ist keine Frage der Topografie, sondern eine Sache des Glaubens.

Regisseur Stanislaw Mucha Die Mitte
Regisseur Stanislaw MuchaBild: strandfilm2004

Stanislaw Mucha, geboren 1970 in Polen, lebt als Regisseur in Polen und Deutschland. Für den Dokumentarfilm "Absolut Warhola" (2001) - über die Heimat von Andy Warhol in der Slowakei - erhielt Mucha 2003 den Grimme-Preis. Sein neuer Film "Die Mitte" startet am 27. Mai 2004 in den deutschen Kinos.