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Relativer Machtgewinn

Insa Wrede / kas31. Mai 2002

Die Regierungspartei hat die Parlamentswahl in Algerien für sich entschieden. Doch die Bevölkerung zeigte ihre Unzufriedenheit durch massive Wahlenthaltung.

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Präsident Abdelaziz BouteflikaBild: AP

Die Partei des algerischen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika gewann ihre 1989 verlorene Führungsposition wieder und wird künftig mit absoluter Mehrheit das Parlament dominieren. Bei der Parlamentswahl am Donnerstag (30. Mai 2002) kam die frühere sozialistische Nationale Befreiungsfront (FLN) auf 199 von 389 Sitzen, teilte Innenminister Yazid Zerhouni mit.

Allerdings war die Wahlbeteiligung von nur 46 Prozent die niedrigste seit der Unabhängigkeit Algeriens im Jahr 1962. Vor fünf Jahren hatten noch 63 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. In der Berber-Region Kabylei blieb die Bevölkerung aus Protest gegen die Regierung den Wahlurnen weitgehend fern. In dem von Armut, sozialer Not und Terror islamistischer Gruppen geprägten nordafrikanischen Land versprechen sich weite Teile der Bevölkerung von dem neu gewählten Parlament keine Verbesserung ihrer Lage.

Schon im Vorfeld der Wahlen häuften sich die Terroranschläge. Allein im Mai starben mehr als 100 Menschen durch Gewalttaten. Trotz der Zunahme der Terroranschläge interessieren sich die 18 Millionen Wahlberechtigten nur wenig für die Parlamentswahl - sie leiden unter den sozialen Missständen: der hohen Arbeitslosigkeit, der unzureichenden Wasserversorgung und akutem Wohnungsmangel.

Politiker ohne Rückhalt

Auf die Politiker vertraut das Volk nicht mehr: Die Wahlkampfveranstaltungen der Regierungsparteien, der gemäßigten Bewegung für die Gesellschaft des Friedens (MSP), der Nationalen Sammlungsbewegung (RND) und der Nationalen Befreiungsfront (FLN) sind schlecht besucht. Oppositionsparteien hatten zum Wahlboykott aufgerufen. Sie und Menschenrechtsorganisationen rechnen mit einer erneuten Manipulation der Wahl. Wahlbetrug wurde schon bei den letzten Wahlen 1999 und 1997 vermutet.

Ob das Parlament überhaupt etwas zu sagen hat, bezweifeln Kritiker. Sie meinen, die wahre Macht läge in der Hand des Präsidenten Abdelaziz Bouteflika, der das Parlament als sein Vollzugsorgan benutze.

Wurzeln der Gewalt

Das algerische Volk ist an diese Zustände gewöhnt. 1962 konnte Algerien sich nach acht Jahren Freiheitskampf vom Joch der französischen Kolonialherrschaft befreien, unter dem es 132 Jahre gelitten hat. Der Kampf wurde von der FLN geführt, die seitdem abwechselnd mit dem Militär die politischen Zügel in der Hand hält. Lange Zeit war sie die einzige Partei Algeriens.

Zwischen mehreren Parteien konnten die Algerier 1991 zum ersten Mal in ihrer Geschichte frei wählen. Im ersten Wahldurchgang bekam die Islamische Heilsfront (FIS) die Mehrheit der Stimmen. Damit war die kurze Episode freier Wahlen aber auch schon wieder beendet. Noch bevor der zweite Wahldurchgang stattfinden konnte, putschte das Militär, zwang den Präsidenten zum Rücktritt, setzte die Verfassung außer Kraft und verhängte den Ausnahmezustand. Als die FIS verboten wurde, gingen ihre Anhänger in den Untergrund, von wo aus sie bis heute Algerien mit Attentaten überziehen.

Aufruhr der Berber

Berber Demonstration in Algier
Demonstrationen der BerberBild: AP

Nicht nur die islamischen Untergrundkämpfer kämpfen gegen das herrschende Regime, auch von Seiten der Berber kommt es immer wieder zu Unruhen. Die Berber, die ein Drittel der algerischen Bevölkerung ausmachen, demonstrieren für die Anerkennung ihrer Kultur, vor allem der Berbersprache Tamazight, und gegen die katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Zustände im Land.

Zwar hat das Parlament im April Tamazight zur offiziellen Landessprache - neben der arabischen Sprache - erklärt, die sozialen Missstände lassen sich jedoch nicht so leicht beseitigen: In Algerien ist jeder Dritte arbeitslos. Besonders schlimm sieht es bei den Jugendlichen aus: Zwei Drittel haben keine Arbeit.