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Schlagabtausch in Sofia

Fabian Schmidt12. August 2010

In Bulgarien sind die Regierung und Justiz aneinander geraten. Die Richter seien korrupt, so das Regierungslager. Die Regierung versuche, die Gewaltenteilung aufzuheben, erwidern Juristen und einige Beobachter.

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Bulgariens Regierungsgebäude in Sofia (Foto: dpa)
Bulgarische Regierung über Justiz verärgertBild: picture-alliance/ dpa

Besonders an einem Fall entzündete sich der Unmut der Regierung gegen die Justiz: Die Polizei hatte eine Gruppe Verdächtiger verhaftet. Diese hätten unter anderem einen Anschlag auf den bulgarischen Ministerpräsidenten Boiko Borissov geplant.

Doch kurz darauf ließ ein Gericht in Sofia die Verdächtigen auf freien Fuß: die Beweislage sei unzureichend, um sie weiter in Untersuchungshaft zu behalten, so die drei zuständigen Richterinnen. Prompt kommentierte der verärgerte Innenminister Tzvetan Tzvetanov diese Entscheidung als "verantwortungslos" - und fertig war der neue Konflikt zwischen Exekutive und Judikative in Bulgarien.

Vorwürfe gegen Richter

Statue der Justitia, Göttin der Justiz, der Rechtsprechung und der Gerechtigkeit (Foto: dpa)
Justiz entschied nach BeweislageBild: picture-alliance/dpa

Da Brüssel ständig auf schnelle Erfolge im Kampf gegen die organisierte Kriminalität drängt, versuche die vor einem Jahr gewählte bulgarische Regierung mit spektakulären Razzien Vertrauen im In- und Ausland zu gewinnen, mutmaßen Beobachter. Und die Behörden denken sich für ihre Operationen gegen die organisierte Kriminalität immer wieder martialische und medienwirksame Kodenamen aus.

Die letzten zwei hießen: "Alles sticht!" und "Die Killer". Bei den im Rahmen der Razzien Festgenommenen handele es sich um die Auftragsmörder des Geschäftsmannes und Politikers Yuri Galev. Die Verhafteten sollen auch auch für weitere vollzogene oder geplante Bluttaten in Frage kommen, so der Ministerpräsident, der selbst auf der Abschußliste der Täter gestanden haben soll.

Borissov griff nach der Freilassung der Verdächtigen die Richter an, und deutete an, sie würden mit den Kriminellen unter einer Decke stecken: "Ich habe schon vor etwa zehn Tagen erfahren, dass es Bemühungen gibt, das Gerichtsverfahren zu boykottieren. Ob das stimmt oder nicht, überlasse ich dem Gewissen der Richter."

Ablenkungsmanöver vermutet

Profil von Bulgariens Ministerpräsident Boiko Borissov (Foto: Picture Alliance)
Regierungschef Borissov spart nicht an offener KritikBild: picture-alliance / Wiktor Dabkow

Borissov, der bis vor einigen Jahren selbst Polizeichef war, hat schon damals seinen Unmut gegen das angeblich korrupte Justizsystem in einem geflügelten Satz zum Ausdruck gebracht: "Wir nehmen die Banditen fest, die Richter lassen sie laufen." Nun versuche er als Ministerpräsident, auch die Wähler und die EU davon zu überzeugen.

Bei der Mehrheit der Bulgaren komme diese Botschaft gut an, die meisten glaubten nämlich, dass die Richter tatsächlich korrupt seien, folgern Borissovs Berater. Kritische Stimmen behaupten allerdings, die zunehmende Polizeigewalt in Bulgarien, die Schaurazzien und die Vorwürfe gegen die Justiz seien nur ein Versuch der Regierung, von der Erfolglosigkeit in anderen Bereichen abzulenken.

Die Sprecherin des Bulgarischen Richterbundes Neli Kutzkova meint: "Sie haben es auch nicht leicht. Zuerst verkünden sie lauthals Supererfolge und dann kommen drei kleine Richterinnen, die einen Mangel an Beweisen feststellen." In der Razzia unter dem Namen "Die Killer" seien insgesamt 20 Leute festgenommen worden, und von diesen hätte die Polizei selbst schon fünfzehn laufen lassen. Deshalb fragt sich die Richterin: "Warum hat sich keiner darüber aufgeregt?"

Verunsicherung und Imageschaden?

Dass die bulgarische Justiz nicht korruptionsfrei ist, bestätigen selbst ihre eigenen Vertreter. Aber dass das Kabinett in letzter Zeit quasi absichtlich die Konfrontation mit den Richtern sucht ist neu. Beobachter unterstellen Borissov damit sein Lieblingsprojekt zur Schaffung eines Sondergerichtes zu forcieren.

Sondergerichtsbarkeit, polizeiliche Gewalt, politischer Druck auf die Justiz, Korruptionsvorwürfe - all diese Zutaten zum aktuellen Skandal verunsicherten die Bürger und beschädigten das Image des Landes, meinen Beobachter. Deswegen bemüht sich der Vorsitzende des bulgarischen Obersten Gerichtshofes Lazar Gruev um Nüchternheit: "Die bulgarischen Bürger und unsere Auslandspartner dürfen beruhigt sein. Das bulgarische Gericht wird auch künftig nur aufgrund der Beweislage des Gesetzes entscheiden."

Bulgarische Rechtsexperten hingegen beklagen, noch dreieinhalb Jahre nach dem EU-Beitritt, dass Bulgarien zwar eine funktionierende Demokratie, aber noch immer kein Rechtsstaat im europäischen Sinne sei.

Autor: Alexander Andreev

Redaktion: Mirjana Dikic/ Fabian Schmidt