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Rumänien/Bulgarien: CSU-Abgeordneter stellt EU-Beitritt 2007 in Frage

5. Januar 2006

Im Interview mit DW-RADIO warnt Thomas Silberhorn vor einem übereilten EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens. Erst nach Erfüllung aller EU-Kriterien solle die Ratifizierung der Beitrittsverträge im Bundestag erfolgen.

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Thomas Silberhorn, europapolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe im BundestagBild: Presse

DW-RADIO/Rumänisch: Herr Silberhorn, für die neue österreichische EU-Ratspräsidentschaft hat der Beitritt von Bulgarien und Rumänien in die EU 2007 Vorrang, das erklärte der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Sie stellen den Beitritt dieser beiden Länder generell auch nicht zur Debatte, aber Sie warnen vor Eile bei einem EU-Beitritt von Rumänien und Bulgarien und meinen, der Bundestag in Berlin dürfe den EU-Beitritt dieser beiden Länder erst ratifizieren, wenn diese Länder die Beitrittskriterien erfüllen. Was heißt das konkret?

Thomas Silberhorn: Wichtig ist, dass wir den Beitritt von Rumänien und Bulgarien zur EU in der Tat unterstützen, aber wir fordern von beiden Ländern, dass sie die Beitrittskriterien erfüllen zum Zeitpunkt des Beitritts und nicht erst später. Und das bedeutet, wir sollten die Beitrittsverträge im Deutschen Bundestag erst dann ratifizieren, wenn Rumänien und Bulgarien die Bedingungen in vollem Umfang erfüllen. Das ist bisher nicht der Fall. Die EU-Kommission hat im Herbst einen Bericht vorgelegt, in dem beiden Ländern noch Defizite bescheinigt werden. Sie wollte eigentlich im Herbst schon grünes Licht geben, hat aber jetzt einen weiteren Bericht für das Frühjahr angekündigt. Und wir können noch nicht erkennen, dass sich in Rumänien und Bulgarien substantielle Veränderungen ergeben hätten in den Bereichen, in denen noch Defizite vorliegen. Beispielsweise, was die Bekämpfung der Korruption angeht, was die Justiz angeht, und dann müssen substantielle Fortschritte erzielt werden. Sonst werden wir uns überlegen müssen, wann denn der Beitritt in beiderseitigem Interesse am sinnvollsten zu bewerkstelligen ist, ob das schon 2007 sein kann oder ob das nicht 2008 oder noch später sein muss.

Mit anderen Worten: Ihre Warnung geht auch über 2008 hinaus. Die EU-Kommission aber schließt eine solche Verlängerung aus.

Genau das ist mein Anliegen. Die Beitrittsverträge sehen eine Schutzklausel vor, nach der der Beitritt vom 1.1.2007 auf den 1.1.2008 verschoben werden kann. Allerdings würde nach dieser Klausel der Beitritt 2008 in jedem Fall erfolgen, auch wenn die Betrittskriterien dann immer noch nicht erfüllt wären. Und deswegen meine ich, würde mit einer Ratifikation der Verträge und einem Verfahren nach dieser Schutzklausel Bulgarien und Rumänien jede Motivation genommen, die Kriterien doch noch zu erfüllen. Denn wenn sie in jedem Falle 2008 beitreten können, auch ohne die Kriterien zu erfüllen, dann ist diese Motivation schlichtweg nicht mehr gegeben. Und deswegen sage ich, es wäre falsch, auch ohne Erfüllung der Kriterien die Beitrittsverträge vorab zu ratifizieren und dann einfach darauf zu hoffen, dass es 2008 in Ordnung geht. Und es wäre richtiger diese Ratifikation eben vorerst nicht vorzunehmen, sondern erst dann vorzunehmen, wenn zum Zeitpunkt der Ratifikation feststeht, dass die Beitrittsvoraussetzungen erfüllt werden können.

Heißt das, dass die Staaten, die die Verträge bisher ratifiziert haben – ich nenne nur Italien als letztes Land, da wurde noch schnell 2005 praktisch in letzter Minute der Vertrag ratifiziert – dass diese Länder einen Fehler gemacht haben?

Nein, wir müssen jedem Mitgliedsstaat selbst die Bewertung zugestehen, wann der Beitritt und die Ratifikationen sinnvoller Weise erfolgen sollen. Grundlage dafür wird ein Fortschrittsbericht der Kommission sein, der jetzt noch für das Frühjahr angekündigt ist. Das ist die Grundlage unserer Bewertung, aber wir müssen uns schon eine eigene Bewertung vorbehalten. Und wenn Sie so wollen, gibt es zwei Denkschulen: Die eine sagt, wir ratifizieren den Vertrag, und wenn die Voraussetzungen nicht erfüllt sind, müssen wir die Schutzklauseln aktivieren und den Beitritt auf 2008 verschieben. Nur diese Aktivierung der Schutzklausel setzt voraus, dass die Kommission einen entsprechenden Vorschlag macht; setzt voraus, dass entsprechende Mehrheiten im Ministerrat gefunden werden und darauf möchte ich mich nicht verlassen, sondern ich würde es vorziehen, dann eben die Ratifikation erst dann vorzunehmen, wenn tatsächlich absehbar ist, dass Rumänien und Bulgarien die Beitrittsvoraussetzungen erfüllen können. Im Ergebnis handelt es sich um die Frage, wann wir den Beitritt vollziehen und welches Verfahren wir dafür wählen.

Welche Unterstützung hat Ihre Partei, haben Sie im Bundestag für diesen Vorschlag?

Es handelt sich noch nicht um einen förmlichen Vorschlag, den wir einbringen. Wir haben die Frage eben erst zu entscheiden, zu diskutieren, wann denn die Ratifikation erfolgen soll. Und wenn wir den Beitritt Rumäniens und Bulgariens zum 1.1.2007 oder mit der Schutzklausel zum 1.1.2008 vollziehen wollten, dann müsste die Ratifikation der Beitrittsverträge noch in diesem Jahr im Deutschen Bundestag stattfinden und deswegen ist jetzt Zeit, diese Diskussion zu führen. Wir werden allerdings den Fortschrittsbericht der Kommission, der für das Frühjahr angekündigt ist, abwarten und auf der Grundlage dieses Fortschrittsberichts dann eine eigene Bewertung abgeben. Wir würden das in der Großen Koalition diskutieren müssen, wann der für uns günstigste Zeitpunkt ist und in welchem Verfahren wir das dann machen. Und von daher ist jetzt keine Eile geboten, aber Rumänien und Bulgarien müssen schon wissen, dass sie die Betrittsbedingungen, die verhandelt worden sind und die niedergelegt worden sind in den Beitrittsverträgen, dass sie die auch tatsächlich erfüllen müssen, dass das keine Placebos sind, auf die wir verzichten. Denn wir müssen ja sehen, wenn wir jetzt im Bezug auf Rumänien oder Bulgarien ein Auge oder gar zwei Augen zudrücken wollten, dann würde das die gesamte Erweiterungspolitik der EU in Frage stellen und die Konsistenz der Erweiterungsstrategie in Frage stellen, wir müssten uns das bei jedem weiteren Beitritt - Kroatien oder Türkei oder andere Staaten - vor Augen halten, dass wir bei Rumänien und Bulgarien Zugeständnisse gemacht hätten und deswegen ist die klare Linie, die wir fahren, wie wir immer gesagt haben: Die Voraussetzungen für den Beitritt müssen erfüllt werden und dann können wir ratifizieren.

Das Interview führte Robert Schwartz
DW-RADIO/Rumänisch, 2.1.2006, Fokus Ost-Südost