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Russland übernimmt Vorsitz im Ministerkomitee des Europarats

18. Mai 2006

Erstmals übernimmt Russland den Vorsitz in einem europäischen Gremium – ein Land, das scharf wegen demokratischer Defizite kritisiert wird. Beobachter sehen der Präsidentschaft Russlands mit Spannung und Sorge entgegen.

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Der Europarat in Straßburg - das "Gewissen Europas"

Der Europarat ist die größte und älteste europäische Institution. Er wird auch das "Gewissen Europas" genannt, denn er setzt sich in erster Linie für Demokratie und Menschenrechte ein. Inzwischen gehören ihm 46 Mitgliedstaaten von Albanien bis Zypern an. Jedes Land übernimmt reihum für sechs Monate den Vorsitz im Ministerkomitee, dem Entscheidungsgremium des Europarats. Es besteht aus den Außenministern der Mitgliedsländer. Am Freitag (19.5.) geht der Vorsitz zum ersten Mal an Russland.

Reine Formsache?

Die russische Präsidentschaft im Ministerkomitee des Europarats, ist eigentlich eine Formsache: Der Vorsitz wechselt reihum zwischen den Mitgliedern, die Reihenfolge richtet sich nach dem englischen Alphabet. Vor Russland war Rumänien an der Reihe, ab November wird der Kleinstaat San Marino die Leitung übernehmen. Doch schon als einfaches Mitgliedsland ist Russland umstritten. Das belegen zahlreiche Resolutionen, Appelle und Mahnungen.

Freundlich im Ton, knallhart in der Sache

Auch zehn Jahre nach dem Beitritt der Russischen Föderation zum Europarat steht die Lage im Land regelmäßig auf der Tagesordnung des so genannten Monitoring-Ausschusses, der überprüft, ob ein Mitgliedsstaat alle eingegangenen Verpflichtungen einhält. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gehört diesem Ausschuss an. Sie ist Mitglied der deutschen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats und hat bereits einige Erfahrungen mit russischen Parlamentariern und deren Umgang mit Kritik gemacht: "Da war die Reaktion doch zunächst eher freundlich, aber in der Sache knallhart. Die russische Delegation lässt sich auf nichts ein. Sie versucht, mit vielen, vielen Änderungsanträgen einen vorgelegten Berichtsentwurf in ihrem Sinne zu korrigieren und agiert da sehr konzentriert mit ihrer großen Delegation - ich denke, da ist die russische Delegation eher die Vorhut der russischen Regierung in Straßburg."

Russland als Opfer

Insgesamt 18 russische Abgeordnete vertreten ihr Land in der Parlamentarischen Versammlung. Die russische Delegation ist damit eine der größten, neben Deutschland, Italien, Frankreich und Großbritannien. Diese fünf Staaten finanzieren mit ihren Beitragszahlungen mehr als die Hälfte des Gesamtetats. Ein weiterer Streitpunkt: Noch im Januar dieses Jahres hatte Russland damit gedroht, seinen Beitrag zu reduzieren, weil der Nutzen sich nicht erkennen lasse. Derartige Einschätzungen der russischen Delegation sorgen immer wieder für Irritationen bei den übrigen Parlamentariern. Konstantin Kosatschow, der Leiter der russischen Delegation beim Europarat, sieht sein Land dagegen eher in der Opferrolle: Als der Europarat im vergangenen Jahr heftig demokratische Defizite in Russland kritisierte, sagte Kosatschow in Moskau: "Russland wurden neue Forderungen vorgelegt, die eigentlich nicht zu unseren ursprünglichen Verpflichtungen gehörten. Dem zu entkommen ist offenbar unmöglich, denn Russland scheint für die Parlamentarische Versammlung des Europarats ein besonders verlockendes Ziel zu sein."

Eine politische Überlegung

Aus Sicht der Parlamentarischen Versammlung steht Russland nicht ohne Grund immer wieder in der Kritik: Demokratische Defizite, die Lage in Tschetschenien, wachsender Rassismus und die Lage in der Armee sind nur einige der Punkte, die den Beobachtern Sorgen bereiten. Einige von ihnen hoffen, Russland könne seine Präsidentschaft nutzen, um auch Probleme im eigenen Land anzusprechen. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hält das für eher unwahrscheinlich - sie glaubt, dass sich alle Seiten mit öffentlicher Kritik zurückhalten werden: "Letztendlich könnte es ja sein, dass man auch beim Generalsekretär oder beim Präsidenten der Versammlung nicht möchte, dass während der Russischen Präsidentschaft eben auch Russland kritisiert wird. Das ist dann eben eine politische Überlegung - und da wäre es doch sehr spannend, einmal zu sehen, ob man nur die gute Partnerschaft, die ja auch wichtig ist, in den Vordergrund stellt, oder sie aber auch ganz deutlich mit wichtiger Kritik unterlegt."

Hoffen auf neue Impulse

Dennoch: Viele erhoffen sich von der russischen Präsidentschaft neue Impulse - zumindest in den zerrütteten Beziehungen zu Weißrussland. Das international isolierte Weißrussland ist der einzige europäische Staat, der nicht dem Europarat angehört. Russland sei als Mitgliedsland des Europarats dazu verpflichtet, den Demokratisierungsprozess dort vorantreiben, so die Meinung der Parlamentarischen Versammlung. Schließlich gelten der russische Präsident Putin und der weißrussische Staatschef Lukaschenko als Verbündete. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist jedoch auch in diesem Punkt skeptisch: "Die russische Regierung denkt überhaupt nicht daran, auf Lukaschenko einzuwirken im Hinblick auf Stärkung der Opposition und Entwicklung zu mehr Demokratie, sondern im Gegenteil. Ich habe keinerlei Hoffnung, dass die russische Präsidentschaft im Ministerkomitee da etwas anderes initiieren wird."

Erste Anzeichen für erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Russland und dem Europarat in dieser Frage gab es bereits nach den umstrittenen Wahlen in Weißrussland im März dieses Jahres: Während die Parlamentarische Versammlung die Wahlen als undemokratisch anprangerte, würdigte Moskau sie als objektiv und als freie Meinungsäußerung des weißrussischen Volkes, die man respektieren müsse. Auch aus diesem Grund sehen viele Parlamentarier im Europarat den Vorsitz Russlands weniger mit Hoffnung als mit Sorge.

Britta Kleymann
DW-RADIO, 19.5.2006, Fokus Ost-Südost