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Russland: Extremismusgesetze weiter verschärft

12. Juli 2007

Die russische Staatsduma hat die geltenden Regelungen im Kampf gegen Terrorismus weiter verschärft. Viele Abgeordnete loben die Maßnahmen, andere fürchten Missbrauch zum Schaden der Opposition.

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Einfache Demonstranten oder "Extremisten"?Bild: picture-alliance/ dpa

Das Gesetzespaket zur Änderung der Extremismusgesetze, das am vergangenen Freitag (6.7.) nach dritter Lesung erlassen wurde, spaltet die Abgeordneten der Duma in zwei gegensätzliche Lager. Die Befürworter sehen in den Änderungen einen wichtigen Schritt im Kampf gegen „faschistische und nationalistische Tendenzen“. Gegner befürchten, dass nach den neuen Regelungen Menschen oder Organisationen willkürlich als „Extremisten“ eingestuft werden könnten.

Viel Spielraum für Urteile

Regelungen zur Beschränkung von Telefonabhöraktionen wurden aufgehoben. Laut neuer Gesetzeslage dürfen nun auch Gespräche eines Verdächtigen zwischen seinen Freunden und Bekannten mitgeschnitten werden. Nach dem Gesetz dürfen Medien keine extremistischen Inhalte verbreiten. Außerdem wurde der neue Strafbestand „Aufhetzen gegen einzelne soziale Gruppen“ eingeführt. Der Abgeordnete Nikolaj Gudkow sagte gegenüber DW-RADIO: „Das heißt, wenn ich öffentlich sage ‚Schurke, verfluchter Beamte, Blutsauger‘, könnte ich theoretisch bis zu sieben Jahre Haft bekommen, da auch Beamte zu einer bestimmten sozialen Gruppe gehören“.

Neues Gesetz, alte Traditionen?

Mit besonderer Sorge beobachten Menschenrechtler diese Entwicklung. Der Vorsitzende der Bewegung „Für Menschenrechte“, Lew Ponomarjow, wurde vor zwei Wochen von der Staatsanwaltschaft wegen Extremismusverdachts vorgeladen. Sein Fall sei keine Seltenheit, erklärte Ponomarjow: „Leider wird häufig versucht, mit der Extremismus-Regelung Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu strafrechtlicher Verantwortung zu ziehen. Die Staatsmacht bestraft diejenigen, die ihr Widerstand leisten. Der Paragraph über Extremismus ähnelt dem Paragraphen über antisowjetische Tätigkeiten, der zu Zeiten der Sowjetunion galt“.

„Gummiparagraphen“

Der Direktor des russischen Analysezentrums „Sowa“, Alexandr Werchowskij, betrachtet die Extremismusgesetze als „Gummiparagraphen“. Ihm zufolge habe man die gesetzlichen Regelungen im Kampf gegen Extremismus schon früher für politische Zwecke missbraucht, und nach der Gesetzesänderung werde dies noch zunehmen. Werchowskij erklärte: „Der Begriff ‚Extremistische Tätigkeit’ ist ein sehr ungenauer; darum wird es nun noch einfacher, Menschen zu strafrechtlicher Verantwortung zu ziehen. In Russland hat es Tradition, Antiextremismusgesetze zu instrumentalisieren. Am häufigsten leiden darunter oppositionelle Organisationen. Früher waren es Einzelfälle, nun kommt es ungefähr einmal pro Woche zu solchen Anklagen“.

Sieben Jahre Haft nach Demonstration?

Alexandr Werchowskij führt ein Beispiel an, wie das Extremismusgesetz als ein Mittel der Staatsgewalt im Kampf gegen oppositionelle Bestrebungen benutzt werden könnte: „ Dem Paragraphen ‚über Rowdytum, Massenunruhen und Vandalismus aus Rassen-, National- oder Religionshass’ sind nun auch ideologische und politische Gründe hinzugefügt. Stellen Sie sich eine Demonstration vor. Ein Polizist wird von einem Teilnehmer verprügelt oder ein Schaufenster geht zu Bruch. Würde dieser Teilnehmer zur Nationalpartei, zur „Union Rechter Kräfte“ oder zu irgendeiner anderen Oppositionspartei gehören und aus ideologischen Gründen an dieser Demonstration teilnehmen, könnte er laut neuem Extremismusgesetz bis zu sieben Jahre Haft bekommen - und nicht nur dieser Einzeltäter, sondern alle, die an der Demonstration teilnehmen. Das neue Extremismusgesetz ist deswegen eine zusätzliche Handhabe, Druck auf den politischen Gegner auszuüben“.

Menschenrechtler sind sich einig, warum die Gesetzte erneut verschärft wurden, nachdem erst im April Taten mit extremistischem Hintergrund mit Schwerverbrechen gleichgestellt wurden: um dem Staatsapparat vor den bevorstehenden Wahlen im Dezember neue Sanktionsmöglichkeiten zu sichern.

Egor Winogradow

DW-RADIO/Russisch, 6.7.2007, Fokus Ost-Südost