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Rumänien - Der Wind des Umbruchs weht noch

Anna Kopperschmidt, 2031. März 2006

In Rumänien wird vor allem von der Wirtschaft die Anlehnung an den Westen forciert - die Menschen haben Probleme, dem zu folgen. Korruption lähmt noch immer viele Reformbemühungen.

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Siebenbürgen/RumänienBild: picture-alliance/ ZB

Sommer 2003. Gemütlich bummelt unser Zug durch die Landschaften Siebenbürgens. Ich habe es mir zusammen mit ein paar Freunden im Abteil bequem gemacht – lachend und scherzend fahren wir unserem Reiseziel entgegen. Ein etwas grimmig blickender Schaffner öffnet die Tür des Abteils und verlangt nach unseren Fahrkarten. Obwohl ich es in Anbetracht seiner Miene fast nicht glauben kann, hat er nichts zu beanstanden und geht seiner Wege. Einige Stationen später bittet er uns erneut um unsere Tickets. Er wirkt auf einmal sehr nervös. Er dreht sich um und zeigt unsere Fahrkarten einem zweiten Mann, der hinter ihm steht.

Es vergehen ein paar Sekunden allgemeiner Anspannung, bis dieser stumm nickt und mit einer Handbewegung zum Weitergehen deutet. "Der hatte jetzt Muffensausen!" feixt ein Junge, nachdem sich die beiden entfernt haben. Und zur mir gerichtet erklärt er: "Der zweite Mann war sozusagen der Kontrolleur des Kontrolleurs. Eine Methode des neuen Bürgermeisters des hiesigen Bezirkes, gegen die Korruption im Bahnverkehr vorzugehen."

Widerspruch: Wirtschaft versus Alltag

Rumänien auf dem Weg nach Europa: Auf der einen Seite schießen westliche Supermärkte wie Pilze aus dem Boden, werden Produktpaletten, Hygienebestimmungen und nicht zuletzt die Preise an die der Europäischen Union angeglichen. Auf der anderen Seite sind die politischen Anstrengungen um einen EU-Beitritt stets von den Debatten um den Kampf vor allem gegen die immer noch weit verbreitete Korruption begleitet. Das Land scheint zerrissen.

Während vor allem von Seiten der Wirtschaft der Weg in Richtung Westen mit einem Schwindel erregenden Tempo forciert wird, scheint man im Alltag zuweilen mit der 180-Grad-Wende überfordert: Allein in der Schule lästert man wie üblich über diejenigen, die den ganzen Tag lang lernen, um gute Noten zu erzielen und flüstert jedoch hinter vorgehaltener Hand auch über jene, deren Eltern augenscheinlich genug Geld haben, um dem Sprössling zur einen oder anderen besseren Zensur auf dem Abschlusszeugnis zu verhelfen.

Sehnsucht nach Stabilität

Meine Gastmutter erklärt es mir so: "Über 40 Jahre lang haben für uns Werte wie Demokratie oder Freiheit keine Rolle gespielt. Unter der Herrschaft der kommunistischen Diktatur musste man sich jeden Tag aufs Neue überlegen, wie man sich an den Bestimmungen "vorbeischlängelt" um irgendwie durchzukommen. Wie sollen die Leute, die ihr ganzes Leben so verbracht haben, von einem Tag auf den anderen an Demokratie oder Gleichberechtigung glauben können?"

Nicht nur aufgrund der unzähligen Regierungswechsel, die Rumänien seit dem Jahr 1989 hinter sich hat, ist die Sehnsucht der Bevölkerung nach politischer und wirtschaftlicher Stabilität, wie sie die Idee des vereinten Europas in sich trägt, groß. Die Zahl derer, die in den letzten Jahren ausgewandert sind, um in Ländern wie Spanien, Italien oder Deutschland ihr Glück zu suchen, ist hoch.

Noch ein weiter Weg

Der Politkommentator Silviu Brucan ließ Anfang der 90er verlauten, dass es zwanzig Jahre dauern werde, bis Rumänien ein demokratisches Land sei. Diese Aussage scheint sich zu bewahrheiten. Viele Dinge haben sich seit dem Fall des Eisernen Vorhangs bereits bewegt, jedoch wird der Wind des Umbruchs in Rumänien noch eine ganze Weile wehen.

Die Autorin kommt aus Neustrelitz und hat 2002/03 ein Austauschjahr in Sibiu/Rumänien verbracht.