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Retter – geboren auf der Durchreise

25. Dezember 2015

Weihnachten hat zwei Seiten, Schatten und Licht, Leben und Bedrohung des Lebens von Anfang an. Aber das Licht, so die Botschaft von Weihnachten, siegt über die Finsternis, sagt Christine Hober von der katholischen Kirche

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Kindermord von Bethlehem von Peter-Paul Rubens Alte Pinakothek
Kindermord von Bethlehem von Peter-Paul RubensBild: gemeinfrei

Wie jedes Jahr am Heiligen Abend sind wir eine Stunde vor Beginn der Christmette in der Kirche. Eine gute Gelegenheit, zur Ruhe zu kommen. — Der Innenraum ist nur spärlich erleuchtet. Die Orgel spielt leise. Trotz der Dunkelheit fühle ich mich geborgen, alles ist vertraut, fühlt sich nach Heimat an. Heimat bedeutet Sicherheit und Verlässlichkeit, ist ein Ort tieferen Vertrauens. An diesem Heiligen Abend empfinde ich das als ein kostbares Geschenk. Dass wir so Weihnachten feiern können, ist nicht selbstverständlich. Andere Menschen sind in dieser Nacht unterwegs – auf der Flucht vor Krieg und Terror, in der Hoffnung auf ein anderes Leben. Menschen in allen denkbaren Lebenssituationen, darunter auch Frauen, die ein Kind erwarten und für eine bessere Zukunft ins Ungewisse aufgebrochen sind – weit weg von der eigenen Heimat.

Die Gottesgeburt und die Realitäten des Lebens
Vielleicht hören wir die vertraute Weihnachtsgeschichte diesmal mit anderen Ohren, diese Geschichte von der Schwangeren, die keine Herberge fand und ihr Kind im Stall gebären musste. Die Geschichte von der jungen Familie, die gleich nach der Geburt zur Flucht ins Ausland gezwungen wurde, weil ein Gewaltherrscher dem Neugeborenen nach dem Leben trachtete. Der Retter der Welt - sozusagen auf der Durchreise geboren. Seine Eltern mit den harten Realitäten des Lebens konfrontiert. In die Freude über die Geburt des Erstgeborenen mischt sich die Angst, dass er ihnen bald wieder genommen werden könnte.

Tatsächlich gehört die Bedrohung von Anfang an mit ins Leben Jesu hinein. Erinnern wir uns, dass im Raum Bethlehem alle neugeborenen Kinder getötet werden sollen, um sicher zu gehen, dass der neugeborene Jesus nicht überlebt. Das ist die Kehrseite weihnachtlicher Poesie. Denn Weihnachten ist mehr als das süße Kind in der Krippe, mehr als die Versprechen der Werbung auf Hochglanzpapier. Mit der Bedrohung des Kindes in der Krippe wird das Wunder der Heiligen Nacht geerdet. Denn Weihnachten ist eine Medaille mit zwei Seiten. Geburt und Tod, Licht und Schatten müssen zusammengedacht werden. Genau darauf verweist auch der Theologe und Psychologe Hans Gerhard Behringer: Wenn wir an Weihnachten die Geburt des Lebens feiern „und wir dadurch Mut zum Leben bekommen sollen und dürfen, ist es notwendig, von Anfang an die Gesamtheit des Lebens mit zu sehen“ – mit seinen hellen und auch dunklen Seiten, so seine Überzeugung. Die dunklen Seiten des Lebens lassen sich nicht ungestraft ausblenden, deshalb gehört zu Weihnachten auch der Kindermord von Bethlehem.

Licht leuchtet in der Finsternis
Im Johannesevangelium heißt es: „Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst.“ Jesus, das Licht, wird in unsere Dunkelheit, in unser Leben voller Abgründe hineingeboren. Auch Jesus wird erfahren, was es heißt, mit den Realitäten des Lebens konfrontiert zu werden. Er, der später „mutig den Glaubensanschauungen und Moralvorstellungen seiner Zeit entgegentritt“ und „die besseren Teile der Gesellschaft vor den Kopf zu stoßen wagt“, um „schließlich seine unkonventionellen Einstellungen mit dem Leben“ zu bezahlen. Auch Jesus erfährt die gesamte Bandbreite menschlichen Lebens und, dass Licht und Schatten zusammengehören. Zugleich lebt er den Glauben, dass das Licht stärker ist als der Schatten, dass die Liebe Gottes alle Dunkelheit überstrahlt und irgendwann besiegen wird. Aber wir, oft allzu sehr umgeben von den Schatten unserer um uns selbst kreisenden Gedanken, sind oft zu blind, um ihn, das Licht und damit unsere Hoffnung zu erkennen.

Strahlkraft der Geburt Jesu
Heute erhellt uns der Schein der mit Kerzen und Lichterglanz geschmückten Weihnachtsbäume – Licht in einer dunklen Jahreszeit, die eigentlich an Vergänglichkeit und Tod erinnert. Licht, das zugleich die Verheißung in sich trägt, dass es jenseits der Dunkelheit wieder hell wird. Licht, das die Hoffnung am Leben hält. Die Feier von Weihnachten erinnert an die Strahlkraft der Geburt Jesu weit über den Kindermord von Bethlehem hinaus. „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt“, so formuliert es der Evangelist Johannes. Feiern wir die Ankunft des wahren Lichtes in der uns umgebenden Dunkelheit. Und vergessen wir dabei nicht die Brüchigkeit unseres Daseins – erst dann wird unsere weihnachtliche Freude vollkommen.

Die Zitate beziehen sich auf: Hans Gerhard Behringer: Die Heilkraft der Feste. Der Jahreskreis als Lebenshilfe, Kösel-Verlag München, Ausgabe 1997, Seite 53; 2 Zeilen, Seite 54, 6 Zeilen

Christine Hober
Dr. theol. Christine Hober, BonnBild: Privat


Zur Autorin: Christine Hober, Dr. theol., arbeitet als Verlagslektorin bei Butzon & Bercker. Sie lebt in Bonn, ist verheiratet und hat zwei Kinder.


Kirchliche Verantwortung: Dr. Silvia Becker, Katholische Hörfunkbeauftragte