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Uraufführung in Wien: Gogol

17. November 2011

Die russische Komponistin Lera Auerbach, eine der meistaufgeführten Komponistinnen der jüngeren Generation, hat ihre neue Oper einem berühmten Landsmann gewidmet, dem großen und tragikumwobenen Dichter Nikolai Gogol.

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GOGOL Premiere Wien, Theater an der Wien, 15. 11. 2011 Natalia USHAKOVA - 20111115_PD4185
GOGOL PremiereBild: picture alliance/APA/picturedesk.com

Lera Auerbach ist ein Phänomen. Vor 38 Jahren erblickte sie in der Industrie-Metropole Tscheljabinsk am Fuße des Urals das Licht der Welt. Sie galt als musikalisches Wunderkind und siedelte mit gerade mal 18 Jahren nach New York um. Heute zählt sie zu den gefragtesten Komponistinnen der Welt. Allein in diesem Jahr blickt sie auf zahlreiche Portraitkonzerte und eine weitere Opernpremiere zurück, denn vor "Gogol" wurde noch die a-capella-Oper "The Blind" in Berlin uraufgeführt. Außerdem komponiert sie gerade ein Auftragswerk für die Staatskapelle Dresden, das als Pendant zu ihrem "Russischen Requiem" den Titel "Deutsches Requiem" tragen wird.

Und jetzt also "Gogol". Mit dem "Theater an der Wien", wo auch schon mal Beethoven als Hauskomponist tätig war, hat sich ein sehr traditionsreiches österreichisches Haus mutig der neuen Musik geöffnet. Jeder Abend, an dem hier eine zeitgenössische Oper uraufgeführt wird, ist ein Festabend.

Babuschkas und Kirchenlieder

Natalia Ushakova als "Hexe", Stella Grigorian als "Tod", am Boden liegend Otto Katzameier als "Nikolai Gogol" und dahinter Florian Lienhart als Nikolka" (Foto: picture alliance / ANDREAS PESSENLEHNER)
Auerbach liebt die Farbenpracht: musikalisch und optischBild: picture alliance/APA/picturedesk.com

Schon ab dem ersten Takt bei "Gogol" ist klar: Es wird russisch, sehr russisch zugehen. Mussorgskys tragische Wucht, die symphonische Farbenpracht eines Rimsky-Korsakows oder Borodins, Schostakowitschs bittere Ironie und dazu russische Romanze pur, kirchlicher Gesang und das einsame Wiegenlied im verschneiten Bauernhäuschen: Der Marktstand russische Musik hätte nicht mannigfaltiger bestückt werden können.

Auerbach collagiert, zitiert und verbindet geschickt, was russische Musikkultur über Jahrhunderte hinweg teilweise qualvoll ausgebrütet hat. Zu der expressionistisch wuchernden Musik wimmelt es dazu auf der Bühne nur so vor Popen, Kommissarinnen, Babuschkas, Prostituierten und anderen Gestalten, die üblicherweise den russischen Kosmos in der westlichen Wahrnehmung repräsentieren.

Mit dem Teufel gegen die Langeweile

Sie wollte auf keinen Fall die Biografie Gogols nacherzählen, so die Komponistin über ihr Werk. Stattdessen konzipierte Lera Auerbach vielmehr eine Art Requiem. Gogol, dem Tode geweiht, begegnet seinen Weggefährten: der Mutter, dem Tod, der Biederkeit, dem kindlichen Alter Ego "Nikolka" und natürlich dem Teufel - dem omnipräsenten "Bes". Vor allem eins habe sie vermeiden wollen, bekennt die Komponistin: Langeweile, die sie selbst bei der Aufführung manch einer modernen Oper schon erlebt habe.

Lera Auerbach (Foto: picture alliance / GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com)
Komponistin Lera AuerbachBild: picture alliance/APA/picturedesk.com pixel

Das möchte sie ihren Hörern ersparen und es gelingt. Eine andere Frage ist es, ob es zu einer eigenständigen Aussage reicht. Vergeblich sucht man in der wuchernden musikalischen Urmaterie nach einem Strang, einem "Ich-Bekenntnis" der Absolventin der Juilliard School of Music in New York. Gogol ist ein einfallsreiches Werk, es schmeichelt dem Ohr, gibt sich effektvoll und handwerklich perfekt; und doch hinterlässt es am Ende das Gefühl einer nicht einmal schmerzhaften Leere.

Mensch gegen Schöpfer

Nicht weniger wichtig als die Musik war für Auerbrach, die sich nicht nur als Komponistin, sondern auch als Dichterin, Schriftstellerin und übrigens auch als Malerin versteht, das Libretto ihres Stücks. Als Grundlage dafür hat sie sich das Leben von Nikolai Gogol ausgesucht.

Otto Katzameier als "Nikolai Gogol" (Foto: picture alliance / ANDREAS PESSENLEHNER / APA / picturedesk.com
Der "Mensch" GogolBild: picture alliance/APA/picturedesk.com

Eine Oper dürstet bekanntlich immer nach Tragischem, nach Existenziellem. Die Tragödie des großen russischen Dichters spielte sich aber nie im Äußeren ab. Nach einem recht ereignisarmen Leben, in dem es kaum Freundschaften und nie so etwas wie Liebe gegeben hatte, fastete sich der 42-jährige zu Tode. Zuvor verbrannte er den zweiten Teil seines Romans "Die toten Seelen", seines wohl wichtigsten Werks. Man kann seinen Tod als Ausbruch des religiösen Wahns oder als letzten Ausweg für einen verzweifelten Idealisten deuten.

Gogol, der Selbstzweifler, der nie Zufriedene, steht im Mittelpunkt des Librettos von Auerbach. Es lebt von Dopplungen und Reflektionen, szenisch unterstützt von der geschickten Regie von Christine Militz. Sogar den krankheitsbedingten Ausfall des Baritons Bo Skovhus, der den Gogol verkörpern sollte, weiß sie sich zur Stärke zu machen: Keine fünf Wochen vor der Premiere wurde die Riesenpartie mit zwei großartigen Sängern besetzt, Martin Winkler und Otto Katzameier. Militz weiß es, den Menschen Gogol und den Schöpfer Gogol gegeneinander antreten zu lassen.

Dirigent Vladimir Fedoseyev (Foto: picture alliance / Schoendorfer / Schöndorfer Karl / picturedesk.com)
Dirigent Vladimir Fedoseyev freut sich über die gelungene PremiereBild: picture alliance / Schoendorfer / Schöndorfer Karl / picturedesk.com

Keine Angst vor Tradition

Die in der neuen europäischen Musik weit verbreitete Atonalität wirft Lera Auerbach einfach über Bord. Das Publikum in Wien bedankte sich bei der Premiere mit langem Applaus für einen Opernabend, der wider Erwarten keinerlei schwierige Hörerlebnisse bereitet hatte.

Man könnte fast hoffen, dass dieses kompromisslose Bekenntnis zur Tradition und Tonalität die wahre und vielleicht auch folgenreiche Aussage von Auerbachs "Gogol" ist.

Autorin: Anastassia Boutsko
Redaktion: Suzanne Cords