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Sail Bremerhaven 2005 - Von Schiffen und Menschen

Constantin Schreiber15. August 2005

Die Sail Bremerhaven ist die größte Windjammerparade Europas. Fünf Tage lang kamen sich Besatzungen und Besucher aus aller Welt an der Nordseeküste näher. Constantin Schreiber war dabei.

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Besucherandrang am Pier in Bremerhaven
Hanse Sail Rostock 2005 Hafen
Blick über den Hafen und auf die "Windjammer"

Ich bin mitten in Bremerhaven und verstehe kein Wort. Um mich herum dutzende Matrosen in den verschiedensten Uniformen, gut gelaunt und gesprächig. Ich bin auf dem indonesischen Segler "Dewarutji" und die Matrosen kommen von der fernen Insel Java. Der Name "Dewarutji" stammt aus der indonesischen Sagenwelt und steht für den Beschützer der Meere. Von Deck habe ich einen guten Blick über den gesamten Hafen. Quer gegenüber liegt die "Shabab" aus dem Oman. Am anderen Ende des Hafenbeckens kann ich die "Amerigo Vespucci" erkennen, den italienischen Besucherliebling, mit den reichen goldenen Verzierungen.

Die Indonesier hatten eine besonders lange Anreise, haben auf dem Weg nach Bremerhaven Asien und Afrika hinter sich gelassen. Der Kapitän des Schiffs ist ein kleiner Mann mit einer viel zu großen Mütze auf dem Kopf. Man hat Angst, sie könnte ihm jeden Moment über die Ohren sacken. Er hat ein bedeutungsschweres Gesicht aufgelegt, und lächelt nie. Er lächelt auch nicht, als ein kleines Kind an seiner dunkelblauen Uniform zupft und ein Foto von ihm machen will.

Sail in Bremerhaven 20
Sail in BremerhavenBild: DW

Auf einmal höre ich ein Frauenlachen. "Great!" ruft die Frau. Sie kommt herüber und stellt sich als Heather vor. Sie kommt aus den USA, aus Los Angeles, Orange County. Heather ist eigens für die "Sail" nach Bremerhaven geflogen und ist begeistert. "Die Menschen, die Schiffe, ja sogar das Wetter! Great!" Das Wetter? Es ist kalt und stürmisch. "Wäre es zu heiß, könnte man sich gar nicht den ganzen Tag alles anschauen!", sagt sie, lacht und knufft dem mürrischen indonesischen Kapitän in die Seite. Der schaut überrascht. Dann geschieht das Unerwartete: Er bricht in lautes Lachen aus. "Very cold" sagt er. Wahrscheinlich war ihm einfach nur kalt, doch jetzt ist das Eis gebrochen.

Seefahrerromantik

Sail in Bremerhaven 26
Der "markante Albatros" am Bug der "Gorch Fock"Bild: DW

"Die weiße Barke mit dem markanten Albatros am Bug" - so wirbt die "Gorch Fock" für sich. Das deutsche Segelschulschiff liegt im Zentrum des Hafens, umringt von der ganzen Welt. Die "Gorch Fock" ist ein schönes Schiff, aus weißen Planken, Messing und lackiertem Holz. Schlicht und elegant, so treibt sie im ruhigen Wasser des Hafens.

So weiß wie die Planken sind auch die Matrosenuniformen von Tobias, Sebastian und Andreas, 19, 20 und 22. Die drei stehen etwas abseits an der Rehling und blicken hinab auf die Menschen am Pier. Sebastian ist ein Dreikäsehoch, mit Sommersprossen auf der Nase und strohblonden Haaren, groß und schlacksig. Er gähnt.

Hanse Sail Rostock 2005 Hafen
Die indonesische "Dewarutji"

"Manchmal denk ich, es wäre besser beim Heer oder der Luftwaffe, das wäre weniger Arbeit." "Das schlimmste", sagt Andreas, "ist der Abwaschdienst". "Nein", widerspricht Tobias, "Ausguck!". Alle drei nicken und gähnen. "Beim Ausguckdienst muss man von 24 Uhr bis 4 Uhr morgens am Bug sitzen und die See beobachten. Wenn wir ein Schiff sehen, müssen wir über ein Sprachrohr dem Kapitän bescheid geben." "Aber", führt Sebastian fort, "der sieht das Schiff natürlich eine Stunde vorher auf dem Radar. Wir sitzen da vorne nur aus Tradition."

Pavlo und Perestroika

Hanse Sail Rostock 2005 Hafen
Im Vordergrund Bug der "Shabab Oman" aus dem arabischen Sultanat Oman

"Wunderbar". Das ist das einzige deutsche Wort, das Pavlo kennt - außer "Guten Tag" und "Prost". Als ich ihn frage, wie es ihm in Bremerhaven gefällt, sagt er es mit einem breiten Akzent und rollt das "r": "wunderbar". Pavlo ist Obermatrose auf der "Kherones", einem ukrainischen Schiff. Seit 32 Jahren fährt er zur See. Jetzt ist er 48, doch Pavlo sieht älter aus. Braune, sonnen- und seewassergegärbte Haut, riesige Hände und eine Gelassenheit in seinen Augen und Bewegungen, die zeigt: Pavlo hat viel erlebt, er braucht es gar nicht zu sagen.

Pavlo und seine "Kherones" liegen etwas am Rande der Sail. Es sei befremdlich für ihn, diese Menschenansammlung, all die Leute, die auf sein Schiff kommen, sagt er. Viel habe sich für ihn und seine Crew verändert, seit Perestroika. Früher durften sie alle nur in Gruppen und nur kurz an Land gehen. Immer sei ein politischer Beobachter dabei gewesen, der genau aufgepasst habe, wer mit wem wie lange sprach. Aber dafür waren sie das Aushängeschild der Sowjetunion, sie hatten keine Sorgen. "Heute herrscht Freiheit", aber das Leben in der Ukraine und hier an Bord sei nicht einfacher geworden.

Hanse Sail Rostock 2005 Hafen Abendstimmung
Abendstimmung auf der "Sail"

Die "Kherones" ist nicht das schönste Schiff auf der Sail. Es ist rot angestrichen und das ist auch gut so, weil man den Rost nicht erkennen kann, der überall hervorbricht. Mit der "Kherones" ist Pavlo schon um die ganze Welt gefahren. Ich frage ihn, wo es ihm am besten gefallen habe. Zum ersten mal lächelt Pavlo und da sehe ich, dass er fast keinen echten Zahn mehr hat, sondern einen Mund voller Gold. "Jeder Ort der Welt hat seine Schönheit", sagt er und schnippt seine Zigarette über Bord, in das Wasser der Nordsee.