1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Rente mit 70 und Zuwanderung

28. September 2017

Boomende Konjunktur und gefüllte Kassen - die künftige Bundesregierung kann sich freuen. Wirtschaftsforscher warnen aber vor Übermut und halten Hausaufgaben bereit. Sabine Kinkartz berichtet aus Berlin.

https://p.dw.com/p/2ksrw
Zuverdienst Rentner in Deutschland
Bild: picture-alliance/dpa

Die guten Nachrichten zuerst: Der bereits länger anhaltende Konjunkturaufschwung in Deutschland soll bis mindestens 2019 anhalten. In ihrem aktuellen Herbstgutachten sagen fünf führende Wirtschaftsforschungsinstitute für dieses Jahr ein Konjunkturplus von 1,9 Prozent und für das kommende Jahr von 2,0 Prozent voraus. 2019 werde die Wirtschaft um 1,8 Prozent zulegen.

Dank der florierenden Wirtschaft würden die Steuereinnahmen weiter sprudeln und die ohnehin schon prall gefüllten Staatskassen weiter anwachsen lassen. In ihrem Gutachten halten die Wissenschaftler konkrete Zahlen bereit: Der Budgetüberschuss von Bund, Ländern und Gemeinden werde im laufenden Jahr auf absehbar 28 Milliarden Euro steigen. 2018 soll er auf 37 Milliarden und bis 2019 auf  44 Milliarden Euro anwachsen.

Was tun mit dem Geldsegen?

Wer auch immer in der neuen Regierung Bundesfinanzminister werden wird, kann sich also freuen. Und mit ihm die gesamte Ministerriege. Eröffnen mehr Einnahmen doch automatisch mehr Spielraum bei den Staatsausgaben.

Berlin Herbstgutachten für 2017 and 2018
In Berlin stellten die Wirtschaftsforscher ihr Gutachten vorBild: Reuters/A. Schmidt

Doch die Wirtschaftsforscher warnen vor exakt diesem Automatismus. Sie empfehlen der neuen Regierung stattdessen, weniger einzunehmen. Zum einen seien die Steuertarife in den Blick zu nehmen, aber vor allem die Bezieher von niedrigen Einkommen müssten entlastet werden. Wer wenig verdient, zahlt allerdings ohnehin kaum Steuern. Im Herbstgutachten werden daher Kürzungen bei den Sozialabgaben empfohlen.

Arbeitslosigkeit ist überversichert

Beispiel Arbeitslosenversicherung: Die Arbeitslosigkeit geht in Deutschland seit Jahren zurück und daran soll sich nichts ändern. In diesem Jahr liegt die Arbeitslosenquote bei 5,7 Prozent, 2019, so heißt es im Herbstgutachten, werde sie bei 5,2 Prozent liegen. Bis Anfang kommenden Jahres soll die Zahl der Arbeitslosen unter 2,5 Millionen sinken.

Trotzdem zahlen deutsche Arbeitnehmer unvermindert in die Arbeitslosenversicherung ein. Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft rechnet damit, dass die Rücklagen der Versicherung im kommenden Jahr bei 20 Milliarden Euro liegen werden. Sein Vorschlag: Den Beitragssatz um 0,3 Prozentpunkte zu senken. "Das würde die Versicherung voll funktionsfähig halten."

Länger im Beruf oder weniger Rente

Handlungsbedarf sehen die Forscher auch beim Thema Rente. Zwar ist Kanzlerin Angela Merkel anderer Meinung und kündigte im Wahlkampf an, in den kommenden vier Jahren solle alles beim Alten bleiben. Kooths hält das aber für falsch. "Wir können nicht alles lassen wie es ist. Das Leistungsversprechen der gesetzlichen Rentenversicherungen, die Beitragsobergrenzen, die verabschiedet worden sind, und das Renteneintrittsalter wird auch festgenagelt - das geht nicht." Schon mittelfristig werde sich die Kassenlage spürbar verschlechtern. "Was das für das Renteneintrittsalter bedeutet, ist ganz klar: Das ist eine Frage des Dreisatzes."

Wenn das Geld nicht reicht

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Eckpunkte des jetzigen Rentensystems spätestens 2030 Makulatur sind. Um einen Zusammenbruch zu vermeiden, müsse der Übergang zu neuen Regeln so schnell wie möglich, also auch schon von der künftigen Bundesregierung vorbereitet werden. Schließlich müsse es für die Bürger genügend Zeit geben, um sich anzupassen. Besser als starre Regeln seien flexible Möglichkeiten, aus dem Arbeitsleben auszuscheiden.

Mehr Entscheidungsfreiheit wagen

"Wir sind nicht dazu da, den Menschen vorzuschreiben, wann sie in Rente gehen sollen", sagt Kooths. Jeder müsse sich aber über die Konsequenzen im Klaren sein. Soll heißen: Wenn jemand nicht später in Rente gehen will, dann muss er künftig entweder im Verlauf seines Arbeitslebens mehr in die Kasse einzahlen, oder mit niedrigeren Rentenzahlungen zufrieden sein. "Wir plädieren dafür, dem Einzelnen zu überlassen, welche Entscheidung er treffen will", so der Wirtschaftsforscher.

Jobwunder
Immer mehr unbesetzte StellenBild: picture-alliance/dpa/S. Kahnert

Wenn die Deutschen länger arbeiten würden, hätte das durchaus Vorteile für die Konjunktur. Schon jetzt gibt es in einigen Bereichen des Arbeitsmarktes "Knappheiten" und "erste Zeichen einer Anspannung", wie es im Gutachten heißt. Die Zahl der offenen Stellen habe deutlich zugenommen und es dauere immer länger, bis eine gemeldete Stelle besetzt werden könne. "Die Bauwirtschaft operiert am Limit und in diesem Sektor steigen die Preise inzwischen recht kräftig", so Kooths. Auch in anderen Bereichen würden Unternehmen darüber klagen, dass ein Mangel an Arbeitskräften ihre Produktion beeinträchtige.

Zuwanderungsgesetz gefordert

Neben einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf zunächst 70 Jahre empfehlen die Forscher, die qualifizierte Zuwanderung zu vereinfachen. Vorgeschlagen wird ein "aktives Auswahlverfahren für Fachkräfte" insbesondere auch aus dem Nicht-EU-Ausland. Auf diese Weise könne man "möglichen Kandidaten signalisieren, dass sich Deutschland als Zielland arbeitsmarktorientierter Migration" verstehe.