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Rettung aus der Exportfalle

Frank Sieren4. April 2014

China will nicht länger die billige Fabrik der Welt sein, sondern ein globales Konsumzentrum. Deshalb erhöht die Pekinger Regierung jährlich die Mindestlöhne. Das wird nicht reichen, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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Containerhafen von Qingdao
Bild: picture-alliance/dpa

Was ist sozialistische Markwirtschaft chinesischer Prägung? Wenn es dafür ein Paradebeispiel gibt, dann sind es die staatlichen Mindestlöhne. Die gewerkschaftsorientierten Sozialisten in China finden, dass harte Arbeit besser bezahlt werden muss. Gleichzeitig wollen die Wirtschafsliberalen, auch die gibt es in China, den Konsum steigern, weil das Unternehmern und dem Mittelstand neue Chancen gibt. Deshalb sind auch sie für höhere Löhne.

Auch dieses Jahr wird Chinas Regierung die Mindestlöhne in ausgewählten Großstädten kräftig anheben. In Shanghai soll es um 12,3 Prozent nach oben gehen auf umgerechnet 210 Euro monatlich, in Peking um 11,4 Prozent auf 180 Euro. Auch andere Wirtschaftsmetropolen im Land sollen in einem ähnlichen Ausmaß profitieren.

Mindestlohn in Deutschland und China

So ändern sich die Zeiten: Während wir in Deutschland den Mindestlohn einführen, weil die Löhne fallen, können es sich die Chinesen leisten, die Mindestgrenze jedes Jahr nach oben zu korrigieren. Und das eine hängt sogar mit dem anderen zusammen. Wir kämpfen mit den Folgen des globalen Wettbewerbs, den wir der chinesischen Planwirtschaft stets empfohlen haben: Wir sind so teuer, dass wir inzwischen nach unten korrigieren müssen.

Frank Sieren (Foto: Sieren)
Sieren: Regierung muss mehr für Kaufkraft und Absicherung tunBild: Frank Sieren

Die Chinesen hingegen sind global so erfolgreich und haben einen so großen eigenen Markt, dass sie es sich leisten können, nach oben zu korrigieren. Und schon ist die schöne, neue Welt in Sicht, hoffen nun die chinesischen Sozialisten und Marktliberalen. Lang lebe die sozialistische Marktwirtschaft.

Preise steigen noch schneller

Die Praxis in China zeigt jedoch, dass die alltägliche Welt leider etwas komplizierter ist, als es sich Wirtschaftsexperten der einen wie der anderen Couleur wünschen. Die Bevölkerung ist in dieser Hinsicht unbestechlich. Sie nimmt die Lohnerhöhungen mit weniger Freude auf, als es sich die Politiker wünschen. Und zwar zurecht:

Zwar lag die landesweite Inflation zuletzt bei gerade mal zwei Prozent. Eigentlich müssten die Menschen die steigenden Löhne also tatsächlich im Portemonnaie spüren. Doch in den Städten, in denen die Löhne nun erhöht werden, steigen auch die Preise viel schneller als im Rest des Landes. Die Unternehmer jammern nicht lange, sondern reichen die Lohnerhöhungen gleich durch.

Wer in Peking über die Runden kommen will, muss von Jahr zu Jahr schon viel mehr in der Tasche haben, um die steigenden Kosten bewältigen zu können. Vor allem die Mieten und Kaufpreise für Immobilien steigen ständig. Für die meisten Menschen sind die Lohnerhöhungen deshalb bestenfalls eine Kompensation, manchmal auch nur ein Trostpflaster.

Kein einfacher Ausweg aus der Exportfalle

Deshalb ist nicht sicher, dass die Strategie der Regierung aufgeht, die sich am liebsten mit den Lohnerhöhungen aus der Exportfalle retten möchte. Chinas Wirtschaft ist zu abhängig von Exporten. Geht die Weltwirtschaft in die Knie, ist Chinas Aufschwung in Gefahr. Ein Gegengewicht zu den Exporten aufzubauen ist die größte Herausforderung der chinesischen Wirtschaft, seit sich das Land vor mehr als 30 Jahren dem Ausland öffnete, voll auf Exporte setzte und sich von einem abgeschotteten Entwicklungsland zur größten Handelsnation der Welt entwickelt hat.

Nunmehr zeichnet sich ab, dass dieser Weg auf Dauer nicht mehr erfolgsversprechend ist. Vor allem der Westen hat sich ja zuletzt immer wieder als Kunde erwiesen, der über seine Verhältnisse lebt, schnell mal klamm ist und dann plötzlich nichts mehr kauft. Deshalb sollen künftig weniger Handys, Autos und Computer für das Ausland zusammengeschraubt werden. "Made in China for China" lautet nun die Devise. Doch das geht nur, wenn nicht nur die Löhne, sondern tatsächlich auch die Kaufkraft der Chinesen steigt. Die Kaufkraft ist das, was man sich an Produkten und Dienstleistungen nach Steuer- und Preiserhöhungen wirklich leisten kann.

Gefordert: Wohnraum und Sozialsystem

Soll der Plan der Regierung aufgehen, muss mehr passieren als höhere Mindestlöhne. In den Großstädten muss zum Beispiel bezahlbarer Wohnraum her. Peking hat das Problem in Angriff genommen und baut Sozialwohnungen. Das ist jedoch viel aufwendiger und schwieriger zu planen als Lohnerhöhungen.

Gleichzeitig muss Peking auch bessere Renten zahlen und die Krankenversicherung ausbauen. Auch das ist sehr komplex. Die Menschen müssen so gut abgesichert sein, dass sie weniger Geld für Ärzte und das Alter zur Seite legen müssen. Bisher gehen sie zu Recht davon aus, dass sie das soziale Netz im Ernstfall nicht auffangen wird und legen deshalb mehr Geld zurück als irgendwo sonst auf der Welt. Jeder zweite Yuan, den eine chinesische Familie verdient, wird für mögliche Ernstfälle gespart.

Eingefleischte Sparer

Diese Mentalität mag sich abschwächen. Der American way of life liegt den Chinesen kulturell nicht. Die Grundlage des amerikanischen Konsumrausches ist ja ein Leben voll auf Pump ohne vernünftige Versicherung. Dafür sind die Chinesen zu umsichtig und dies ist auch nicht das Ziel der Regierung. Sie steht mit den größten globalen Devisenreserven selbst für Sparsamkeit. Es ist nicht das erste Mal, dass kulturelle Eigenheiten den Wirtschaftstheoretikern einen Strich durch ihre Rechnung machen. Für die Welt ist die Vorsicht der Chinesen ein Glück: Noch ein großes Land mit der Risikotaubheit der Amerikaner kann sich die Weltwirtschaft nicht leisten.