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Roth: "Keine Rabatte" bei EU-Beitritten

Adelheid Feilcke14. Juni 2016

Deutschland und die Europäische Union sollten die Westbalkan-Staaten an die EU heranführen, sagt Staatsminister Michael Roth. Doch gerade bei den Themen Medienfreiheit und Korruption gehe es ans "Eingemachte".

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Bonn Global Media Forum GMF 01 | Opening Ceremony Michael Roth
Staatsminister Michael Roth beim Deutsche Welle Global Media Forum in BonnBild: DW/M. Müller

DW: Die Themen des Global Media Forum - Medien, Freiheit, Werte - sind in Südosteuropa in den letzten Jahren vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise und der Probleme in Griechenland ein wenig aus dem Blick geraten. Dabei entwickeln sich diese Länder nicht unbedingt überall zum Positiven. Wie ist Ihre Einschätzung der Situation?

Michael Roth: Die Themen Medienfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie spielen für uns in ganz Europa, auch und ganz besonders in Südosteuropa, eine zentrale Rolle. Die Beitrittsverhandlungen und der gesamte Erweiterungsprozess sind doch sehr stark ausgerichtet auf Fragen der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, Stärkung der Zivilgesellschaft und Bekämpfung der Korruption. Sie haben aber völlig Recht, wenn Sie sagen, dass wir es in den vergangenen Jahren eben nicht nur mit Fortschritten zu tun gehabt haben, sondern teilweise auch mit deutlichen Rückschritten. Umso wichtiger ist, dass wir immer wieder Signale an die Bevölkerung der Westbalkanstaaten aussenden: Wir stehen zu unseren Zusagen und wollen euch auf dem Weg nach Europa, der beschwerlich ist und den Menschen einiges abverlangt, tatkräftig unterstützen.

Diese Strategie von Zuckerbrot und Peitsche scheint aber nicht sehr wirkungsvoll zu sein: Einerseits haben wir eine Stärkung des Nationalismus in den Westbalkanstaaten. Es gibt auch in vielen Ländern ein Gängelung der Presse. Gleichzeitig hängt die EU-Perspektive, nach der Meinung der Leute vor Ort, ein bisschen in der Luft. Muss man da nicht nachjustieren?

Zum einen gibt es schon Anreize, die sehr wichtig sind, um Regierungen zu notwendigen Reformen zu bewegen. Ich denke hier beispielsweise an das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit Kosovo, das gerade vor wenigen Wochen in Kraft getreten ist. Das ist ein klares Signal. Ich will auch an die Berlin-Konferenz (Westbalkan-Konferenz) und ihre Folgekonferenzen erinnern. Auch in diesem Jahr in Paris werden wir die europäische Perspektive des Westlichen Balkans bekräftigen. Dabei geht es gerade nicht um abstrakte Sonntagsreden, sondern um ganz konkrete Infrastrukturprojekte zur besseren Vernetzung, und um den verstärkten Jugendaustausch in der Region. Denn die Bürgerinnen und Bürger im Westlichen Balkan müssen spüren, dass Europa mehr als Technokratie im fernen Brüssel ist. Es ist ein Beitrag, um den Lebensalltag konkret zu verbessern.

In Mazedonien gehen die Menschen seit Wochen auf die Straße gegen die Regierung. Am Wochenende gab es in Belgrad große Demonstrationen, vor zwei Wochen auch in Kroatien. Man sieht überall aufkommende Bürgerproteste und eine gewisse Ermüdung nicht nur gegenüber den Regierungen, sondern teilweise auch gegenüber der EU. Ist das ein Risiko oder eine Chance?

Eine kritische Zivilgesellschaft gehört zwingend zu einer vitalen Demokratie dazu. Und ich finde es erst einmal gut, dass Bürgerinnen und Bürger ihren Protest äußern. Damit müssen sich Politikerinnen und Politiker in allen demokratischen Staaten auseinandersetzen. Wir haben in wenigen Wochen die nächste Konferenz in Paris, die ja auch noch einmal Signale setzen soll für den Infrastrukturausbau, für den Jugendaustausch. Das regionale Jugendwerk, das seinen Sitz in Tirana haben wird, wird endlich ins Leben gerufen. Deutschland ist stark engagiert. Wir wollen jedoch, dass vor allem die EU ihre Sichtbarkeit erhöht, gerade auch in den Verhandlungen um mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Proteste gegen die Regierung in Mazedonien
Proteste gegen die Regierung in MazedonienBild: DW/P. Stojanovski

Serbien fühlt sich im Annäherungsprozess an die EU durch die kroatische Blockade behindert. Das ist ja ein Modell, das wir auch aus anderen Fällen wie Griechenland, Mazedonien und Slowenien kennen. Wie wird auf Kroatien diesbezüglich eingewirkt - oder halten Sie die kroatischen Bedenken für berechtigt?

Am Ende des Tages haben wir immer einen tragfähigen Kompromiss gefunden. Serbien weiß, dass der Schlüssel für weitere Fortschritte in den Beitrittsverhandlungen die Normalisierung der Beziehungen zu Kosovo ist. Hier wird es keine politischen Rabatte geben. Wir sind zuversichtlich, dass wir mit Kroatien nun eine Lösung gefunden haben, die Fortschritte in der EU-Annäherung für Serbien ermöglicht. Kroatien steht selbst vor großen Bewährungsproben. Einerseits hat das Land eine Vorbildrolle, weil es als ehemalige jugoslawische Republik seit Jahren der EU angehört. Andererseits sehe ich aber auch in Kroatien selbst große Probleme, vor allem sozialer und wirtschaftlicher Art. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit von 40 Prozent ist erschreckend und deren Bekämpfung erlaubt keinen Aufschub. Auch deshalb brauchen wir unbedingt stabile Verhältnisse! In der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien muss die innenpolitische Krise endlich überwunden werden. Auch im lähmenden Streit um den Namen des Landes hoffe ich, dass wir endlich einen Schritt vorankommen. Die Bürgerinnen und Bürger haben verdient, dass die politisch Verantwortlichen die Region nach vorn bringen. Dafür müssen sie arbeitsfähig sein und ihre Hausaufgaben erledigen.

Wagen Sie eine Prognose? Wann kommen die Westbalkan-Staaten einen Schritt weiter - oder vielleicht sogar in die EU?

Konkrete Termine, die dann möglicherweise doch nicht eingehalten werden, bringen uns nicht weiter. Und wir sehen ja durchaus Fortschritte: Mit Kosovo hat die EU Anfang April mit dem Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen erstmals vertragliche Beziehungen etabliert. Auch in Bosnien und Herzegowina ist es mit der deutsch-britischen Initiative gelungen, den Reformprozess wieder zu beleben. Das Land hat im Februar seinen EU-Beitrittsantrag eingereicht. Serbien und Montenegro befinden sich in Beitrittsverhandlungen. Alles, was in unseren Möglichkeiten steht, um die Staaten in die EU zu führen, sind wir bereit beizutragen. Schließlich geht es um die Menschen und deren Perspektiven. Die Regierungen und die politischen Verantwortlichen der Westbalkanstaaten haben es dabei größtenteils selbst in der Hand. Trotz der vielen Krisen, mit denen wir uns derzeit noch auseinandersetzen müssen, haben wir den Westbalkan nicht vergessen. Dieser Eindruck wäre aus meiner Sicht das Schlimmste. Nicht nur Deutschland, sondern auch viele andere Mitgliedsstaaten sind gemeinsam mit der Kommission bereit, stärker Verantwortung zu übernehmen und Präsenz zu zeigen.

Und auch die Medien im Blick zu behalten, damit die Pluralität gewahrt wird? Polen ist da das deutlichste Beispiel, aber auch im Westbalkan wird der Druck auf öffentlich-rechtliche Medien in den letzten Monaten spürbar erhöht.

Auch da gibt es keine Rabatte. Den Partnern muss klar sein: Wer Mitglied der EU werden will, der muss Korruption bekämpfen, der muss die Rechtsstaatlichkeit stärken, der muss die Unabhängigkeit der Medien und natürlich auch die Medienvielfalt garantieren. Das sind nicht nur hohle Phrasen, da geht es ums Eingemachte. Wir sind als EU in erster Linie eine Wertegemeinschaft und nicht ein Binnenmarktprojekt.

Der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Michael Roth ist Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt.