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Richtig, aber unverbindlich

Rolf Wenkel1. Mai 2002

Der Deutsche Gewerkschaftsbund ruft zum 1. Mai zur gerechten Gestaltung der Globalisierung auf. Ein Kommentar von Rolf Wenkel.

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Der erste Tag im Monat Mai ist in vielen Ländern dieser Welt der Tag der internationalen Arbeiterbewegung. Über hundert Jahre hat sie für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen gekämpft, einen Kampf um politische Rechte und Ziele geführt, die jedermann ein Leben in Freiheit und Würde ermöglichen sollen.

Diese Ziele sind in Deutschland in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts weitgehend erreicht worden. Kein Wunder, dass der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Dachverband der deutschen Einzelgewerkschaften, seit Jahrzehnten Mühe hat, eine Losung zu finden, ein zündendes Motto, das die Arbeitnehmer zu machtvollen Demonstrationen am 1. Mai auf die Straße treiben könnte.

"Globalisierung gerecht gestalten" hat sich die deutsche Gewerkschaftsbewegung diesmal für den Maifeiertag auf die Fahnen geschrieben. Ein kluges Motto, eine wichtige Losung. Denn es gibt eben noch genug Gegenden in der Welt, in denen die Gewerkschaften nicht, wie in Deutschland, auf ihre erreichten Ziele schauen können.

Gegenden, in denen Arbeiter, aber auch Frauen und Kinder de facto in Leibeigenschaft gehalten werden. Gegenden, in denen ihre Fürsprecher politischer Willkür und Terror ausgesetzt sind, in denen Rede- und Meinungsfreiheit ebenso Fremdworte sind wie die Vorstellung, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Partner im gleichen Boot sitzen könnten, um den Wohlstand aller zu mehren.

"Globalisierung an sich ist weder gut noch schlecht", schreiben die deutschen Gewerkschaftsfunktionäre, und sie haben Recht. Die Globalisierung bietet Chancen, mehr Menschen weltweit am Wohlstand teilhaben zu lassen. Sie birgt aber auch die Gefahr, die Kluft zwischen Arm und Reich noch mehr zu vertiefen. Deshalb muss Globalisierung gerecht gestaltet werden.

Dazu gehört die weltweite Verankerung sozialer Mindeststandards genauso wie das Recht, freie und demokratische Gewerkschaften zu bilden - und genau das ist das ureigene Anliegen jeder organisierten Arbeitnehmervertretung.

Wie gesagt, ein klug gewähltes, ein richtiges Motto. Denn wenn der 1. Mai in Deutschland einen politischen Sinn haben soll, dann muss der Blick nach draußen gerichtet werden, über den eigenen Tellerrand, um Solidarität zu demonstrieren mit denen, die täglich mit Not und Unterdrückung konfrontiert sind.

Zu oft hat der DGB in der Vergangenheit mit seinen Losungen zum 1. Mai wenig Geschick bewiesen, zu oft eine reine deutsche Nabelschau betrieben, die außerhalb Deutschlands kaum auf Verständnis gestoßen ist, wenn sie denn überhaupt registriert wurde.

Dennoch steht zu vermuten, dass diese Losung keinen einzigen Arbeitnehmer zusätzlich auf die Straße locken wird. Denn so richtig und wichtig sie ist, so unverbindlich bleibt sie für die Deutschen - jeder kann sie unterschreiben. Außerdem: Was die DGB-Spitze diesmal vermieden hat, nämlich Nabelschau zu betreiben, das tun die Deutschen nun mal am liebsten.

So klagt diese Gesellschaft zwar nach wie vor über vier Millionen Arbeitslose, jeder zehnte Erwerbsfähige hat keinen Arbeitsplatz - aber das lockt niemanden auf die Straße. Die Deutschen jammern halt gerne, aber auf hohem Niveau. Und seit Jahrzehnten gilt: Je besser es den Deutschen geht, desto größer werden die Legitimationsprobleme der Gewerkschaften. Das gilt selbst dann, wenn es ihnen mal konjunkturbedingt etwas schlechter geht.

Auch die drohenden Streiks in der deutschen Metall- und Elektroindustrie solidarisieren allenfalls die Belegschaft in den betroffenen Betrieben, mehr aber nicht. Für die Kommentatoren reduziert sich dieser Streik ohnehin auf die Frage, ob die IG Metall den Aufschwung kaputt macht oder den Bundeskanzler wegstreikt oder beides oder keines von beidem - womit wir wieder bei der typisch deutschen Nabelschau sind. Die nicht nur müßig ist, sondern auch
beschämend. Denn der 1. Mai ist eben nicht der Tag der Lohnprozente, sondern immer noch der internationale Tag der Arbeit.