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"Rote Trikots schießen keine Tore"

Das Interview führte Guido Baumhauer29. Mai 2005

Seit fast einem Jahr ist er Fußball-Bundestrainer: Jürgen Klinsmann. 2006 findet die WM in Deutschland statt. Darüber, über den Confederations Cup, über Erfolge und Skandale sprach "Klinsi" im DW-Interview.

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Jürgen Klinsmann im Gespräch mit Guido Baumhauer, Chefredakteur DW-OnlineBild: DW

DW: Das erste Jahr der Klinsmann-Ära ist fast vorbei. Von den bisherigen neun Länderspielen unter Ihrer Ägide ging nur eines verloren (1:3 in Südkorea), fünf wurden gewonnen. Ihre persönliche Bilanz?

Jürgen Klinsmann: Ich denke, unsere Bilanz ist sehr, sehr positiv, vor allem sind wir als Gemeinschaft zusammen gewachsen, nicht nur der Trainerstab, wie ergänzen uns sehr gut. Wir haben auch Leute mit an Bord gebracht, die uns eine enorme Qualität mit hineinbringen. Ich denke da an den Fitness-Bereich, wo wir Trainer aus den USA für uns gewinnen konnten, an einen Sport-Psychologen, den wir mit integrieren konnten ...

... die roten Trikots?

... die Trikots, die schauen sehr gut aus, aber die schießen keine Tore. Ich glaube einfach, die Art und Weise, wie die Mannschaft aufgetreten ist in den letzten zehn Monaten, mit wie viel Elan, mit wie viel Begeisterung sie dort in jedem einzelnen Länderspiel aufgetreten sind, das ist einfach toll. Es macht einen Riesenspaß, mit dieser Mannschaft zu arbeiten. Da ist sehr viel Potenzial vorhanden, das uns dann auch das Selbstvertrauen gibt, bei der WM im eigenen Lande zu sagen: Da wollen wir um den Titel mitspielen!

Vor der WM findet ja erst noch der Konföderationen-Pokal vom 15.bis 29. Juni in statt. Acht Teams spielen um den Sieg - darunter neben Deutschland auch die Weltklassemannschaften Brasilien und Argentinien. Was ist Ihre Prognose, wer gewinnt?

Ja, ich hoffe natürlich, wir! Es ist ja auch logisch: Wenn man sagt, dass man bei der WM im eigenen Lande angreifen und den Titel will, dann gilt für solch eine Test-Mini-WM, wie der Confederations Cup gerne genannt wird, das gleiche Ziel.

Also handelt es sich dabei für Sie um eine richtige Generalprobe?

Das ist eine Generalprobe, das ist ein Test für uns. Jedes einzelne Spiel wird uns Aufschluss geben über den Leistungsstand dieser Mannschaft und es ist natürlich auch von Ehrgeiz geprägt: Wenn man in solch ein Turnier reingeht, dann misst man sich nicht nur mit sehr guten Mannschaften aus der Welt, sondern man hat natürlich auch den eigenen Anspruch, solche Nationen wie Argentinien oder Brasilien zu schlagen. Auch wenn die Saison sehr lang war für die Spieler, ist das doch genügend Ansporn für uns alle, da jetzt nochmal einen drauf zu legen.

Was ist, wenn’s nicht klappt mit der Weltmeisterschaft? Fühlen Sie sich unter Druck?

Ja, das ist aber ganz normal im Fußball, dass man, wenn man in der Verantwortung steht und die Dinge nicht gut laufen, es dementsprechend um die Ohren bekommt und das wäre sicherlich der Fall, wenn es nicht klappen würde, aber wenn ich so denken würde, dann wäre ich fehl am Platz. Ich gehe in diese Arbeit mit sehr viel Optimismus. Und sollte es nicht klappen, dann ist die Lawine ohnehin nicht aufzuhalten, aber das würde jedem anderen genauso gehen.

Wenn Sie wählen könnten zwischen schön spielen oder gewinnen? Was ist wichtiger?

Beides! Beides ist wichtig: Wir möchten natürlich attraktiven Fußball spielen, wir haben, denke ich, in den letzten zehn Monaten den Grundstein gelegt dafür, dass wir eine Mannschaft haben, die nach vorne spielen kann, die sehr aggressiv und sehr schnell spielen kann und die in dieser Spielweise dann auch aufgeht.

Wir haben eine Spielphilosophie integriert, in der sich die Spieler wieder finden - sie identifizieren sich mit ihrer Rolle in der Nationalmannschaft. Es ist wichtig, dass sich in den Köpfen der Spieler schon ein gewisses Selbstverständnis verankert hat, dass wenn es um die Nationalmannschaft geht, dann wird Gas gegeben!

Kann denn auch Deutschland von so einer positiven Stimmung wie in der Nationalmannschaft profitieren? Was würde ein WM-Sieg 2006 für Deutschland bedeuten? Wie wichtig ist ein gutes Auftreten der deutschen Mannschaft?

Ich denke, das hat die Mannschaft schon gezeigt jetzt in diesem Jahr nach der verkorksten EM. Sie hat ihre Auftritte gehabt, ob das jetzt hier in Berlin war gegen Brasilien, wo das Publikum wirklich begeistert war, oder ob es im Iran war vor 120.000 Zuschauern in Teheran, wo sie auch die iranische Bevölkerung auf ihre Seite gebracht hat, oder in anderen Spielen.

Es ist wichtig, dass da schon viel passiert ist und es ist eine gute Basis. Generell gilt: Wir wollen natürlich eine positive Stimmung aufbauen, wir wollen, dass sich die Spieler auch der Tatsache bewusst sind, dass sie eine gewisse Botschafterrolle spielen für Deutschland. Denn wir werden in der ganzen Welt sehr genau beobachtet bei dieser WM. Da wird man alles über uns berichten, ob das jetzt die Nationalmannschaft ist, ob das die Städte sind, ob das die Menschen sind, die in Deutschland leben. Und da wollen wir einfach auch ein tolles Bild abgeben und wir wollen da offen sein, wir wollen den Leuten zeigen, dass sich Deutschland unglaublich positiv und anders entwickelt hat; natürlich auch nach der Wiedervereinigung.

Sie leben selber im Ausland. Wie schätzen Sie denn das Image des deutschen Fußballs im Ausland ein?

Ich denke, generell hat man eine hohe Achtung und Respekt vor dem deutschen Fußball im Ausland, sicherlich geprägt durch die Nationalmannschaft mit drei Weltmeister-Titeln, drei Europameisterschaftstiteln und man weiß: Immer wenn es um ein Turnier geht, dann schafft es die deutsche Mannschaft, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Wir wissen, dass die Gegner viel Respekt vor uns haben. Was den Vereinsbereich angeht - diese Situation ist sicherlich in diesem Jahr nicht allzu gut gewesen, weil die Vereine sich relativ früh aus den Europacup-Wettbewerben verabschiedet haben. Da haben wir ein bisschen an Kredit verloren, aber dieser Kredit kann auch recht schnell wieder zurück gewonnen werden.

Wieviel Kredit ist denn durch den Schiedsrichter-Skandal verloren gegangen?

Ja, natürlich verliert man vor allem mal kurzfristig ein bisschen an Kredit und die Schiedsrichteraffäre hat uns weltweit geschadet, weil das hätte sich bei uns, generell in der Welt, in Deutschland nie jemand vorstellen können, weil wir doch auch für andere Werte stehen - der Geradlinigkeit, der Ehrlichkeit, der Geschäftsseriosität, alle diese Dinge. Das hat uns sicherlich ein bisschen geschadet, aber auf der anderen Seite waren oder sind die Leute im Ausland auch sehr beeindruckt von der Art und Weise, wie der DFB dann mit diesem Problem umging, wie konsequent sie das dann voran getrieben haben, wie konsequent sie die Schuldige gefunden haben und dementsprechend dann auch die Konsequenzen gezogen haben.