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Rien ne va plus

Alexander Kudascheff25. Mai 2005

Für die Brüsseler Politik begann diese Woche schon schwarz. Mitten ins Ringen um den nächsten Haushalt hinein platzte die Bombe aus Berlin mit den vorgezogenen Neuwahlen.

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Allen in Brüssel und bei der luxemburgischen Ratspräsidentschaft war klar: Jetzt geht beim Geld nichts, aber auch gar nichts mehr. Kanzler Schröder und sein Außenminister Fischer - sie werden beim Feilschen um Milliarden und Prozentpunkte stumm dabei sitzen, höchstens mal ein eindeutiges Nein erkennen lassen.

Kompromisse sind von ihnen nicht zu erwarten. Denn beide wissen: Geben sie beim milliardenschweren Poker nach, dann wird ihnen das die Opposition genüsslich vorrechnen - getreu dem Motto: "Zu Hause kein Geld, aber in Europa den Großzügigen mimen "- das ist klassische Hochstapelei. Und das wissen Schröder und Fischer natürlich beide auch. Also halten sie sich bedeckt - für die nächsten Monate - und Jean Claude Juncker, der ebenso ehrgeizige wie ambitionierte Ratspräsident weiß als bester, als gewieftester Vermittler in der EU: Seine Karten sind ausgereizt: "Rien ne va plus."

Rote Karte für das "Europa der Eliten"?

Aber die schwarze Woche 2005 - sie beginnt nicht nur miserabel, sie endet aller Voraussicht nach auch schlecht. Denn niemand setzt zur Zeit auch nur ein kleines Vermögen auf ein Ja beim französischen Verfassungsreferendum. Im Gegenteil: Besorgte Beobachter sehen, wie das Nein stärker wird, wie es sich verfestigt. Wie es zu einem soliden Protest gegen "die da oben" wird - jenseits aller innenpolitischen Auseinandersetzungen und Raufereien. Und plötzlich entdeckt man auch im Raumschiff Brüssel: Ein Europa ohne Europäer, ohne die Bürger - das geht nicht mehr. Denn die Franzosen - wie auch aller Wahrscheinlichkeit nach die Niederländer - sie zeigen diesem Europa der Eliten statt einem Europa der Menschen einfach die " rote Karte". Und stürzen sie somit in einen Krise. "Rien ne va plus".

Und natürlich hat man sich in Brüssel, in der Hauptstadt der Eurokraten, längst auf den nie zugegebenen Fall eines Neins eingestellt. Natürlich zirkulieren die berühmten Pläne B - auch wenn das niemand zugibt oder zugeben kann. Und am beliebtesten war dieser Plan B: Weiter machen als hätte es ein Nein der Bürger nie gegeben. Im Eurokratenjargon: Man setzt alle jene Artikel technisch um, die man auch ohne Referendum umsetzen kann. Also: man installiert einen Außenminister, einen Ratspräsident, lässt die Grundrechtecharta wirken und einzelne Mechanismen (vielleicht hin bis zur doppelten Mehrheit) - und schaut gelangweilt auf die europäischen Bürger und klagt vielleicht sogar noch ein bisschen von oben herab über die "Europaskepsis" oder die "Europamüdigkeit".

Es gibt kein politisches Viagra

Doch die Franzosen und die Niederländer sind Gründungsmitglieder der EU. Und sie stehen nicht allein. In Tschechien, in England, in Dänemark, in Schweden gibt es starke Vorbehalte gegen die Verfassung. Das sind schon mehr Länder zusammen als die übliche Sperrminorität. Mit anderen Worten: Wer in Brüssel und nicht nur dort glaubt, einfach in der EU weiter machen zu können wie bisher, der irrt. "Rien ne va plus".

Die europäische Union erlebt zur Zeit die Vorahnung einer schwarzen Woche. Sie fühlt aber auch, dass sie an einen Wendepunkt angekommen ist. Die Erweiterung - historisch richtig - ist nicht verdaut. Vor allem von den Menschen nicht. Die Zukunftsprojekte sind Projektionen der Eliten ( von der Armee über die Verfassung bis zum Beitritt der Türkei ), nicht der Bürger. Die EU entdeckt durch die Verweigerungshaltung der Europäer: Sie ist ein overstretched empire. Sie steckt in der Midlifecrisis. Und es gibt kein politisches Viagra. "Rien ne va plus".