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Rumänien: Journalisten auf dem Prüfstand

3. August 2006

„Saubere Stimmen" lautet der Name einer Initiative, mit der rumänische Journalisten die Geheimdienst-Vergangenheit ihrer eigenen Zunft ans Licht bringen wollen: Ziel und Umsetzung der Aktion sind jedoch umstritten.

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Lauschangriff auch auf Journalisten?Bild: dpa

Die Initiative „Saubere Stimmen" wurde von der rumänischen Journalisten-Organisation „Civic Media" aus der Taufe gehoben. Mitte Juli beantragte „Civic Media" beim Nationalen Rat für die Aufarbeitung der Geheimdienstakten (CNSAS), führende rumänische Journalisten auf eine mögliche Vergangenheit als Securitate-Mitarbeiter zu überprüfen. In den vergangenen Tagen legte „Civic Media" zwei umfangreiche Listen mit Hunderten von Namen vor. Darauf befinden sich die Namen rumänischer Journalisten, aber auch die von Mitarbeitern rumänischsprachiger Programme ausländischer Radio-Sender wie BBC, Radio Free Europe, RFI und der Deutschen Welle.

Zielsetzung unklar

So edel das Anliegen der Initiative klingt, so undurchsichtig scheinen die Motive der Urheber. „Civic Media" ist eine kleine Journalisten-Organisation mit unklaren Zielsetzungen und Aktivitäten. Die Tageszeitung „Ziua", der sie nahe steht, tut sich seit Jahren dadurch hervor, dass sie dubiose und unüberprüfbare Geheimdienst-Geschichten veröffentlicht. Der Direktor der Tageszeitung, Sorin Rosca Stanescu, ist vor 1989 Securitate-Spitzel gewesen, wie er vor Jahren selbst zugegeben hat.

Der Leiter der rumänischen Geheimdienstunterlagen-Behörde, Claudiu Secasiu, will sich zu den Urhebern der Initiative jedoch nicht äußern. „Wir bewerten die Initiative als Geste, die Wahrheit zu erfahren, und als eine positive Geste. Wenn sie von dieser oder jener Zeitung stammt, so kann ich das nicht kommentieren. Das Anliegen ist legitim und wird von uns bearbeitet werden", so Secasiu gegenüber DW-RADIO.

Prominente Beispiele

Die Initiative hat in Rumänien inzwischen landesweite Diskussionen ausgelöst. Vor allem deshalb, weil vier prominente Journalisten zugegeben haben, Informanten der Securitate gewesen zu sein. Unter ihnen ist der Ziua-Chefredakteur Adrian Patrusca. Schockiert hat die Öffentlichkeit jedoch am meisten das Schuldeingeständnis von Carol Sebastian, einem der bekanntesten Journalisten Rumäniens. Die Securitate hatte ihn als Student erpresst, Berichte über Freunde abzugeben. Vor allem diese Bekenntnisse sieht Claudiu Secasiu als positives Ergebnis der Initiative „Saubere Stimmen". Secasiu meint: „Es gibt, wenn sie so wollen, einen heilenden Effekt in der Gesellschaft. Die Initiative hat, wie wir sehen konnten, eigenständige Kampagnen und Aktionen ausgelöst, nämlich an die Öffentlichkeit zu treten, bevor wir uns als Behörde zu einer Kollaboration mit der Securitate äußern."

Zahlreiche Initiativen

Manche rumänische Beobachter sprechen von einem „plötzlichen Säuberungsfieber" im Land. Im Auftrag des Staatspräsidenten Traian Basescu untersucht eine hochrangig besetzte Historiker-Kommission, wie der Kommunismus in Rumänien funktionierte. Je nachdem, zu welchen Schlussfolgerungen die Kommission kommt, will der Staatspräsident ein symbolisches Urteil über die Diktatur fällen, das auch ein mögliches Schuldeingeständnis im Namen der Gesellschaft beinhalten könnte.

Auf Druck des Staatspräsidenten wurde vor kurzem auch die Übergabe der Securitate-Archive an die Geheimdienstunterlagen-Behörde abgeschlossen. Die Securitate-Nachfolgegeheimdienste hatten diese jahrelang unter Verschluss gehalten. Derzeit debattiert das Parlament außerdem darüber, auch die aus Gründen der nationalen Sicherheit weiterhin geheim gehaltenen Securitate-Akten zu veröffentlichen. Dabei geht es sowohl um Personenakten von heutigen Politikern als auch um Material über das Wirtschafts- und Finanzimperium der Securitate.

Skepsis und Zuversicht

Manche Beobachter sehen das plötzliche Aufklärungsfieber jedoch auch mit einiger Skepsis. Die deutsche Rumänien-Expertin Annelie Ute Gabanyi glaubt, dass es dem starken Mann des Landes, dem Staatspräsidenten Traian Basescu, darum gehe, politische Gegner zu schwächen und seinen eigenen Einfluss auszubauen. Frau Gabanyi sagte der Deutschen Welle: „Noch nie sind die Geheimdienste aus meiner Sicht in Rumänien nach der Wende so instrumentalisiert worden, und auch die Lage bei der Stasi-Zentrale, der rumänischen CNSAS, ist auch nie so politisiert worden von der Spitze wie unter Basescu. Und insoweit passt jetzt diese Journalisten-Lustration in die größeren instrumentellen Lustrations-Initiativen. Da wird gerade das große politische Machtspiel gespielt."

Viele, die schon seit Jahren eine Aufklärung der Securitate-Vergangenheit fordern, sehen die derzeitige Entwicklung jedoch mit Freude. Der Historiker Stejarel Olaru, Berater des rumänischen Ministerpräsidenten für Fragen der nationalen Sicherheit, glaubt, dass die Aktenöffnung eine nicht kontrollierbare Eigendynamik entfaltet: „Ich weiß nicht, um wie viel reifer die rumänische Gesellschaft inzwischen geworden ist. Ich kann nur sagen, im Vergleich zu vorangegangenen Jahren, in denen wir wie Rufer in der Wüste waren, scheinen die Dinge sich jetzt wirklich zu ändern. Ich betone, sie scheinen sich zu ändern. Und das macht mich optimistisch."

Keno Verseck

DW-RADIO/Rumänisch, 3.8.2006, Fokus Ost-Südost