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Russland: Kritik an russischem Gesetz zur Terrorbekämpfung

1. Februar 2007

Westliche Menschenrechts-Experten haben mit ihren russischen Kollegen über Terrorismusbekämpfung diskutiert. Sie kamen zum Ergebnis, dass die russische Staatsmacht die terroristische Bedrohung für eigene Ziele ausnutzt.

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Türen russischer Behörden blieben für Mary Robinson verschlossenBild: AP

Wenn es die Situation verlangt, dann darf die russische Staatsmacht sich in das Privatleben von Menschen einmischen, Telefone abhören, den Zugang zu Kommunikationsmitteln einschränken, Transportmittel beschlagnahmen und sogar Flugzeuge abschießen. Diese und andere weitreichende Befugnisse erhalten die zuständigen Organe, wenn der Beginn eines Einsatzes zur Terrorabwehr angeordnet wurde. Abgeordnete der Staatsduma wie zum Beispiel Aleksandr Gurow sind der Meinung, das russische Gesetz zur Terrorbekämpfung sei das beste weltweit. Das Gesetz sei einzigartig, so Gurow, weil es rechtliche, verwaltungstechnische und strafrechtliche Maßnahmen vorsehe.

Nach Ansicht von Aleksej Malaschenko vom Moskauer Carnegie-Zentrum hingegen geht das Gesetz zu weit. Zu berücksichtigen sei dabei auch, wie mit Gesetzen in Russland umgegangen werde. In diesem Zusammenhang merkte Malaschenko ironisch an, die Verfassung unter Stalin sei auch weltweit die demokratischste gewesen.

Terror als Joker der Politik

Eine Delegation der International Commission of Jurists (ICJ) unter Leitung der ehemaligen Hohen Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Mary Robinson, zeigte sich denn auch in Moskau von dem russischen Anti-Terror-Gesetz nicht begeistert. Während einer Anhörung zum Thema Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte am 29. und 30. Januar, an der sich internationale Anwälte sowie westliche und russische Menschenrechtler beteiligten, kam Robinson zu dem Ergebnis, dass der Terrorismus ein Joker im Spiel der russischen Politiker war und ist. Ihr zufolge ist es kein Geheimnis, dass der Kampf gegen den Terror auch für gewisse politische Ziele genutzt wird. Das passiere ziemlich oft, sagte Robinson. Außerdem könnten bei Anwendung des Gesetzes zur Terrorismusbekämpfung die Menschenrechte verletzt werden. Im Rahmen der Terrorbekämpfung würden zudem häufig die demokratischen Freiheiten eingeschränkt. Ein Beispiel dafür sei, dass nach dem Terrorakt in Beslan die Gouverneurswahlen abgesagt wurden.

Beispiel Tschetschenien

Die Lage in Tschetschenien wurde auch als Beispiel dafür genannt, dass sich Politik und Terrorismus gegenseitig beeinflussen. Der Duma-Abgeordnete Gurow erklärte, gerade die Staatsmacht habe diese Situation provoziert. Ihm zufolge wurde der Krieg in Tschetschenien vom Zentrum entfesselt: "Aus meiner Sicht ist dies ein politisches Verbrechen, vielleicht sogar eine Straftat. Ich denke, man hätte alles regeln können, ohne die so genannte ‚Verfassungsordnung‘ wiederherzustellen." Die Menschenrechtler sprachen von Staatsterrorismus und erläuterten, wie dieser das Leben im Lande verändert habe. In einer gemeinsamen Studie der Menschenrechtsorganisationen Memorial und Demos heißt es, dass allein während des zweiten Tschetschenien-Krieges zwischen 3000 und 5000 Menschen spurlos verschwunden seien. Genaue Zahlen könne man nicht nennen, betonte die Leiterin von Demos, Tatjana Lokschina.

Mangel an Informationen

Eine weitere Folge der staatlichen Terrorismusbekämpfung sei der Mangel an Informationen, so Robinson. Der Vorwurf, "Mithelfer von Terroristen" zu sein, könne die Arbeit von Journalisten ernsthaft behindern. Dies führe wiederum dazu, dass das Interesse abnehme, über solche Ereignisse zu berichten. Auch von den Behörden haben die angereisten Experten keine weiteren Informationen erhalten. Die Menschenrechtler bedauerten, dass keine Vertreter der Staatsmacht ihrer Anhörung beiwohnten. Zudem wollten die meisten zuständigen Behörden, mit Ausnahme des Justizministeriums, die Delegation unter Leitung von Mary Robinson gar nicht empfangen. "Das Innenministerium, die Staatsanwaltschaft, der Föderale Sicherheitsdienst sowie das Außenministerium lehnten Treffen ihrer Vertreter mit der Delegation ab", heißt es in einer Erklärung der International Commission of Jurists. Die Organisation teilte ferner mit, "in der gegebenen Situation entschied sich die Gruppe der Anwälte, Russland einen Tag früher als geplant zu verlassen."

Jegor Winogradow
DW-RADIO/Russisch, 30.1.2007, Fokus Ost-Südost