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Ringelreigen für den Rechtsstaat

Michael Brückner14. September 2002

Ein von der italienischen Regierung eingebrachtes Gesetz über die Ablehnung befangener Richter würde nach Meinung der Opposition und vieler Juristen Strafverfahren fast unmöglich machen - und Berlusconi nutzen.

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Berlusconi-Kritiker rufen zur Großdemo aufBild: AP

Nach der vorgeschlagenen Regelung soll es einem Angeklagten möglich sein, nicht nur seinen Richter, sondern den ganzen Gerichtshof, an dem sein Fall verhandelt wird, wegen Befangenheit abzulehnen. Und das sogar schon, wenn er bloß ein "Klima", eine "allgemeine Stimmung" gegen ihn am Ort des Verfahrens spürt und seine Anwälte das in die richtige Form zu bringen wissen. Ein Kassationsgericht muss dann darüber entscheiden, aber vom Zeitpunkt der Antragstellung an würde das Verfahren ausgesetzt. Wird dem Antrag stattgegeben, muss der ganze Prozess an einem anderen Ort neu aufgerollt werden.

Urteile erst nach dem Tod

Italien hat schon jetzt die mit Abstand längsten Verfahrenszeiten in Europa. Bei Zivilprozessen erleben die Beteiligten immer öfter die Urteilsverkündung gar nicht mehr. "Wenn wir über das Justizsystem in Italien sprechen, geht es vor allem um das Problem Zeit", erklärt der italienische Journalist und Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck, Günther Pallaver, im Gespräch mit DW-WORLD. "Der formale Anspruch auf Recht ist durch die reale Situation durchlöchert". Zumal in Italien - anders als in den meisten Ländern - die Verjährungfrist auch während eines Prozesses weiter läuft. Gelingt es ein Verfahren lange genug zu verschleppen kann man - vorausgesetzt man hat lange genug Geld für seine Anwälte - sozusagen durch "time-out" ein Urteil verhindern.

Als der italienische Senat das neue Gesetz am 31. Juli mit der Regierungsmehrheit annahm, riefen auf den Straßen Roms tausende Demonstranten "Schande! Schande!" Darunter der in den neunziger Jahren zum Volksheld aufgestiegene Staatsanwalt Di Pietro, dessen erfolgreiche Ermittlungen gegen den Korruptionssumpf vor zehn Jahren die italienische Republik erschütterten. In den Mailänder Prozessen wurde unter anderem der ehemalige Ministerpräsident und Berlusconi-Vertraute Bettino Craxi (Berlusconi ist Taufpate eines von dessen Kindern) zu über zehn Jahren Haft verurteilt, der er sich durch Flucht nach Tunesien entzog. Dort starb er vor zwei Jahren.

Berlusconi vor Gericht

Silvio Berlusconi
Der italienische Oppositionsfuehrer und Medienmagnat Silvio Berlusconi. Nach einer vom italienischen Parlament veroeffentlichten Liste ist Berlusconi der reichste Abgeordnete des Landes.Bild: AP

Berlusconi wurde ebenfalls in Mailand wegen Bilanzfälschung und Richterbestechung mehrfach angeklagt. Erstinstanzliche Verurteilungen wurden in zweiter Instanz wegen Verjährung aufgehoben, nicht wegen erwiesener Unschuld. Berlusconis Rechtsanwälte sitzen mittlerweile als Abgeordnete seiner "Forza Italia" im Parlament. Wird er vorgeladen, dann ist er als Ministerpräsident naturgemäß meist unabkömmlich und kann fast nie einen Gerichtstermin wahrnehmen. Man spielt auf Zeit.

Dies will die Regierung Berlusconi auf einer neuen juristischen Basis weitertreiben. "Durch die geplanten Regelungen kann Berlusconi die Verfahren gegen ihn endgültig unschädlich machen", meint Professor Pallaver. "Es geht hier um die Frage: Wer ist schneller, das Parlament oder das Gericht?"

Ringelreihen als Protest

Weil Ende September in der Abgeordnetenkammer des italienischen Parlaments über das Gesetz verhandelt wird, findet am 14. September in Rom eine Großdemonstration statt. Alle Parteien der Opposition und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens haben dazu aufgerufen. Besonders der auch im Ausland bekannte Regisseur Nanni Moretti ruft seit Wochen dazu auf, "Girotondi" - Ringelreigen - um die Gebäude der demokratischen Instiutionen in Rom herum zu veranstalten, um zumindest symbolisch dieses Gesetzgebungsverfahren zu stoppen.

Wer beherrscht den Bildschirm?

Doch Opposition braucht Öffentlichkeit. Und Öffentlichkeit stellt sich in der Fernsehdemokratie durch Medienpräsenz her. Die Veranstalter der "Girotondi" beklagen auf ihren zahlreichen Internetseiten ihre mediale Unterlegenheit gegenüber der Regierung. "Untersuchungen der sogenannten Videopräsenz der politischen Akteure in Italien belegen eindeutig ein krasses Missverhältinis zugunsten von Berlusconi und seinen Anhängern im italienischen Fernsehen", stellt der Politologe Pallaver gegenüber DW-WORLD fest. Eine Tatsache die nicht weiter verwundert: Berlusconis Medienunternehmen Mediaset besitzt die drei größten privaten Fernsehkanäle, welche die Hälfte der Zuschauer und zwei Drittel aller Werbeeinnahmen in Italien auf sich vereinen. Außerdem konnte Berlusconi als Regierungschef die Chefposten der staatlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt RAI mit Getreuen besetzen.

Wie geradezu genial Berlusconi auf der Klaviatur der Mediendemokratie zu spielen versteht, wird er auch am Tag der Demonstration gegen ihn beweisen: Gerade auf diesen 14. September terminierte er einen Besuch beim amerikanischen Präsidenten in Camp David. Die Hauptnachricht im abendlichen Fernsehen wird ihn im Glanze des mächtigsten Mannes der Welt zeigen - und nicht seine Ringelreigen tanzenden Gegner.