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Rekord-Krankenstand in Deutschland

Carla Bleiker 9. März 2014

2013 blieben Arbeitnehmer so lange krank im Bett wie seit 1999 nicht mehr. Schuld soll eine Erkältungswelle gewesen sein. Experten vermuten, dass mehr dahinter steckt als Husten und Heiserkeit.

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Mann steht vor einem Kopierer und hat den Kopf auf die Platte gelegt. (Foto: Techniker Krankenkasse)
Bild: Techniker Krankenkasse

Der jährliche Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse (TK) ist so etwas wie das Gesundheitszeugnis der Nation. Für 2013 lautet die Diagnose: Erkältungsgeschwächt. Im vergangenen Jahr ließen sich die deutschen Beschäftigten so lange krankschreiben wie seit 1999 nicht mehr: Im Durchschnitt für 14,7 Tage. Das ist ein halber Tag mehr als 2012. Bei der TK, Deutschlands größter gesetzlicher Krankenversicherung, führt man das auf eine Erkältungswelle zu Beginn des Jahres zurück.

"Man kann deutlich sehen, dass die Krankschreibungen aufgrund von Atemswegerkrankungen in der ersten Hälfte des Jahres 2013 erheblich gestiegen sind", erklärt Gabriele Baron von der Pressestelle der TK im DW-Interview. Im Vergleich zu 2012 stiegen die Fehlzeiten aufgrund von Erkältungen und ähnlichen Krankheiten um fast 25 Prozent an. Die Krankenkasse beruft sich bei diesen Zahlen auf die Daten von rund vier Millionen bei ihr versicherter Erwerbspersonen. Dazu zählen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und Empfänger von Arbeitslosengeld I. Die Versichten kommen, anders als der Name "Techniker Krankenkasse" vielleicht vermuten lässt, aus allen Berufsgruppen und allen Bevölkerungsschichten des Landes.

Hohe wirtschaftliche Verluste

Die mehr als 14 Fehltage pro Arbeitnehmer entsprechen einem Krankenstand von 4,02 Prozent. Baron entschlüsselt den Verwaltungsjargon so: An einem beliebigen Arbeitstag lagen im vergangenen Jahr rund vier Prozent aller deutschen Beschäftigten krank im Bett. Die hohen Fehlzeiten schlagen sich auch in der Bilanz der Unternehmen nieder. Für 2013 gibt es diesbezüglich zwar noch keine Zahlen. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hat aber für 2012 Schätzungen bekanntgegeben, nach denen die Fehltage die deutsche Wirtschaft 53 Milliarden Euro gekostet haben. Für 2013 wird diese Zahl noch höher sein.

Bei so viel Geld sollte es den Chefs wichtig sein, für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu sorgen. Es tut sich auch schon viel in den Unternehmen, doch Angebote und Initiativen setzen an der falschen Stelle an, sagt Thomas Rigotti, Professor für Arbeitspsychologie an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. "Es wird immer noch oft nur verhaltensbezogen gearbeitet", beklagt Rigotti. "Stressmanagement, Sportkurse, Ernährung - also alles, was der einzelne Mensch tun kann, steht im Fokus. Was noch immer zu wenig verfolgt wird, aber viel nachhaltiger wäre, ist, bei den Arbeitsbedingungen, dem Führungsklima und der Kommunikation im Unternehmen anzusetzen."

Portrait Thomas Rigotti. (Foto: Thomas Rigotti)
Rigotti: Mehr Kranke durch steigende Anforderungen im JobBild: Thomas Rigotti

Krankgeschrieben wegen Erschöpfung?

Denn eine Erkältungswelle könnte möglicherweise nur eine oberflächliche Erklärung für den hohen Krankenstand im vergangenen Jahr sein, sagt Rigotti. Die Tabuisierung von psychischen Erkrankungen sei zwar in den letzen Jahren zurückgegangen, aber noch immer würden sich viele nicht trauen, seelische Erschöpfung als Abwesenheitsgrund zu nennen, so der Arbeitspsychologe im DW-Interview. "Es kann gut sein, dass man Erkältungskrankheiten vorschiebt, weil man einfach nicht mehr kann", sagt Rigotti. "Und natürlich hängen solche Infektionskrankheiten auch mit Stress zusammen. Wenn ich viel unter Stress bin, ist mein Immunsystem geschwächt und damit ist das Risiko höher, krank zu werden."

Seelische Leiden wie Stress, Depressionen und Angstzustände sind das zweitgrößte Gesundheitsproblem von Arbeitnehmern in Europa - nach Erkrankungen des Skeletts und des Muskelapparats. Das gilt auch für Deutschland. Dies ist das Ergebnis einer Studie der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, für die bis 2007 Arbeitnehmer aus neun Ländern befragt wurden.

Frau niest in ein Taschentuch. (Foto: drubig-photo - Fotolia 2008)
Erkältung und Grippe haben 2013 viele Arbeitnehmer erwischtBild: Fotowerk - Fotolia.com

Die TK hat zwar bei ihren Versicherten bis 2012 einen starken Anstieg von Stress und Depressionen als Gründe für Krankschreibung gesehen. Doch 2013, im Jahr mit dem Rekordkrankenstand, blieben psychische Erkrankungen laut der Krankenkasse auf dem Stand des Vorjahres. Und die vielen Erkältungen, die die Anzahl von Krankschreibungen so in die Höhe trieben, haben eine einfache Erklärung, so Gabriele Baron: das Wetter, das 2013 Kapriolen schlug. "Es muss nicht generell immer kalt sein", sagt sie. "Wenn es besonders häufig und besonders große Temperatursprünge gibt, dann gibt es einen statistischen Zusammenhang, dass auch die Anzahl der Erkältungskrankheiten steigt." Wenn zum Stress am Arbeitsplatz dann auch noch ein verregneter Heimweg ohne Regenschirm kommt, hat man gegen die Erkältung eben keine Chance.