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Enttäuscht von Rio+20

Mirjam Gehrke, aus Rio de Janeiro22. Juni 2012

"Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach"- nach diesem Sprichwort fallen die Bewertungen der UN-Konferenz in Rio aus. Die Minister Niebel und Altmaier wollen das Ergebnis dennoch nicht schlecht reden.

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Foto: Victor R. Caivano/AP/dapd
Gruppenfoto Nachhaltigkeits-Gipfel in Rio de JanieroBild: AP

An diesem Freitag geht die UN-Konferenz über nachhaltige Entwicklung in Rio offiziell zu Ende. Dabei war sie schon vor ihrem eigentlichen Auftakt gelaufen: Die Abschlussdeklaration wurde von der brasilianischen Regierung durchgesetzt, Raum für Diskussionen gab es nicht. Dennoch sieht Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) das Glas halb voll: "Ich bin sehr zufrieden damit, dass wir das was Deutschland besonders interessiert hat, der Zusammenhang zwischen Wasser, Energieversorgung und Ernährungssicherung, inhaltlich in dem Abschlussdokument wiederfinden. Wir hätten uns aber gewünscht, dass wir noch mehr Gemeinsamkeiten finden, bei der Institutionenreform und bei dem Prozess der Zusammenführung von Millenniumsentwicklungszielen und nachhaltigen Entwicklungszielen."

Die rund 50 Seiten starke Erklärung mit dem Titel "Die Zukunft, die wir wollen" nennt Armutsbekämpfung als eines der wichtigsten Ziele der Zukunft. Darüber hinaus enthält der Text ein Bekenntnis zu einem ressourcenschonenderen Wirtschaftsmodell sowie zur Entwicklung von Nachhaltigkeitszielen bis 2015. Klare Ziele und Zeitvorgaben sind jedoch Mangelware.

Bundesentwicklingsminister Dirk Niebel Foto: DW/Per Henriksen
Bundesentwicklingsminister Niebel: "Ich bin zufrieden."Bild: DW

Die Politik verkennt die Realität

Man sei nicht bereit, sich politisch ernsthaft mit der Zukunft der Welt auseinanderzusetzen, so die Diagnose des BUND-Vorsitzenden Hubert Weiger. Die Überfischung der Meere, die Zerstörung der Wälder, das Verschwinden von Tier- und Pflanzenarten sei in den vergangenen zwanzig Jahren nicht aufgehalten worden, sondern habe zugenommen. Eine Milliarde Menschen auf der Welt hungere. "In einer solchen Situation so ein Dokument zu beschließen, das nur zusammenfasst, was schon einmal beschlossen worden ist, zeigt zum einen, dass die Dramatik der Situation unterschätzt wird, und zum anderen, dass kurzfristiges wirtschaftliches Denken absolute Dominanz hat."

Einen Teil der Kritik könne er verstehen, so Umweltminister Peter Altmaier (CDU). Trotzdem sei es wichtig, "dass dieses Dokument angenommen wird, denn es ist zum ersten Mal seit langem wieder mal ein gemeinsames Dokument der Staatengemeinschaft, es ist eine sehr gute Basis für die Arbeit der nächsten Jahre. Wir werden das als Europäer offensiv vorantreiben und dafür sorgen, dass dieses Dokument mit Leben erfüllt wird."

Bundesumweltminister Peter Altmaier Foto: Berthold Stadler/dapd.
"Das ist eine gute Basis", meint Bundesumweltminister AltmaierBild: dapd

Energiewende als Vorbild

Mehr europäisches Engagement, das hätten sich die Umweltverbände bereits im Vorfeld der Konferenz gewünscht. "Weder die EU noch Deutschland haben bisher eine entsprechende Vorreiterrolle eingenommen", so der BUND-Vorsitzende Hubert Weigert. Dabei habe gerade Deutschland mit der Energiewende etwas vorzuweisen: "Eine Zivilgesellschaft, die sich für Natur und Umwelt einsetzt und eine Reaktion der Politik, die das berücksichtigt. Die Atomenergie wurde schon vor Fukushima von fast 80 Prozent der Deutschen abgelehnt. Eine Demokratie kann auf Dauer nicht gegen die Mehrheit regiert werden."

Die Bundesregierung hat gemeinsam mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie in den Veranstaltungen abseits des offiziellen politischen Programms für den Industriestandort Deutschland und die Machbarkeit der Energiewende geworben. "Es besteht große Hoffnung, dass diese Energiewende ein Modell sein könnte für andere Staaten in der Welt, gerade auch für Entwicklungs- und Schwellenländer, die eine saubere, bezahlbare und nachhaltige Energieversorgung aufbauen wollen", fasst Umweltminister Altmaier die Reaktionen zusammen. Das Ziel sei es, eine wettbewerbsfähige Struktur zu schaffen, "die den Industriestandort Deutschland für die Zukunft krisenfest macht."

Atomkraftgegner demonstrieren in Essen Foto: Henning Kaiser dpa/lnw
Deutsche Energiewende soll Modell für andere Länder werdenBild: picture-alliance/dpa

Grüne Wirtschaft

Während vor allem Umweltverbände und linke Regierungen das Konzept der "green economy" als die Fortsetzung des Kapitalismus unter einem ökologischen Deckmäntelchen ablehnen, hat die Diskussion um einen neuen Wachstumsbegriff auch in der Wirtschaft selbst begonnen. "Es wird Wachstum auch in Zukunft geben", so Cajo Koch-Weser. Der ehemalige Finanzstaatssekretär und geschäftsführende Direktor der Weltbank arbeitet heute als Berater für die Deutsche Bank. "Die Frage ist die Zusammensetzung und die Qualität des Wachstums. Die natürlichen Ressourcen unseres Planeten sind limitiert. Das muss aber nicht zu weniger Wachstum führen, sondern zu einer höheren Ressourcenproduktivität."

Nur wenn die Industrienationen den Verbrauch von Rohstoffen reduzieren, gäbe es auch für Schwellen- und Entwicklungsländer einen Spielraum, um materiellen Wohlstand zu erreichen, setzt Hubert Weigert diesen Gedanken fort. Doch die Rio-Deklaration setze einseitig auf wirtschaftliches Wachstum, ohne von den Industrienationen eine Beschränkung zu fordern, so seine Kritik.

Container werden am Hamburger Hafen verladen Foto: ddp images/AP Photo/Fabian Bimmer, File
Qualität statt Quantität fordern Umweltschützer auch beim WirtschaftswachstumBild: AP

Klimaschutz, die Reform der UN-Institutionen, nachhaltige Entwicklungsziele, das sind nur einige der Themen, die in Rio nicht konkret ausformuliert worden sind. Für Entwicklungsminister Dirk Niebel ist das aber kein Grund zu resignieren. "Wir müssen jetzt anspruchsvolle Ziele für uns vorgeben, in der Hoffnung, dass uns andere folgen." Braucht man dafür UN-Konferenzen, zu denen mehrere zehntausend Menschen aus aller Welt zusammenkommen? Niebels Antwort ist diplomatisch eindeutig: "Wir werden uns nicht um eine internationale Diskussion über die Sinnhaftigkeit derartiger Großveranstaltungen drücken können."