1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Russisch-japanische Annäherung

Martin Fritz30. April 2013

Seit Jahrzehnten scheitert ein Friedensvertrag zwischen Japan und Russland an der Kurilen-Frage. Nun unternimmt Japans Premier Shinzo Abe in Moskau einen neuen Versuch, den Inselstreit mit einem Kompromiss zu lösen.

https://p.dw.com/p/18Nbd
(Foto: REUTERS)
Abe bei Putin in MoskauBild: Reuters

Das heutige Treffen im Kreml ist alles andere als ein Routinebesuch: Zum ersten Mal seit zehn Jahren kommt mit Shinzo Abe ein japanischer Regierungschef nach Moskau. Ein russischer Präsident war das letzte Mal vor acht Jahren in Tokio zu Gast. Dabei sind beide Länder im Nordpazifik direkte Nachbarn. Der Hauptgrund für die politische Distanz ist der über 60 Jahre alte Streit um die vier Inseln Kunashir (Japanisch: Kunashiri), Iturup (Etorofu), Shikotan und die Habomai-Eilande, die in Russland "südliche Kurilen" und in Japan "nördliche Territorien" heißen. Zuletzt stiegen Anfang Februar japanische Abfangjäger in die Luft, als die russische Seite dort ein großes Militärmanöver veranstaltete.

Daher überraschte im Februar die Ankündigung von Japans neuem Premierminister Shinzo Abe, eine "gegenseitig annehmbare Lösung" zu finden. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin schlug bei einem Vorbereitungstreffen mit Ex-Premier Yoshiro Mori im März versöhnliche Töne an. Es sei "anormal", dass es keinen Friedensvertrag gebe. Schon im März 2012 hatte Putin signalisiert, er wolle den Disput mit einem "Hikiwake" beilegen. Der Ausdruck aus dem japanischen Kampfsport Judo, den Putin leidenschaftlich praktiziert, beschreibt ein "Unentschieden".

Putin schlägt für den Inselstreit ein "Hikiwake" (Unentschieden) vor. (Foto: AFP)
Putin schlägt für den Inselstreit ein "Hikiwake" (Unentschieden) vorBild: STR/AFP/Getty Images

Konvergierende Wirtschaftsinteressen

Die politische Annäherung zwischen Japan und Russland resultiert aus dem wachsenden Interesse an mehr wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Das billige Schiefergas aus den USA untergräbt die russischen Gas-Geschäfte mit Europa. Russland will daher mehr an Japan verkaufen, das bisher erst 9,5 Prozent seines Flüssiggases aus Russland bezieht. Außerdem wünscht sich Russland japanische Investitionen und Technologien für seine Industrien. Auch bei der Entwicklung der Landwirtschaft im östlichen Sibirien erhofft sich Putin Hilfe aus Japan. Das japanische Handelsunternehmen Sojitz wird entlang einer Gaspipeline zur Versorgung der Region mit Strom und Heizwärme Kraft-Wärme-Anlagen bauen.

Premierminister Abe ist am Sonntag in Begleitung einer großen Wirtschaftsdelegation nach Moskau gereist; am Montag wird er von Putin im Kreml empfangen. Die rund 50 japanischen Industriellen aus den Bereichen Energie, Handel, Nahrungsmittel, Medizin und Immobilien sehen großes Geschäftspotenzial beim Ausbau der städtischen Infrastruktur und der Energieversorgung in Russland.

Nach Informationen der japanischen Finanzzeitung Nikkei planen beide Seiten einen Fonds mit einer Milliarde Dollar, um japanische Investitionen im russischen Osten anzukurbeln. Der russische Konzern Gazprom wird mit den japanischen Partnern Itochu und Japan Petroleum Exploration eine Flüssiggasfabrik in Wladiwostok bauen. Mitte April unterzeichneten das russische Mineralölunternehmen Rosneft und die japanische Firma Marubeni einen Vorvertrag für eine weitere Flüssiggasfabrik.

Eindämmung Chinas

Beide Seiten verfolgen mit ihrer wirtschaftlichen Kooperation auch politische Absichten, die vor allem auf China zielen. Russland beobachtet Chinas wachsende ökonomische und militärische Macht mit Sorge. Im Fernen Osten des russischen Riesenreichs wächst der chinesische Einfluss durch grenzüberschreitende Arbeiter und Unternehmen. Japan ist für Russland der natürliche Kapitalpartner, der Chinas Einfluss auf die Region verringern kann. Zugleich ist Japan der ideale Abnehmer für die Rohstoffressourcen aus Sibirien.

Japan will mit russischen Energieversorgern enger zusammenarbeiten. (Foto: ddp)
Japan will mit russischen Energieversorgern enger zusammenarbeitenBild: AP

Genauso möchte die neue Regierung in Tokio verhindern, dass Russen und Chinesen sich gegen japanische Interessen verbünden. Bestürzt hatten japanische Medien auf eine gemeinsame Erklärung von Peking und Moskau im März reagiert. Die Präsidenten Xi und Putin versicherten sich darin gegenseitigen Beistand in Territorial- und Sicherheitsfragen. Das weckte in Tokio die Angst, dass Russland sich beim Streit um die Senkaku / Diaoyu-Inseln im Ostchinesischen Meer auf die Seite Chinas schlagen könnte.

Komplizierte Rechtslage

Nur eine Lösung des Kurilen-Streits dürfte schnelle Fortschritte für die japanisch-russischen Beziehungen bringen. Russland bietet seit den fünfziger Jahren an, die zwei relativ kleinen Inseln nahe Hokkaido aufzugeben. Aber Japan verlangt bisher die Rückgabe aller vier von Russland besetzten Inseln. Als Ex-Premier Mori im März laut überlegte, Japan solle auf eine der vier Inseln verzichten, wurde er von der Regierung in Tokio zurückgepfiffen. Dennoch könnten Abe und Putin in Moskau sich auf neue Verhandlungen verständigen.

Streit zwischen Japan und Russland: die Kurilen-Inseln
Streit zwischen Japan und Russland: die Kurilen-InselnBild: picture-alliance/dpa

Die Kurilen-Frage ist völkerrechtlich kompliziert. Russland hatte kurz vor Kriegsende den Nichtangriffspakt mit Japan gekündigt und die vier Inseln besetzt. 1951 verzichtete Japan im Vertrag von San Francisco auf die Kurilen, die es bereits 1905 erobert hatte. Doch nach Ansicht von Tokio gehören die umstrittenen Inseln nicht zu den Kurilen, während Russland den Vertrag nicht unterzeichnete. Seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen 1956 blieb die Inselfrage daher offen. Der Fischreichtum der Gewässer und Vorkommen an seltenen Metallen, Erdgas und Öl komplizieren eine Lösung.