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Weniger ist bessre

Aya Bach22. März 2012

"Nachhaltigkeit" klingt ungefähr so sexy wie "Steuererklärung". Kann aber Spaß machen. Wie, das zeigt die Website futurzwei.org mit Geschichten von Menschen, die Mut und Phantasie haben. Der Ansteckungs-Faktor ist hoch.

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Blauer Himmel grüne Wiese, junger Mann steht da und reckt die Hände in die Luft. © Iakov Kalinin #21640579
Bild: Iakov Kalinin/Fotolia

Ein Unternehmer, der seinen Mitarbeitern mehr Geld ausbezahlt, als er selber für sich behält? Der Mann muss wahnsinnig sein oder sich für Jesus halten, könnte man denken. Die Geschichte passt einfach nicht in die Koordinaten der Welt. Aber wer sie auf der Webseite futurzwei.org liest, erfährt noch mehr über den österreichischen Schuhfabrikanten: zum Beispiel, dass er seine Produktion soweit irgend möglich mit Materialien aus der Region bestreitet. Und dass er ausgerechnet seit der Pleite von Lehman Brothers, in Zeiten der Finanzkrise, seinen Umsatz um 100 Prozent gesteigert hat. Purer Zufall? Oder ein Modell, wie es auch in vielen anderen Fällen gehen könnte?

Geld versus Lebensqualität

Geschichten wie diese sammelt die neu gegründete Stiftung futurzwei und stellt sie auf ihrer Webseite ins Netz. "Das Beispiel des Schuhfabrikanten ist wahnsinnig gut, weil es so einfach ist und die Person so interessant", sagt Stiftungsdirektor Harald Welzer, der sich als Sozialpsychologe über die Branche hinaus einen Namen gemacht hat: "Wenn ich mein Unternehmen um den Faktor Geld zentriere, ist jede einzelne Entscheidung davon bestimmt, dass ich mehr Geld mache. Wenn ich mein Unternehmen um den Faktor Lebensqualität zentriere, ist jede einzelne Entscheidung davon abhängig, wie ich mehr Lebensqualität herstelle - für die Mitarbeiter, für das Umfeld. Und es entsteht etwas völlig Anderes."

Startseite der Stiftung "futurzwei": http://futurzwei.org/
Bloß keine Konsumhaltung: Wer die Seite besucht, muss versprechen, eine Geschichte weiterzugebenBild: futurzwei.org

Stromrebellen und Designer

Anfang Februar ist die Seite gestartet, die Sammlung soll stetig wachsen. Geschichten von ökologisch sinnvollen Projekten und von Zivilcourage sind dabei, so wie die von den "Stromrebellen" im süddeutschen Schönau: Bürger, die nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl 1986 - mit Unterstützung aus ganz Deutschland - die örtliche Stromversorgung selbst übernommen haben und inzwischen erfolgreich ein Ökostrom-Unternehmen betreiben. Oder die Geschichte der beiden Berliner Designerinnen, die aus alten Klamotten neue Haute Couture schneidern –  Ressourcen sparend, ohne umweltschädliche Transportwege. Und sogar das Geld, das der Kunde zahlt, landet gleich bei denen, die die Kleidung genäht haben. Mit ihren extravaganten Unikaten haben es die beiden Designerinnen bis in die Zeitschrift "Vogue" geschafft.

Vom guten Umgang mit der Welt

Eine vielfältige Landschaft überraschender Ideen und Taten, die nicht nur Gutes bewirken, sondern auch noch Spaß machen. Sie tut sich auf, sobald man auf der Webseite eines der vielen virtuellen Papiere anklickt, die zusammengeknüllt auf dem Bildschirm herumliegen. Schade nur, dass es für all das Gute, das häufig von der großen Öffentlichkeit unbemerkt passiert, keinen besseren Begriff gibt als den der Nachhaltigkeit. "Das ist der 'most unsexy term', den man sich vorstellen kann. Kein Mensch weiß, was das sein soll. Er steht dem, was man will, total im Wege. Man sieht immer jemand mit Ärmelschonern vor sich, wenn man den Begriff hört!" Lieber spricht Welzer darum von Achtsamkeit - oder vom "guten Umgang mit der Welt".

Porträt Harald Welzer Copyright: Thomas Langreder
Harald WelzerBild: Thomas Langreder

Der aber ist gerade Bewohnern reicher Länder wie Deutschland, Österreich und der Schweiz, aus denen die futurzwei-Geschichten kommen, nicht in die Wiege gelegt. Der Alltag ist so bestimmt von der Macht des Faktischen, dass es schwer ist, sich dem aus eigener Kraft entgegenzustemmen. Der Strom kommt rund um die Uhr aus der Steckdose und versorgt die Tiefkühltruhe mit Bio-Lamm aus Neuseeland. Die Erdbeeren aus Südafrika schmecken auch im Januar. Und beim Tauchen auf den Seychellen, beim Hai-Seminar auf Guadeloupe wird man eins mit der Natur. Jeder weiß, dass er damit der Welt schadet. Doch Verhalten zu ändern, ist schwierig.

Wissen dramatisch überschätzt

"Als Sozialpsychologe würde ich sagen, die Rolle des Wissens und der Weitergabe von Information wird radikal überschätzt", sagt Harald Welzer. "Man kann großartig viel über die Klimaerwärmung wissen. Dieses Wissen ist aber nicht verkoppelt damit, dass es wegen schlechten öffentlichen Nahverkehrs praktisch sein kann, seine Kinder in den SUV zu laden, um sie morgens im Waldorf-Kindergarten abzuladen, damit sie dort einen sorgsamen Umgang mit der Welt lernen". Auch und gerade ökologisch informierte Gutverdiener verhalten sich oft völlig widersprüchlich zu ihrem Wissen. Doch weitaus mehr als jede Information, weiß Welzer, beeinflussen Vorbilder und Geschichten unser Handeln. Daran aber fehlt es: "Es gibt keine Geschichte, die auch in einem emotionalen Sinn erzählt, weshalb es besser sein könnte, anders zu leben, als man es gegenwärtig tut."

Kein Eiapopeia

Deshalb ist die Geschichtensammlung auch das Herzstück der Webseite. Und die hat in den wenigen Wochen der Online-Präsenz schon überraschend viel Zulauf bekommen. Nicht nur von Nutzern der Seite, sondern auch von Menschen, die neue Geschichten einreichen, sei es über eigene Projekte und Lebenswege oder über andere Personen, von denen sie gehört haben. Journalisten haben angeboten, Geschichten beizutragen, und auch Geldspenden sind schon bei der Stiftung eingegangen. Offenbar sind die Geschichten vom guten Leben ansteckend – und das, obwohl sie einem alten journalistischen Grundsatz zuwiderlaufen, demzufolge eine gute Nachricht keine Nachricht sein soll. "Man muss höllisch aufpassen, dass man keine öden Eiapopeia-Geschichten erzählt. Zumal das Böse immer interessanter ist als das Gute", sagt Welzer. "Andererseits erzählen wir von Menschen, die etwas Unerwartbares machen. Das ist der Witz! Jeder könnte das tun, was die Leute machen. Nur die meisten tun's einfach nicht."

Flugzeug vor zwei Kondensstreifen am Himmel, die sich kreuzen. Foto: Frank Rumpenhorst dpa/lhe +++(c) dpa - Bildfunk+++
Mobilität: Fetisch und UmweltfrevelBild: picture-alliance/dpa

Per Schiff in die USA

Auch er selber tut nicht alles, was "man" tun könnte. "Aber das Autofahren habe ich mir schon abgewöhnt, und dabei ist etwas Erstaunliches passiert: Insgesamt geht es einem viel besser. Ein totaler Gewinn an Lebensqualität." Jetzt versucht er sich auch das Fliegen abzugewöhnen. Extrem schwer, denn "Mobilität hat Suchtcharakter", sagt er. Und Pflichtcharakter für einen international gefragten Wissenschaftler, der von einem Termin zum nächsten gebeten wird. Demnächst aber will Welzer mal austesten, wie es ist, per Schiff in die USA zu fahren.

"Wow, das geht ja!"

Als Wissenschaftler hat er sich in den letzten Jahren viel mit dem Thema Klimawandel auseinandergesetzt und dazu publiziert, unter anderem in seinem Buch "Klimakriege" von 2009. Auch die neue Webseite soll letzten Endes Teil eines längerfristigen Forschungsprojekts sein, das untersucht, welche Alternativen zum markt- und konsumkonformen Verhalten möglich sind - und welche eher nicht funktionieren. Die Bausteine, die im Netz entstehen, könnten modellhaft werden. Harald Welzer möchte sie allen zur Verfügung stellen, "damit Leute die Möglichkeit haben zu sagen, wow, das geht ja, dann kann ich das ja auch machen!" Und dann wird er doch noch einmal grundsätzlich: "Der Kategorische Imperativ in Zeiten von Klimawandel und Ressourcenübernutzung heißt, sich nicht mehr schuldig zu machen als unbedingt notwendig!"

Wenn das dann auch noch Spaß macht, umso besser.