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Revolutionär in Rosa

2. November 2001

Mehr als ein Jahrzehnt nach dem Bürgerkrieg gegen die von den USA unterstützten Contras in Nicaragua zieht es den sandinistischen Revolutionär Daniel Ortega zurück in den Präsidentenpalast von Managua.

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Daniel OrtegaBild: ap

Zu seinen besten Zeiten war Daniel Ortega eine Galionsfigur der lateinamerikanischen Linken und ein Idol der Revolutionsromantiker in Europa und Nordamerika. Mit seinen Kampfgefährten von der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront (FSLN) hatte er 1979 den ebenso brutalen wie korrupten Diktator Anastasio Somoza gestürzt und sein mittelamerikanisches Heimatland anschließend in fast permanenter Frontstellung zu den USA regiert. Als 1990 die ersten wirklich freien Wahlen anstanden, hatten die Wähler Nicaraguas allerdings von Wirtschaftschaos und Bürgerkrieg genug und schickten die Sandinisten in die Opposition.

Vieles ist anders geworden

Die Welt hat sich verändert, seit Daniel Ortega in Nicaragua an der Macht war: Die Sowjetunion, die das sandinistische Regime in den 80er Jahren unterstützte, existiert nicht mehr. An Stelle von George Bush, der 1990 bei der Wahlniederlage Ortegas US-Präsident war, regiert nun sein Sohn George W. Bush im Weißen Haus.

Auch Ortega hat sich geändert. 'Menschen durchlaufen einen Reifungsprozess', sagt der Kandidat der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront (FSLN). "Ich glaube, man muss zu seinen Idealen stehen, aber überdenken, wie man sie erreichen kann." Im Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl am kommenden Sonntag besuchte der 56-Jährige die Miskito-Indianer an der Karibikküste, denen er früher die geforderte Autonomie strikt verweigerte. 'Ihr hattet nicht Unrecht, wir waren im Unrecht', ruft er der Menge in der Stadt Waspam zu und entschuldigt sich für seine 'fehlgeleitete Politik'.

"Osama würde Ortega wählen"

"Er ist ein Meister der Täuschung", warnt Ortegas konservativer Konkurrent Enrique Bolanos von der regierenden Liberalen Verfassungspartei (PLC). "Er behauptet zwar, er habe sich verändert, aber ich halte es für gefährlich, das auf die Probe zu stellen", betont der 73-jährige Unternehmer, der bis vor kurzem noch Vizepräsident war. "Wenn Osama bin Laden in Nicaragua wählen könnte, würde er für Daniel Ortega stimmen:" Mit diesem Spruch versuchen die Liberalen ein Comeback des ehemaligen sandinischen Revolutionsführers bei der Präsidentschaftswahl am Sonntag zu verhindern.

Bolanos
Enrique BolanosBild: AP

In Meinungsumfragen liegen beide Kandidaten fast gleichauf. Eine Umfrage in der vergangenen Woche prognostizierte Bolanos 38 Prozent und Ortega 37 Prozent. Zur Direktwahl in der ersten Runde sind die Stimmen von 40 Prozent der Wähler erforderlich. Zu den guten Aussichten Ortegas auf eine Wiederwahl trug vor allem der unbeliebte Präsident Arnoldo Aleman bei, dem die Bevölkerung Korruption, hohe Arbeitslosigkeit und Hungersnot anlasten. Ortega hat versprochen, jeder Familie zu einer Kuh, einem Schwein und Saatgut zu verhelfen.

Alte Reflexe in Washington

Trotz der veränderten weltpolitischen Lage löst die Aussicht auf einen mögliche Rückkehr Ortegas an die Macht in den USA alte Reflexe aus. Washington hat Besorgnis über einen möglichen Wahlsieg der Sandinisten geäußert und Nicaragua mit ernsten Konsequenzen gedroht. Nach den Anschlägen warf das US-Außenministerium den Sandinisten wiederholt Verbindungen zum Terrorismus vor. Zur Begründung hieß es, die FSLN unterhalte Beziehungen zu Irak, Libyen sowie zu den kolumbianischen Guerillas der FARC und der baskischen Untergrundorganisation ETA.

Nach dem Sturz der Somoza-Diktatur im Jahr 1979 durch die Sandinisten hatte die US-Regierung die rechtsgerichteten Contra-Rebellen ausgebildet und finanziert. Dem von Washington unterstützten Bürgerkrieg fielen in den 80er Jahren mindestens 40.000 Menschen zum Opfer. Ortega ließ 1990 Wahlen zu und unterlag gegen seine konservative Herausforderin Violeta Chamorro.

"Seite an Seite mit dem Volk der USA"

Angesichts der massiven Kritik aus den USA setzte Ortega im Wahlkampf auf gemäßigte Töne. Für das Amt des Außenministers nominierte er Antonio Lacayo, der von 1990 bis 1996 Berater Chamorros war. Dieser kündigte sogleich an, zwischen Nicaragua und den USA die bestmöglichen Beziehungen aufzubauen. Er werde sich für die volle Beteiligung Managuas an der internationalen Anti-Terror-Allianz einsetzen. "Wir werden Seite an Seite mit dem Volk der USA stehen", betonte er.

Als Vizepräsidenten holte Ortega den Christdemokraten Agustin Jarquin in sein Schattenkabinett, der unter der sandinistischen Herrschaft sechs Mal im Gefängnis saß. "Dies ist ein anderer Ortega als der aus den 80er Jahren", sagt Jarquin. "Dieser Ortega gibt zu, dass er Fehler gemacht hat und daraus lernen muss."

Die US-Politik unter Präsident George W. Bush beurteilt Ortega nach wie vor skeptisch: "Die Leute, die er mit der Leitung der Lateinamerika-Politik betraut hat, sind die gleichen, die dort unter Reagan waren", sagt Ortega. "Ich hoffe, sie haben sich geändert, aber ich bezweifle es."