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Russland darf man nicht duzen

Sabine Kinkartz, Berlin7. Oktober 2014

Weiß der russische Präsident schon genau, was er mit der Ukraine vorhat - oder wird das davon abhängen, wie leicht der Westen es Wladimir Putin macht? EU und NATO müssen mehr Stärke zeigen, fordern Sicherheitsexperten.

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Wladimir Putin, Präsident Russland (Foto: Getty Images)
Bild: Getty Images/AFP/Kirill Kudravtsev

Wie geht es weiter in der Ukraine? Einen Monat alt ist die mit Russland vereinbarte Waffenruhe, geschossen wird in den umkämpften Gebieten im Osten des Landes trotzdem. Entspannung soll eine 30 Kilometer breite Pufferzone bringen, überwacht von der OSZE. Von der EU verhängte Sanktionen sollen dafür sorgen, dass Russland Schwäche spürt und konstruktiv einlenkt. "Das wird nicht geschehen", prophezeit Rainer Lindner, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft. "Die Wirtschaftssanktionen bewirken ein noch engeres Zusammenrücken einer heroischen russischen Gesellschaft."

Über die Zukunft der Ukraine werde allein in Russland entschieden, ergänzt der SPD-Bundestagsabgeordnete Fritz Felgentreu. "Die territoriale Einheit der Ukraine bekommen wir im Moment nur zu Moskaus Bedingungen und ich weiß nicht, ob das der Weg sein wird, den wir für richtig halten." Denn klar sei doch, dass der russische Präsident Wladimir Putin nicht nur die Krim beanspruche. "Die wollen nicht nur ein Stück vom Kuchen, die wollen den ganzen Kuchen."

Düstere Aussichten

Es besteht kein Grund, optimistisch zu sein: Das ist der Tenor der Diskussion über "Ukraine, Osteuropa, Russland - sicherheitspolitische und finanzielle Risiken", die am Dienstag auf dem Programm des Deutschen Forums Sicherheitspolitik steht. Es sei ein Fehler gewesen, die Ukraine im Rahmen der Minsker Vereinbarung mit Russland alleine verhandeln zu lassen, kritisiert Marieluise Beck, Sprecherin für Osteuropapolitik in der Bundestagsfraktion der Grünen. "Der Einfluss der OSZE tendiert gegen Null." Nach den militärischen Erfolgen der von Russland unterstützten Separatisten sei die Verhandlungsbasis für den ukrainischen Präsidenten denkbar schlecht. "Da kann Herr Poroschenko doch nur fragen, wie viel wollen Sie denn haben, Herr Putin?"

Marieluise Beck, Sprecherin für Osteuropapolitik und Obfrau im Auswärtigen Ausschuss der Bundestages (Foto: O. Evdokimova)
Wegen ihrer harten Haltung gegenüber Russland in ihrer Partei als "Kriegstreiberin" beschimpft: Marieluise BeckBild: Oxana Evdokimova

Beck fordert von der EU, sich stärker einzumischen und auch die NATO müsse der russischen Expansionspolitik mehr entgegensetzen. Das sei derzeit nicht der Fall. "Putin will zeigen, dass der dekadente Westen überhaupt nicht in der Lage ist, sich zu verteidigen", urteilt die grüne Parlamentarierin und verweist auf das sogenannte Budapester Memorandum aus dem Jahr 1994. In dem hatten die USA, Großbritannien, Frankreich und Russland die territoriale Integrität der Ukraine garantiert. Vor kurzem habe sie bei einem Besuch in Washington auf das Memorandum verwiesen, erzählt Beck. Auf die Frage, welche Konsequenzen es habe, die Vereinbarung zu brechen, habe sie aber nur abwehrende und beschwichtigende Antworten erhalten.

Warnungen aus Polen

Beck ist sicher: Der russische Präsident wolle die NATO vorführen und zeigen, dass das Bündnis nur ein Papiertiger sei. Als Beispiel verweist sie auf einen Vorfall Anfang September, als russische Einheiten die Grenze nach Estland überquerten und dort einen estnischen Offizier entführten. "Was ist passiert? Nichts." Es beantworte auch kein Mensch die Frage, wie NATO und EU reagierten, wenn Putin nach der Krim auch andere Gebiete annektieren würde.

Das sieht der polnische Botschafter in Deutschland, Jerzy Jozef Marganski, ähnlich. "Wir müssen unsere Denkmuster revidieren und auch die Sicherheitspolitik der letzten 20 Jahre." Die habe auf Vertrauen statt auf Abschreckung gesetzt. "Wir haben unsere Streitkräfte in den vergangenen 15 Jahren massiv abgebaut und unsere Militärdoktrinen so umgestaltet, dass wir uns nicht mehr auf die Landesverteidigung, sondern auf NATO-Einsätze außerhalb unseres Bündnisgebietes konzentriert haben." Als beste Sicherheitsgarantie für Europa habe die Zusammenarbeit mit Russland gegolten.

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"Die Grundlage für diese Politik ist nicht mehr da", urteilt Marganski und fordert Konsequenzen. "Unsere Sicherheitspolitik war für den Frieden konzipiert und nicht für den Krieg." Ausgerechnet auf ihrer Ostflanke habe die NATO jedoch eine deutliche Schwäche, weil sich dort kaum fremde alliierte Kräfte aufhalten würden. Marganski meint damit vor allem US-amerikanische Truppen. Im Zuge der Ukraine-Krise seien in Polen rund 500 US-Soldaten positioniert worden, in Rumänien seien es rund 1000, an der Grenze zur Ukraine und Russland gebe es aber keine Soldaten. "Man muss das als nichts anderes als eine Schwäche des gesamten Bündnisses bezeichnen", urteilt der polnische Botschafter.

Fehler liegen Jahre zurück

Der Westen habe zu spät reagiert, stellt Marieluise Beck fest. Daher habe er der russischen Expansionspolitik im Moment so wenig entgegenzusetzen. Spätestens seit dem Kaukasuskrieg 2008, als russische Truppen in Georgien einmarschierten, hätten die EU und die NATO wissen müssen, wohin Russland steuert. "Es hätte ein Weckruf sein müssen, aber wir zogen es vor, die Schlummertaste zu drücken", sagt der SPD-Abgeordnete Fritz Felgentreu. "Wir hätten durch ein festes Bekenntnis zu dem, was wir außenpolitisch für richtig halten und was die europäischen Werte sind - bei gleichzeitigem Ernstnehmen der russischen Seite -, eine andere Position heute." Bereits der frühere russische Präsident Boris Jelzin habe einst gesagt, Russland dürfe man nie duzen.

Darüber nachzudenken, was hätte sein können, hilft aus der gegenwärtigen Lage allerdings nicht heraus. Zu fragen sei jetzt, wie der Westen mit Ländern umgehe, die unmittelbar und konkret von Russland angegriffen werden, betont Fritz Felgentreu. Was bedeute das für NATO und EU? Man müsse nüchterne Bedrohungsanalysen erstellen und Abschreckungsszenarien entwickeln. "Das sind die Hausaufgaben eines Bündnisses", so der SPD-Politiker.

"Russland hat deutlich gemacht, dass es sich nicht mehr an den vereinbarten Konsens in Europa gebunden fühlt, an den wir uns gerne gewöhnt haben", sagt Ralf Brauksiepe, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium. Er hält es vor allem für wichtig, dass die jeweils 28 Mitglieder der EU und der NATO weiter geschlossen und entschlossen auftreten. "Das ist nicht banal, weil es natürlich nicht unbedingt unterschiedliche Wahrnehmungen, aber dafür unterschiedliche Prioritäten dafür gibt, was wir tun können."

Bundesregierung setzt auf Sanktionen

Die EU müsse bei Sanktionen einen langen Atem haben, meint Brauksiepe. Der Umstand, dass die Sanktionen noch keine unmittelbaren Reaktionen in der russischen Bevölkerung ausgelöst hätten, bedeute nicht, dass sie nicht wirken würden. "Wir wissen, dass wir in Russland andere Verhältnisse haben als bei uns, wo es undenkbar wäre, dass so etwas akzeptiert würde."

Er habe immer noch die Hoffnung, dass das die derzeit massiven Spannungen in der Ukraine nicht von Dauer sein werden, sagt der CDU-Politiker. "Trotzdem müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass es kein Zurück geben wird, wir werden keine Situation mehr haben wie vor einem Jahr." Dafür sei zu viel und zu nachhaltig Vertrauen zerstört worden.

So denkt auch der polnische Botschafter. Einen neuen kalten Krieg werde es mit Russland wahrscheinlich nicht geben - aber der Westen müsse wohl immer wieder mit Sanktionen und militärischer Präsenz agieren, denn es verfestige sich eine "mit Spannungen belastete, kalte Nachbarschaft."