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Rot-Kreuz-Bericht setzt Guttenberg unter Druck

9. Dezember 2009

In der Affäre um den Luftangriff von Kundus belastet ein Bericht des Internationalen Roten Kreuzes Verteidigungsminister Guttenberg. Er habe bereits Anfang November detaillierte Informationen über zivile Opfer erhalten.

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Karl-Theodor zu Guttenberg (Foto: dpa)
Was wusste er wann? Guttenberg gerät unter DruckBild: AP

Eine neue Entwicklung in der Affäre um den von der Bundeswehr befehligten Luftangriff auf zwei Tanklaster nahe der afghanischen Stadt Kundus könnte sichtbare Kratzer am strahlenden Image des aufstrebenden Ministers Karl-Theodor zu Guttenberg hinterlassen. Der Verteidigungsminister habe am 6. November einen streng vertraulichen Rot-Kreuz-Bericht auf den Tisch bekommen, der detailliert über zivile Opfer beim Luftangriff von Kundus informiert. Dies berichtet das Hamburger Magazin "Stern", dem der Bericht nach eigener Aussage vorliegt, am Mittwoch (09.12.2009) auf seiner Internetseite. Sogar acht-, zehn- und zwölfjährige Kinder nenne der Bericht in einer Liste von 74 toten Zivilisten. Brisant ist, dass der damals frisch vereidigte Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg wenige Stunden später auf einer Pressekonferenz das Bombardement als "militärisch angemessen" einstufte.

Afghanischer Soldat vor einem der explodierten Tanklaster (Foto: AP)
Der Luftangriff kostete bis zu 142 Menschen das LebenBild: AP

Auf Anfrage der DEUTSCHEN WELLE bestätigte ein Sprecher des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (ICRC), dass die Hilfsorganisation dem Verteidigungsministerium "Anfang November" einen vertraulichen Bericht übergeben hat. "Wir waren allerdings nie damit einverstanden, dass unsere vertraulichen Berichte veröffentlicht werden", sagte ICRC-Sprecher Florian Westphal.

Ministerium bestätigt: Guttenberg lag Bericht vor

Auch das Verteidigungsministerium räumte nun auf Anfrage der Deutschen Presse Agentur ein, dass dem Minister der Bericht bereits vor seinem ersten öffentlichen Statement Anfang November vorgelegen habe. Aus dem Mund des Verteidigungsministers hörte sich dies in einem Fernseh-Interview vom 30.11. noch ganz anders an: Auf die Frage, wie er in Kenntnis des ISAF-Berichts zu seiner Einschätzung vom 6.11. kommen konnte, der Luftschlag sei "militärisch angemessen" gewesen, antwortete Guttenberg: "Ich habe am 6. November eine Einschätzung aufgrund eines Berichtes abgegeben und zwar des einzigen Berichtes, der mir vorlag und habe dort die militärische Angemessenheit bejaht". Sollte Guttenberg den ICRC-Bericht tatsächlich gekannt haben, hätte er damals nicht aufrichtig geantwortet.

Fahne des Internationalen Roten Kreuzes (Foto: dpa)
Das Rote Kreuz schickte einen vertraulichen Bericht nach BerlinBild: picture alliance / dpa

Der Angriff habe nicht "im Einklang mit dem internationalen Völkerrecht" gestanden, zitiert der "Stern" den ICRC-Bericht. Zudem schätzte das Internationale Rote Kreuz, dessen Mitarbeiter nach eigenen Angaben kurz nach dem Luftangriff vor Ort waren, die mutmaßliche Bedrohung durch die zwei gekaperten Tanklaster anders ein als das Verteidigungsministerium. Es sei "unwahrscheinlich", dass die Taliban die Tanklaster gegen die Bundeswehr eingesetzt hätten, da diese entgegen der Fahrtrichtung zu dem deutschen Feldlager in einer Sandbank festgesteckt hätten. Der Bericht des Roten Kreuzes kommt laut "Stern" zu dem Schluss, dass keine "unmittelbare Bedrohung" bestanden habe.

ICRC-Bericht floss in Neubewertung ein

Wie viele Menschen bei dem Luftangriff ums Leben kamen, ist weiter unklar. Ein Untersuchungsbericht der afghanischen Regierung sprach von 30 toten Zivilisten, ein geheimer NATO-Bericht spricht von bis zu 142 Toten. Derzeit prüft die Bundesanwaltschaft die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den verantwortlichen deutschen Oberst.

Karl-Theodor zu Guttenberg wird auf dem Flughafen in Kundus begrüßt (Foto: AP)
Minister Guttenberg auf Truppenbesuch in KundusBild: AP

Verteidigungsminister zu Guttenberg hatte seine erste Bewertung vergangene Woche korrigiert und bezeichnet den Luftangriff inzwischen nicht mehr als militärisch angemessen. Zu dieser Einschätzung habe er nicht früher kommen können, da ihm wichtige Berichte vorenthalten worden seien, sagte zu Guttenberg. Die Informationen aus dem ICRC-Bericht seien in die neue Bewertung eingeflossen, zitierte der "Stern" einen Sprecher des Verteidigungsministeriums. Warum die deutlichen Erkenntnisse des Berichtes nicht bereits in Guttenbergs erste Einschätzung eingeflossen sind, dazu blieb der Verteidigungsminister bisher eine Antwort schuldig.

Trotz Affäre hohe Popularitätswerte

Bislang hat die jüngste Kehrtwende in der Bewertung des Luftangriffs von Kundus der Popularität des neuen Vertidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg offenbar nicht geschadet. Im Gegenteil: Der CSU-Politiker gehört weiterhin zu den beliebtesten Parteipolitikern und steigerte laut "ARD-Deutschlandtrend" seine Popularität gegenüber September um sechs Prozentpunkte auf stolze 69 Prozent. In der Gunst der Bevölkerung liegt Guttenberg somit nur einen Punkt hinter Kanzlerin Angela Merkel auf Platz zwei der Politikerliste.

Autor: Joscha Weber (dpa, afp, rtr)

Redaktion: Annamaria Sigrist