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Retter der Wirtschaft

Martin Fritz21. Juli 2013

Die Japaner wählen heute ein neues Oberhaus. Umfragen zufolge kann die Koalition von Regierungschef Shinzo Abe mit einem Sieg rechnen. Vor allem die städtische Bevölkerung steht hinter seinem Reformprogramm.

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Japans Premier Shinzo Abe neben der japanischen Flagge. (Foto: REUTERS/Yuya Shino)
Bild: Reuters

Der 58-Jährige Regierungschef hatte die Parlamentswahl im Dezember mit dem Versprechen gewonnen, Japan zu erneuern. Dafür will er die anderthalb Jahrzehnte währende Deflation besiegen und die Wirtschaft deregulieren, um das Wachstum dauerhaft anzukurbeln und die Staatsverschuldung einzudämmen. Außerdem strebt der 58-Jährige eine Überarbeitung der pazifistischen Nachkriegsverfassung an. Japan soll eine "normale" Macht werden, deren Streitkräfte an bewaffneten Konflikten teilnehmen können.

Zumindest die Wähler in der Hauptstadt Tokio scheinen hinter seiner ökonomischen Strategie der "Abenomics" zu stehen. Diese besteht aus einer expansiven Geldpolitik, höheren Staatsausgaben und liberalen Strukturreformen. Bei der Kommunalwahl im Juni konnten sich die Liberaldemokratische Partei (LDP), die von Abe geführt wird, sowie ihr Verbündeter, die buddhistische Neue Komeito, überraschend deutlich durchsetzen. Alle 59 LDP-Kandidaten gewannen ihr Mandat, die oppositionelle Demokratische Partei schrumpfte von 43 auf 15 Sitzen.

Die Wahl fest im Blick

Ein Sieg bei der heutigen Wahl (21.07.2013) zum Oberhaus - zur Abstimmung steht die Hälfte der Sitze - ist von entscheidender Bedeutung für Abe. Nur wenn er die Mehrheit im Oberhaus erobert, kann der Regierungschef seinen Reformkurs fortsetzen. Er hätte dann drei Jahre lang freie Hand, um seine Modernisierungsideen zu verwirklichen. Aus Angst vor Wählerverlusten hat Abe daher die offenbar geplanten Steuersenkungen für Unternehmen sowie eine Deregulierung des starren Arbeitsmarktes nur sehr vorsichtig thematisiert.

Japans Wirtschaft zieht an

Das Gebäude des japanischen Parlaments im Regierungsviertel Chiyoda-ku in Tokyo.
Am 21. Juli entscheidet Japan, wer im Oberhaus das Sagen hat.Bild: picture-alliance/ZB

"Wir haben eine gute Bewertung für unsere Regierungsarbeit der letzten sechs Monate bekommen", erklärte Abe, der sich selbst stark in den Wahlkampf um das Tokioter Parlament eingeschaltet hatte. Tatsächlich haben sich die ökonomischen Rahmenbedingungen stark verbessert. Zwischen Januar und März wuchs Japans Volkswirtschaft um ein Prozent zum Vorquartal und damit so kräftig wie keine andere G-7-Nation. Das Verbrauchervertrauen und die Aktienkurse stiegen auf ein Fünf-Jahres-Hoch. Die Umfragewerte für Abe waren vor der Wahl unverändert gut.

Zweifel an Strukturreformen

Viele Japan-Beobachter sind sich allerdings nicht sicher, ob Abe nach einem Wahlsieg tatsächlich radikale Wirtschaftsreformen verfolgen wird. Möglicherweise kehrt er zu seinem politischem Lieblingsthema einer neuen Nachkriegsverfassung zurück. Der Grund für die Skepsis im Ausland liegt darin, dass vor Shinzo Abe schon viele andere japanische Regierungschefs hochfliegende Versprechen gemacht haben, die Wirtschaft durch das Drehen an ein paar Stellschrauben wieder flott zu machen.

Auch Abe fiel kürzlich in diese Denkgewohnheit seiner Vorgänger zurück, als er unrealistisch erscheinende Wachstumsziele verkündete, darunter eine Einkommenssteigerung um 40 Prozent in zehn Jahren und die Verkürzung der Wartelisten von Kindertagesstätten auf Null. Damit die Wirtschaftsleistung wie von der Regierung beabsichtigt doppelt so schnell zunimmt wie bisher, braucht es mehr als die ebenfalls angekündigten Sonderwirtschaftszonen und eine Frauenquote von 30 Prozent unter Managern. Auch seine Vision von einer "Explosion des Privatsektors" konkretisierte Abe nicht.

Gebrochene Tabus

Jedoch hat der Premier in den vergangenen Monaten bewiesen, dass er heilige Kühe schlachten kann und will. Zuerst setzte er einen ausgewiesenen Kritiker der Bank von Japan als deren neuen Gouverneur durch. Dann setzte er sich gegen die Bauernschaft, eine wichtige Wählergruppe seiner Partei, mit dem Beitritt zu den Verhandlungen über den Pazifik-Handelsvertrag (die Trans Pacific Partnership) durch. Die Bauern fürchten die Konkurrenz, die mit dem Pazifik-Handelsvertrag nach Japan kommen könnte.

Auf dem G8-Gipfel in Enniskillen treten die Regierungschefs zum Gruppenfoto zusammen (Kyodo).
Japan wählt im Gegensatz zu den anderen G8-Ländern einen wirtschaftspolitischen Sonderweg.Bild: picture alliance / Kyodo

Die mächtige Apothekerlobby hat Abes Entschlossenheit ebenfalls zu spüren bekommen. Trotz ihrer Blockade wird der Online-Handel von nicht rezeptpflichtigen Medikamenten nach jahrelangem Streit erlaubt. Auch die Liberalisierung des Energiesektors spricht für die Ernsthaftigkeit von Abes Absichten. Die regionalen Monopole der Stromversorger sollen fallen, Kraftwerke und Netze werden getrennt. Im Nebeneffekt dürfte dies die Bedeutung der Atomkraft für Japan schwächen.

Uneinigkeit unter Ökonomen

Die Zunft der Ökonomen streitet sich allerdings über die Erfolgschancen von Abenomics. Der ewige Japan-Optimist Jesper Koll, Aktienstratege von JP Morgan in Tokio, sagt für 2014 eine Arbeitslosenquote von 3 Prozent und eine ebenso hohe Inflationsrate voraus. Japan befinde sich demografisch an einem "effektiven Punkt", da die hochbezahlte Baby-Boomer-Generation aus dem Erwerbsleben ausscheidet. Zugleich müssten die Unternehmen den jüngeren Japanern aufgrund eines akuten Arbeitskräftemangels höhere Löhne zahlen.

Dagegen blickt Yuichi Kodama, Chefvolkswirt der Lebensversicherung Meiji Yasuda, sorgenvoll auf die ausufernde Staatsverschuldung. Ohne Einschnitte in den Wohlfahrtsstaat für die Rentner und weitere Steuererhöhungen lasse sich die Schuldenspirale nicht stoppen. Doch Japans Politiker würden diesen Weg niemals freiwillig, sondern nur unter dem Druck der Kapitalmärkte gehen. Tatsächlich lebt die Nation nur auf Pump. Knapp die Hälfte des Staatshaushalts wird mit neuen Anleihen finanziert.