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"Informelle Gespräche waren wichtig"

Christina Ruta3. Mai 2014

Ist die Freilassung der OSZE-Beobachter in Slowjansk ein Wendepunkt im Ukraine-Konflikt? Dazu äußerte sich Wolfgang Richter, früherer OSZE-Mitarbeiter und Experte für Sicherheitspolitik, im DW-Interview.

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OSZE Beobachter Flughafen Berlin Tegel 3.5.14
Axel Schneider, Leiter der OSZE-Mission, bei seiner Ankunft in Berlin. Er und sein Team sind nach acht Tagen Gefangenschaft in der Ukraine wieder freiBild: Reuters

DW: Herr Richter, die über eine Woche lang in Slowjansk festgehaltenen OSZE-Beobachter, zu denen auch vier Deutsche gehören, sind nun frei. Haben Sie nähere Informationen zu der Befreiungsaktion und den Verhandlungen mit den prorussischen Separatisten?

Wolfgang Richter: Ich kenne keine Details, denn es wird ja sehr vertraulich verhandelt. Aber mir ist klar, dass die Freilassung in direkten, auch informellen, bilateralen und multilateralen Gesprächskanälen besprochen worden ist, und die sind gerade in Krisenlagen von großem Wert. Insofern kann man sagen, dass man Besuche auch privater Art, die im deutsch-russischen Verhältnis stattfanden, nicht hoch genug einschätzen kann.

Die OSZE-Inspektoren sollen an diesem Samstag mit dem russischen Sondergesandten Wladimir Lukin die Stadt verlassen haben. Welche Rolle spielt Lukin und was ist er für ein Mensch?

Wladimir Lukin ist der Menschenrechtsbeauftragte der russischen Regierung. Er hat bereits an den Verhandlungen am 21. Februar teilgenommen, bei denen ein Abkommen zwischen der damaligen ukrainischen Regierung und der Opposition vermittelt wurde. Das geschah unter Beteiligung des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier sowie des polnischen und französischen Außenministers. Insofern ist Lukin ein alter Bekannter im Krisenmanagement. Dass er jetzt wieder ins Spiel kam, zeigt auch, dass Russland die Befreiung der Geiseln als spezielles Rechtsproblem gesehen und als Sonderfall behandelt hat. Dabei hat sicherlich das bilaterale Verhältnis zu Deutschland eine wichtige Rolle gespielt. An einer weiteren Belastung ist Russland also nicht gelegen.

Die Behandlung als Sonderfall lässt aber keine Rückschlüsse auf die russische Haltung im Umgang mit der Ukraine insgesamt zu. Russland kritisiert ja unverändert, die ukrainische Militäroperation als Verbrechen am eigenen Volk und fordert deren Einstellung. Die Ukraine setzt aber die Militäroperation fort. Umso höher muss man es also bewerten, dass Russland sich für die Befreiung massiv eingesetzt hat. Das zeigt im Übrigen auch, dass Russland bei den Rebellen eine große politische Autorität genießt, die es jetzt in positiver Weise genutzt hat. Also waren die Appelle an Russland gerechtfertigt. Auf der anderen Seite muss man auch sehen, dass sich die verbreitete Auffassung als falsch erwiesen hat, dass Russland in jedem Einzelfall die lokalen Ereignisse vor Ort dirigiert. Sonst hätte man nicht erst einen Sonderbeauftragten schicken müssen. Hier hat sich längst eine Eigendynamik entwickelt, die Russland nur schwer kontrollieren kann, und das war wohl auch der Grund, warum der Menschenrechtsbeauftragte Lukin entsandt worden ist.

Ist es denn als Zeichen der Deeskalation zu werten, dass Russland eingegriffen hat - insbesondere auch mit Blick auf die Ausschreitungen am Freitagabend in Odessa, bei denen mehr als 40 Menschen ums Leben kamen?

Eine grundsätzliche Änderung des russischen Verhaltens im Ukraine-Konflikt kann man daraus nicht ableiten. Russland hat sich aber entschieden, den Sonderbeauftragten zu entsenden und die Geiseln zu befreien, obwohl die ukrainische Regierung ihre Militäroperation nicht eingestellt hat. Das kann man nur als politisches Signal gerade an Deutschland bewerten.

Also kein tatsächlicher Wendepunkt?

Ein Wendepunkt insofern, als deutlich wird, dass Russland sich nicht weiter isolieren will. Die Geiselnahme der Deutschen und der anderen OSZE-Mitarbeiter ist ein Sonderfall, weil sie eine Verletzung der diplomatischen Immunität dieser Beobachter war. An dieser Stelle sieht offenbar auch Russland rote Linien überschritten. Aber eine grundsätzliche Wende stellt das nicht dar. Da fordert Russland weiter, dass das Genfer Abkommen eingehalten werden muss. Das heißt, dass Militäroperationen eingestellt und alle militärischen Gruppierungen entwaffnet werden. Ich hoffe aber dennoch, dass diese Aktion ein positives Signal für den Friedensprozess ist und dass es in diese Richtung weitergeht. Eine Chance gibt es jedenfalls.

Sie sagten, Russland sehe die Geiselnahme als Sonderfall: Besteht Ihrer Meinung nach ein Zusammenhang zwischen der Befreiung der OSZE-Beobachter und den Ereignissen in Odessa von Freitagabend?

Ich sehe schon, dass Russland eine Eskalation wie in Odessa, also eine völlige Destabilisierung der Ukraine, nicht als wünschenswertes Szenario ansieht. Russland wird aber wahrscheinlich weiterhin darauf beharren, dass die ostukrainischen Rebellen zunächst einmal auf etwas reagiert haben, was die Rebellen und auch Russland als illegal ansehen, und zwar die Ereignisse am 21. Februar auf dem Maidan und den Parlamentsumsturz an diesem Tag. Von daher ist sicherlich der einzige Weg, der zurück zum Genfer Abkommen führt, dass man die einzelnen Punkte auch wirklich korrekt durchführt. Daran muss sich Russland mit seinem großen Einfluss auf die Rebellen beteiligen. Aber natürlich werden sich Fragen auch an die ukrainischen Rebellen und den Westen richten, um zu erreichen, dass die bewaffneten rechten Rebellen ebenfalls entwaffnet werden.

Welche Rolle spielte Deutschland bei den Verhandlungen und der Befreiung?

Ich glaube, Deutschland spielte eine entscheidende Rolle, ohne alle Details zu kennen. Ich glaube, dass die direkten und besonders auch informellen Kanäle - vor allem bilaterale, aber auch multilaterale Kanäle mit der OSZE und dem Europarat - nicht unterschätzt werden sollten und dass Deutschland und das deutsch-russische Verhältnis hier eine ganz wichtige Rolle gespielt haben.

Wird die Gefangennahme Folgen für weitere Einsätze der OSZE haben?

Ich glaube schon. Man ist sich nun des Risikos voll bewusst. Es war vielleicht auch nicht sofort absehbar. Mittlerweile haben wir es ja mit einer Bürgerkriegssituation zu tun, in der regelrechte militärische Operationen stattfinden. In solchen Fällen muss man sehr vorsichtig vorgehen. Man muss sehen, dass die Anwendung von Maßnahmen, die Transparenz zwischen den Staaten herstellen sollen, eigentlich ja eine Routinanagelegenheit sind. Eine Auseinandersetzung innerhalb von Staaten ist immer ein Sonderfall, der so im Einzelnen von den Wiener Dokumenten nicht geregelt ist. Es gibt einen Krisenmechanismus, aber auch der ist ein Sonderfall, der auf bilateralen Vereinbarungen zwischen der Regierung des betroffenen Staates und anderen OSZE-Staaten beruht. Diese Regierung ist dann aber verpflichtet, für den Schutz der Inspektoren zu sorgen - und dieser Verpflichtung ist aus meiner Sicht die ukrainische Regierung nicht nachgekommen.

Wolfgang Richter ist ehemaliger Leiter des militärischen Anteils der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der OSZE in Wien und Experte für Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Das Interview führte Christina Ruta.