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Rumänien: Kultur im Umbruch

Medana Weident
14. März 2018

Rumänien ist bei der Leipziger Buchmesse zu Gast. Das Land ist geprägt von Abwanderung, politisch instabilen Verhältnissen und Protesten gegen Korruption. Und doch gibt es eine lebendige Kulturlandschaft im Wandel.

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Rumänien Bukarest - Altstadt
Straßencafes in der Bukarester Altstadt Bild: picture-alliance/ dpa/J. Kalaene

Mal ganz ehrlich: Was wissen wir eigentlich über das Kulturland Rumänien? Oder über die gesellschaftliche oder politische Situation im Land? Auch rund drei Jahrzehnte nach dem Sturz des Diktators Nicolae Ceaușescu 1989 rückt Rumänien fast nur durch Negativschlagzeilen in unser Blickfeld. Hin und wieder erreichen uns auch positive Nachrichten, meistens aus der Kultur. 

Nobelpreis für Literatur

Etwa 2009, als die aus Rumänien stammende deutsche Schriftstellerin Herta Müller den Literaturnobelpreis bekam für Werke, die mit höchstpoetischen Mitteln das Zerstörungspotenzial der totalitären Regime veranschaulichte. "Entweder wird man durch Anpassung zerstört oder wegen Verweigerung", so Müller, als sie 2014 mit dem Preis "Schärfste Klinge" der Stadt Solingen geehrt wurde. 

Ruhrtriennale Herta Müller
Herta Müller gehört der deutschen Minderheit im Banat, im Westen Rumäniens, an und lebt in Berlin Bild: Ruhrtriennale/Stephanie von Becker

Preisgekrönte Filme

In den letzten rund 15 Jahren wurden zahlreiche Filme auf internationale Festivals wie Cannes, Venedig, Locarno und vor allem Berlin mit Preisen nahezu überschüttet. Auch der Goldene Bär der diesjährigen Berlinale ging an eine rumänische Filmemacherin (Adina Pintilie für "Touch Me Not").

68. Berlinale | Preisträger Adina Pintilie - Goldener Bär für den Besten Film
Adina Pintilie hat den Goldenen Bären für den Besten Film gewonnen Bild: Getty Images/AFP/T. Schwarz

Besucherrekord bei internationalen Festivals 

Immer mehr bekannte deutsche Regisseure wagen Theaterinszenierungen auf rumänischen Bühnen, es gibt darüber hinaus ebenfalls erfolgreiche Koproduktionen zwischen deutschen und rumänischen Spielstätten und Theaterschaffenden, die ihre Stücke im deutschsprachigen Raum präsentieren. Eine mittlerweile sehr bekannte Regisseurin und Autorin der jüngeren Generation ist Gianina Cărbunariu, die mit vielen deutschen Theatern zusammengearbeitet hat.

Dem Theater- und Kulturliebhaber sind mehrere internationale Festivals in Rumänien zu empfehlen, an erster Stelle jenes in der wunderschönen mittelalterlichen Kulisse der Altstadt von Hermannstadt (Sibiu) in Siebenbürgen. Das Festival, das dieses Jahr schon zum 25. Mal seine Tore öffnet (vom 8. bis zum 17. 06.) und als das größte Theaterevent nach Edinburgh und Avignon gilt, beeindruckt nicht nur durch die zahlreichen hervorragenden Künstler aus Rumänien und der ganzen Welt, wobei dem deutschsprachigen Angebot viel Raum gewährt wird, sondern auch durch die vielen hochkarätigen Musiker, Tänzer oder Straßenkünstler.

Flash Galerie Theaterfestival Sibiu
Die "Faust"-Inszenierung von Silviu Purcarete ist ein internationaler Erfolg des Nationaltheaters in Hermannstadt (Sibiu)Bild: Scott Eastman

Der Kulturhauptstadt-Effekt

Für den kulturellen Aufschwung in Hermannstadt sorgte ohne Zweifel die Ernennung zur Europäischen Kulturhauptstadt 2007, im Jahr der EU-Aufnahme Rumäniens. Der deutschstämmige damalige Oberbürgermeister der Stadt und heutige Präsident des Landes, Klaus Johannis, erkannte die treibende Kraft der Kultur als Entwicklungsfaktor einer Gesellschaft und erhöhte um ein Vielfaches das Budget für Kultur, in einer Zeit, in der andere Lokalverwaltungen - nicht nur in Rumänien - ihre Gelder in diesem Bereich drastisch kürzten. Der Aufwand hat sich gelohnt: Die Stadt entwickelte sich zu einem Touristen- und Kulturmagnet.

Sibiu Hermannstadt Rumänien
Hermannstadt (Sibiu) in Siebenbürgen war 2007 zusammen mit Luxemburg Europäische Kulturhauptstadt Bild: picture-alliance/dpa

Großes deutschsprachiges Kulturangebot

Wie viele wissen, dass es in Rumänien traditionsreiche Theater in deutscher Sprache gibt – in Hermannstadt oder Temeswar (Timișoara)? Es sind die Städte, die von der Kultur der deutschen Siedler, der Siebenbürger Sachsen und der Banater Schwaben leben.

In ganz Siebenbürgen, im Banat aber auch in Bukarest gibt es Schulen mit Deutsch als Unterrichtssprache, die ursprünglich für die Kinder der deutschen Minderheit gedacht waren. Mittlerweile, nach dem Exodus der Rumäniendeutschen Ende der 1980er Jahre, werden die noch zahlreich funktionierenden Schulen in erster Linie von Kindern und Jugendlichen aus rumänischen Familien besucht. Das Interesse für das deutschsprachige Kulturangebot ist riesig. Dazu gibt es, neben den Theatern, zahlreiche deutsche Zeitungen, Verlage und Buchhandlungen. Ein Beispiel für erfolgreiche Migration - in umgekehrter Richtung - ist der Bonner Unternehmer Jens Kielhorn, der sich 2005 in Hermannstadt niedergelassen, mehrere Buchhandlungen und sogar einen Verlag (Schiller-Verlag) gegründet hat.

Bukarest als Mekka der klassischen Musik

Die Hauptstadt Rumäniens ist ein Spiegel seiner glanzvollen sowie zerrütteten Geschichte: die alten prunkvollen Bauten und beeindruckenden orthodoxen Kirchen, die dem Wahn des Diktators Ceaușescu nicht zum Opfer gefallen sind, prägen das Bild wie auch die Plattenbauten vor allem am Rande der Stadt. Mittlerweile wurde die Altstadt größtenteils saniert und die vielen Cafés, Restaurants und Biergärten laden zum Verweilen ein.

Enescu Festival 2013 Cameron Carpenter
Das prunkvolle Athenäum in Bukarest: Hier finden unter anderem Konzerte des Enescu-Festivals statt Bild: Andrei Gindac

Die rumänische Metropole ist in den letzten Jahren auch zum bedeutenden Treffpunkt für Musikliebhaber geworden: Alle zwei Jahre kommt die Creme de la Creme der internationalen klassischen Musikszene zum Enescu-Festival, das dem bedeutenden rumänischen Komponisten George Enescu gewidmet ist. Die einflussreichen Salzburger Festspiele hätten jetzt einen Rivalen, schrieb bereits vor einigen Jahren die britische Zeitung "The Guardian" mit Blick auf das Musikevent in der rumänischen Hauptstadt, das seit 2017 unter der Leitung von Vladimir Jurowski und Zubin Mehta steht. 2019 wird das Enescu-Festival mit einem Konzert der Berliner Philharmonikern eröffnet.

Migration - Der Blick aus und auf Rumänien und Europa

Zurück zur Literatur: 1998, als Rumänien auch Gastland der Leipziger Buchmesse war, war man, wie auch heute, neugierig auf ein Land, das nicht oft im Fokus unseres Interesses steht. Was geschah in der Zwischenzeit? Wenn in den ersten Jahren nach der Wende Themen wie der Übergang vom Kommunismus zum Kapitalismus, vom Totalitarismus zur Demokratie, die Verbrechen der Diktatur oder der Massenexodus der deutschen Bevölkerung inhaltlich die literarischen Werke aus Rumänien prägten, hat sich das etwas geändert. Es geht jetzt um die heutige rumänische Gesellschaft, in der die Folgen jener frühen Jahre der Demokratie (mangelhafte Vergangenheitsbewältigung, ungeklärte Verbrechen auch im postkommunistischen Rumänien) stark sichtbar sind. Eine Gesellschaft, die unter einer enormen und steten Auswanderung (über vier Millionen Rumänen leben zurzeit im Ausland) und einer alle Bereiche umfassende Korruption leidet, in der Kinder vor allem in ländlichen Gegenden bei Großeltern oder Verwandten aufwachsen müssen, da ihre Eltern auf Arbeitssuche im Ausland sind, in der hochqualifizierte Jugendliche das Land im Eiltempo verlassen, in der Hoffnung, anderswo einen gut bezahlten Job zu bekommen. Eine Gesellschaft, die politisch tief gespalten ist.

Schwerpunktland Rumänien auf der Leipziger Buchmesse 2018 

Dennoch: In Rumänien gibt es auch viel Heiteres, Hoffnung und Poesie, junge Menschen, die nicht auswandern wollen, die Zuhause ihre Zukunft sehen und ohne Resignation ihr Schicksal in die Hand nehmen. Auch darüber schreiben die rumänischen Autoren heute.

Favoriten Literaturnobelpreisträger 2017 | Mircea Cartarescu
Thomas-Mann-Preisträger Mircea Cartarescu lebt in Bukarest Bild: picture alliance/dpa/J. Kalaene

Gespannt sein darf man auf die Begegnungen mit den geladenen Autoren bei der Leipziger Buchmesse, etwa: Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, die DW-Kolumnisten Cătalin Dorian Florescu, Dana Grigorcea und Carmen Francesca Banciu, der diesjährige Thomas-Mann-Preisträger Mircea Cartarescu, Filip Florian, Gabriela Adamesteanu, Norman Manea, Nora Iuga, einschließlich der vielversprechenden Vertreter der jüngeren Generation, wie Lavinia Braniste. Erwartet werden Gespräche mit diesen oder anderen Künstlern über gesellschaftliche und politische Themen mit Bezug zu Rumänien und Europa.