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Resistent gegen die Realität

Daniel Scheschkewitz, Washington26. Januar 2004

Trotz vieler regierungskritischer Enthüllungen in Sachen Irak stehen George Bush und Richard Cheney nach wie vor fest zu ihrer damaligen Kriegsrhetorik. Udo Bauer über Fakten und Fiktion in Washington.

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Die Rede zur Lage der Nation von George Bush in dieser Woche wurde von den meisten Kommentatoren des Nachrichtensenders CNN als rhetorisches Meisterwerk gelobt. Das stimmt! Bushs Speech Writer sind Meister in der Kunst des schönen Redens. Und in der Kunst des Schönredens.

Beispiel eins: Bush sprach von einer großen internationalen Kriegskoalition und nannte als Beleg 17 Länder, u.a. Thailand, Bulgarien, Rumänien, Norwegen und El Salvador sowie 17 weitere Länder, die Truppen zugesagt hätten. Diese "Koalition der Vielen“ stellte er den Einsprüchen "Einiger Weniger“ gegenüber. Nach dem Motto: Was stört es die Eiche, wenn sich die Sau an ihr kratzt! In Wirklichkeit sind etwa 90 Prozent der Weltbürger gegen diesen Krieg gewesen und sind es noch.

Schon einen Schritt weiter

Etwas weniger dreist ging Bush mit der Wahrheit um, als es in derselben Rede um den Verbleib der irakischen Massenvernichtungswaffen ging: "Wir wissen von dutzenden Aktivitäten, die mit Massenvernichtungswaffen-Programmen in Verbindung stehen und von vielen Anlagen, die Irak vor den Vereinten Nationen versteckt hat.“

Dass dies etwas ganz anderes ist als das, was er ein Jahr zuvor in der "State of the Union“-Rede" behauptet hatte, blieb unerwähnt. Im Vorfeld seines Irakkrieges hatte er im vergangenen Jahr von "Beweisen für Massenvernichtungswaffen“ und von britischen Geheimdiensterkenntnissen gesprochen, die auf ein "nukleares Programm hindeuten“. Bushs Redenschreiber hatten richtig kalkuliert: 1) Die Details versenden sich
sowieso. 2) Bush kann in Sachen Irak von einer Zustimmungsrate von 56 Prozent zehren. Und 3) Der Präsident schaut sowieso lieber nach vorne als zurück, sprich: er ist schon einen Schritt weiter als diejenigen, die sich gerade überlegen, ob sie sich jetzt über diese Ungereimtheit aufregen sollen oder nicht.

"Kreatives Weglassen“

Dass die Bushregierung innerhalb der letzten zwölf Monate häufig absolut einseitig mit Geheimdienstinformationen umgegangen ist, das kann mittlerweile als sicher gelten, das ist sogar in konservativen Denkfabriken unumstritten. Nur nennt man das "Nichterwähnen von entlastendem Material" und das gleichzeitige "als Tatsache Darstellen von belastenden Vermutungen" hierzulande nicht "Lügen“, sondern "kreatives Weglassen“ (Kenneth Pollack, Brookings Institution). Lediglich das renommierte Institut "Carnegie Endowment for International Peace’ nannte denselben Vorgang etwas treffender "systematisch falsche Darstellung“.

Jede andere Regierung wäre bei all den Enthüllungen der letzten Wochen längst ins Wanken geraten. Nicht so die Überlebensprofis aus der Bush-Liga. Die gehen - im Gegenteil - mit noch mehr Dreistigkeit in die Offensive. So wurde Vizepräsident Cheney in einem Interview mit National Public Radio (am 22. Januar 2004) mit dem Vorwurf von Ex-Finanzminister O’Neill konfrontiert, ein Krieg gegen Irak sei schon weit vor den Anschlägen vom 11. September 2001 geplant worden. Cheney behauptete - ganz jovialer Staatsmann - die Idee (Regimewechsel im Irak) "habe man von der Clinton-Regierung geerbt, damit übereingestimmt und "einfach konsequent fortgeführt“.

Gut imprägniert

Da war es wieder, dieses "kreative Weglassen". Es stimmt zwar, dass die Clinton-Regierung einen Regimewechsel im Irak als politisches Ziel hatte; nur Bill Clinton hatte dabei ganz offensichtlich andere Mittel im Auge als einen Präventivkrieg gegen ein Regime, "dessen Waffenprogramme keine unmittelbare Bedrohung darstellen“ (Carnegie Endowment).

Und so perlen all die kleinen und großen Enthüllungen einfach ab von George und Dick. Sie stehen im strömenden Regen und freuen sich, dass ihre Mäntel so gut imprägniert sind. So kommen sie locker durch schweres Wetter und wissen Sie was: Am Ende gewinnen beide noch die Wahl im November. Völlig trocken!