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Russische Revolution des Laufens

Stephan Hille28. Oktober 2003

Russische Wissenschaftler arbeiten daran, Grimms Märchen von den Siebenmeilenstiefeln wahr werden zu lassen: Bald - so das Versprechen - soll der benzinbetriebene Motorstiefel in Serienproduktion gehen.

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Zugegeben, etwas halsbrecherisch und klobig sieht die Motorstelze aus, die Ingenieure am staatlichen Luftfahrtinstitut in Ufa, rund 1300 Kilometer östlich von Moskau, entwickelt haben. Doch sollte der Wunderschuh wirklich in Serie produziert werden, könnte die Erfindung der Tüftler aus dem Ural tatsächlich einen großen Sprung für die Menschheit bedeuten.

Das technische Prinzip des Schnell-Schuhs ist nach russischen Presseberichten schnell erzählt. Der Läufer steht auf zwei etwa 30 Zentimeter langen kolbenförmigen Stelzen. Jede der beiden Stelzen verfügt über eine Sprungfeder sowie einen Zylinder mit eingebautem Verbrennungsmotor. Befestigt wird der Rahmen aus Titan und Aluminium an den Unterschenkeln des Läufers.

Leise knattern die Zweitakt-Stelzen

Beim ersten Schritt wird unter dem Gewicht des Läufers der Sprit im Zylinder zusammengepresst und somit zu einer kleinen Explosion gebracht. Der Rest ist ein Selbstläufer: Die Explosion katapultiert den Läufer in einer Höhe von etwa 25 Zentimeter einige Meter nach vorn, die Landung auf dem zweiten Bein zündet automatisch den zweiten Stiefel. Mit leisem Knattern der Zweitakt-Stelzen katapultiert sich der Schnellläufer Riesenschritt für Riesenschritt nach vorne. Zu Verletzungen oder Unfällen sei es bei keinem der Testläufer gekommen, hört man aus Ufa. Auch der Verbrauch klingt überzeugend: Mit 40 Gramm Benzin im Absatz kommt man mit den Motortretern rund 40 Kilometer weit.

Die zündende Idee kam dem heute 57-jährigen Ingenieur Viktor Gordejew bereits vor dreißig Jahren. Als Soldat der Roten Armee hatte er sich bei einem Gewaltmarsch in den siebziger Jahren Blasen gelaufen. Als Student am staatlichen Luftfahrtinstitut von Ufa beklagte sich Gordejew später bei seinem Institutsleiter über die Unzulänglichkeiten sowjetischer Armeestiefel. Daraufhin erhielt er den Forschungsauftrag, das Leid der Infanterie zu lindern und nach Möglichkeiten zu suchen, die die Truppe bequemer vorwärts bringen könnten. Von Anfang an tüftelte Gordejew an der Idee, Soldatenstiefel mit einem Verbrennungsmotor zu verbinden.

Preis erschwert Markteinstieg

Anfangs zeigten sich die Generäle interessiert, doch dann verstaubte der Entwurf in den Schubladen des Generalstabs. Wer weiß, welche Wende die Geschichte genommen hätte, wenn damals das sowjetische Verteidigungsministerium angebissen hätte. Schließlich wäre die Rote Armee mit dem motorisierten Soldatenstiefel die schnellste Infanterie der Welt gewesen - allerdings auch die lauteste.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion meldete Gordejew das Patent auf seine Schnell-Schuhe an und verfeinerte die Motorstelzen bis zum heutigen Modell aus Titan und Aluminium. Westliche Firmen haben bereits Interesse angemeldet. Der Einstiegspreis von knapp 1000 Euro dürfte allerdings potenzielle Käufer abschrecken und den Sprung auf den Markt erschweren. Zwar hatten Gordejew und seine Kollegen im Frühjahr angekündigt, bis Jahresende 10.000 Paar Wunderschuhe auf den Markt zu bringen, doch bis heute wurde noch kein motorisierter Fußgänger gesichtet. Vorläufig bleibt also abzuwarten, ob das Märchen der Siebenmeilenstiefel wahr wird und die Ingenieure aus Ufa tatsächlich der Menschheit zum großen Sprung verhelfen werden.