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Russlands Sorge, Amerikas Freude

Bernd Riegert, Brüssel29. März 2004

Mit Festakten in Washington und Brüssel vollzieht die NATO die Erweiterung bis an die Grenze Russlands. Damit werden vor allem Verbindungen zwischen den USA und dem - neuen - Europa gestärkt. Bernd Riegert kommentiert.

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Die Regierungschefs von sieben ehemaligen kommunistischen Staaten Osteuropas werden am Montag (29.3.) von US-Präsident George Bush im Weißen Haus empfangen, am Freitag (2.4.) sollen die Flaggen der neuen Mitglieder im Beisein ihrer Außenminister am NATO-Hauptquartier in Brüssel gehisst werden. Rumänien als größter Neuzugang bringt 93.000 Soldaten und einen Militärhaushalt von rund einer Milliarde Euro auf, die übrigen Neumitglieder Bulgarien, Slowakische Republik, Slowenien, Estland, Lettland und Litauen haben zusammen weniger als 100.000 Soldaten.

Das nordatlantische Verteidigungsbündnis dehnt sich damit auf einen Schlag enorm aus. Durch die Aufnahme von sieben osteuropäischen Staaten erhält die NATO in Europa eine Landmasse, die von der Nordsee bis zum Schwarzen Meer reicht. Mit Slowenien rückt sie näher an den Krisenherd Balkan heran. Die Spaltung des Kontinents nach dem Zweiten Weltkrieg ist damit endgültig überwunden. Zur NATO gehören jetzt weite Teile des ehemaligen sowjetisch dominierten Militärbündnisses Warschauer Pakt. Mit den drei baltischen Staaten treten Gebiete bei, die früher zur Sowjetunion gehörten. Russland und die NATO sind heute durch ein besonderes Kooperationsabkommen verbunden, das vor 13 Jahren beim Zerfall der Sowjetunion noch undenkbar gewesen wäre.

Die Landkarten mögen sich verändern, doch das alte Denken besteht teilweise leider noch fort. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sieht die russische Sicherheit bedroht, was angesichts der militärischen Stärke der baltischen Staaten und der NATO-Strategie der Kooperation ein schlechter Witz ist. Russland hat im NATO-Russland-Rat Mitspracherecht in allen Fragen, außer es geht um den Bündnisfall. NATO-Diplomaten beklagen aber immer wieder, die russischen Vertreter würden dieses Instrument wenig nutzen, sondern gefielen sich eher in der Rolle des Bedrohten.

Die NATO verfolgt keine offensive Doktrin, wie der russische Verteidigungsminister Sergej Iwanow jüngst behauptete. Sie ist vielmehr dabei, ihre Streitkräfte zu schnellen Eingreiftruppen umzubauen, die weltweit gegen Terroristen und bei Krisen durch scheiternde Staaten eingesetzt werden können.

Die USA nutzen auf der anderen Seite die Gelegenheit dazu, ihre Standorte weiter nach Osten zu verschieben. Von Bulgarien und Rumänien auslassen sich weite Teile des Krisenbogens vom Kaukasus bis nach Zentralasien einfacher erreichen. Vom Baltikum aus können die USA mit der NATO-Luftraumüberwachung weit in russisches Gebiet spähen.

Um die Spannungen abzumildern, die Russland vor dem Beitritt der Sieben noch einmal bewusst geschürt hat, sollte die NATO auf die russische Forderung eingehen und über den Vertrag zur konventionellen Rüstung (KSE) noch einmal sprechen. Russland verlangt, dass die drei baltischen NATO-Neumitglieder sowie Slowenien dem KSE-Vertrag beitreten, dadurch würden Obergrenzen für die Stärke eigener und fremder Truppen in diesen Ländern wirksam.

Die große Erweiterungsrunde hat US-Präsident George W. Bush durchgesetzt. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 heißt die Devise "Je mehr Mitglieder mitmachen, desto größer die Sicherheit".

Es kommt auf den politischen Willen der Kandidaten an und nicht so sehr auf ihre militärischen Fähigkeiten. Die sind nämlich weitestgehend zu vernachlässigen. Aber die sieben Beitrittsländer standen während des Irak-Krieges stramm an der Seite der USA und Großbritanniens.

Geographisch ist das zwar paradox, aber durch die Verschiebung nach Osten wird die Allianz wieder transatlantischer, weil die USA enge Freunde dazu gewinnen.