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Russland: Gesamtkunstwerk St. Petersburg in Gefahr

13. August 2009

Noch genießt St. Petersburg den Status als UNESCO-Weltkulturerbe. Doch die Städteplaner setzen das architektonische Ensemble mehr und mehr aufs Spiel. Zu diesem Schluss kommt der Bericht russischer Denkmalschützer.

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Uferpromenade an der NewaBild: picture-alliance / dpa

Wenn die Behörden von St. Petersburg ihre Stadtplanung so fortsetzen, dann wird die Stadt aufhören, als historisches und architektonisches Phänomen zu existieren. Zu dieser düsteren Schlussfolgerung kommt die Moskauer Gesellschaft zum Schutz des architektonischen Erbes in einem Bericht, der Ende Juli veröffentlicht wurde. Vertreter der gesellschaftlichen Organisationen kämpfen für den Erhalt des historischen Erscheinungsbildes der Stadt an der Newa. Sie sind ernsthaft besorgt, dass St. Petersburg von der UNESCO-Liste als Weltkulturerbe gestrichen werden könnte.

St. Petersburg
Der Newskij-ProspektBild: dpa

Grund dafür gebe es genug, meint der Architektur-Experte Aleksej Jarema. Ihm zufolge verfolge die UNESCO die Planungen zum Bau des Gasprom-Wolkenkratzers aufmerksam. Das Gebäude soll in unmittelbarer Sichtweite der Innenstadt 400 Meter in den Himmel ragen. Das sei aber nicht das einzige Problem: "Die aufsehenerregendsten Gebäudeabrisse, die wir in den vergangenen drei Jahren beobachtet haben, waren die am Newskij-Prospekt, wo man ganze Blöcke niedergerissen hat. Abgerissen wurde ein ganzer Block historischer Gebäude am Obvodnyj-Kanal - 23 Häuser", so der Experte.

Punktsiege im Kampf gegen Bau-Giganten

Einwände gegen den Bau des Gasprom-Wolkenkratzers hat die Gouverneurin von St. Petersburg, Walentina Matwijenko, nicht. Dennoch gelingt es mitunter Vertretern gesellschaftlicher Organisationen, Punktsiege gegen die Befürworter von Neubauprojekten zu erringen. Antonina Jelisejewa von der Bewegung Lebendige Stadt berichtet, wie es gelang, ein historisches Gebäude auf der Petrograder Seite vor dem Abriss zu bewahren. "Nach einem neuen Gesetz ist ein Abriss von Gebäuden, die vor 1917 errichtet wurden, nicht zulässig. Dort war dennoch ein Neubau geplant. Aber die Staatsanwaltschaft untersagte das Vorhaben und ordnete an, das Projekt zu ändern", sagte Jelisejewa der Deutschen Welle.

G8 Gipfel in Sankt Petersburg, Russland
Die Wassiljewski-InselBild: AP

Mit der Organisation Lebendige Stadt arbeitet die Petersburger Abteilung der All-Russischen Gesellschaft zum Schutz von Denkmälern der Geschichte und Kultur zusammen, ebenso viele Kunsthistoriker, Architekten, Journalisten und Kulturschaffende. Der berühmte Rockmusiker Jurij Schewtschuk ist auch aktiv und präsentiert oft einem breiteren Publikum Fotografien von abgerissenen historischen Gebäuden in St. Petersburg.

Gesetze gegen die Bau-Lobby

Nach Angaben der Organisation Lebendige Stadt hat St. Petersburg allein während der Amtszeit von Gouverneurin Matwijenko seit 2003 136 Gebäude von historischer Bedeutung verloren. Hinter jedem Abriss alter Gebäude und dem Neubau von Gewerbeimmobilien stehen in der Regel Investoren und große Baufirmen. Etwa 90 Prozent der Ausschreibungen für den Bau neuer Anlagen gehen auf den Wunsch bestimmter Investoren zurück, erklärt der Architektur-Experte Jarema der Deutschen Welle. Noch vor der Antragstellung würden sie die Wohnungen in denkmalgeschützten Häusern aufkaufen, um diese dann abzureißen und an deren Stelle Hotels, Supermärkte oder luxuriöse Fitness-Clubs zu errichten.

Jarema meint, St. Petersburg könnte in der Lage sein, den Titel als UNESCO-Weltkulturerbe zu bewahren, aber dafür müsse noch viel mehr getan werden. Antonina Jelisejewa fügt hinzu: "Wir sollten mit den Behörden zusammenarbeiten und sie zu Kompromissen zwingen. Manchmal gelingt dies, mag es auch seltsam erscheinen." Im vergangenen Winter wurden in St. Petersburg zwei Gesetze verabschiedet, die heftige Einwände mehrerer Investmentgesellschaften hervorriefen. So sieht ein Gesetz strenge Auflagen beim Bau im historischen Teil der Stadt vor. Solche kleinen Etappensiege zeigen den Aktivisten, dass sich die Anstrengungen lohnen.

Autor: Vladimir Izotov / Markian Ostaptschuk
Redaktion: Birgit Görtz