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"Salafismus entwickelt sich zur Popkultur"

Matthias von Hein29. April 2016

Welcher Islam gehört zu Deutschland? Diese Frage versuchen aktuell Experten auf der gleichnamigen Konferenz in Frankfurt zu beantworten. Der DW hat Veranstalterin Susanne Schröter vorher Antworten gegeben.

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Salafistenprediger Pierre Vogel spricht bei einer Kundgebung in Offenbach am Main. (Foto: picture-alliance/dpa/B. Roessler)
Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Deutsche Welle: Welche Botschaft möchten Sie mit Ihrer Konferenz aussenden?

Susanne Schröter: Die zentrale Botschaft wird sein, dass wir doch ein bisschen inhaltlicher diskutieren müssen, welcher Islam tatsächlich zu Deutschland gehört - unbenommen der Tatsache, dass er natürlich zu Deutschland gehört, genau wie das Judentum und das Christentum. Da der Islam aber einige Probleme mehr hat als die anderen beiden Religionen, muss man doch noch einmal genau schauen, welche Art von Islam vertreten eigentlich die wichtigsten Protagonisten hier in Deutschland.

Europäisierung des Islam oder Islamisierung Europas: In welche Richtung entwickeln wir uns nach Ihrer Auffassung?

Im Moment steht die ganze Sache ein bisschen auf der Kippe. Es gibt den Konflikt zwischen denjenigen, die den Islam in einer modernen, humanistischen, aufgeklärten Weise interpretieren wollen und das auch tun und denjenigen, die eher die Islamisierung Europas vorantreiben möchten. Die sind zum Teil in den konservativen Milieus behaftet, in den konservativen Organisationen. Dazu gehören auch Akteure, die man eher im extremistischen Spektrum vermuten könnte.

Porträt von Susanne Schröter (Foto: picture-alliance/dpa/FFGI)
Prof. Susanne Schröter richtet die Konferenz "Welcher Islam gehört zu Deutschland?" ausBild: picture-alliance/dpa/FFGI

Sie haben letztlich eine islamistische Agenda, würden dahinter stehen, dass man hier sukzessive bestimmte Rechte ändert beziehungsweise auf diesem Boden der Sonderrechte für Muslime ein Stück weit Grenzen verschiebt. Das können wir zum Beispiel sehen bei den ganzen Debatten um Geschlechtertrennung im Sportunterricht oder um Klassenfahrten, bei denen muslimische Mädchen öfter eine Freistellung beantragen. Es geht bis zur Frage: In welcher Weise sind Kleiderordnungen bei uns legitim oder nicht? Stichwort: Burka-Verbot oder Kopftuch für Lehrerinnen. All das sind große Debatten und die werden von muslimischer Seite geführt mit dem Argument: Hier ist Religionsfreiheit; wir haben bestimmte Rechte und die wollen wir jetzt mal durchsetzen. Ich finde, man muss einmal genau schauen, was das denn bedeutet, wenn all diese vermeintlichen Rechte durchgesetzt werden. Ob das nicht ein Schritt in eine Islamisierung derart ist, die Probleme aufweist mit Grundprinzipien unserer Staates - also Grundgesetz - aber auch Normen, Werte, Lebensstile, die bei uns glücklicherweise etabliert sind.

Wie gehen die Vertreter des Zentralrats der Muslime mit der Forderung nach einem aufgeklärten Islam um, mit einer historisch kontextualisierenden Koranauslegung?

Das finden die furchtbar, aus unterschiedlichen Gründen. Einmal finden sie es furchtbar, weil sie Angst haben, dass ihnen das Deutungsmonopol über den Islam verloren gehen könnte. Und sie haben sich ja gerade gut versucht, in Position zu bringen, um als privilegierte Partner des Staates anerkannt zu werden. Das ist auch streckenweise gelungen. Wenn man sich die Islamkonferenz anschaut, die früher heterogener war und wo auch Einzelpersonen, muslimische Intelektuelle, vertreten waren, da sind heute nur noch Verbandsvertreter. Da hat sich etwas verschoben. Und von daher sehen sie das gar nicht gerne, wenn nun Leute wie Mouhanad Khorchide [Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster; Anm. d. Red.] in der Öffentlichkeit punkten können mit ihren humanistischen Ideen, weil sie gerne eben das Monopol über die Deutung des Islam bei sich behalten hätten.

Monopol heißt aber auch, dass sie inhaltlich versuchen, alles hinter dem Berg zu halten. Selten hört man mal eine inhaltliche Aussage zu bestimmten Punkten, sondern es ist eher so ein bisschen schablonenhaft. Wenn es um terroristische Anschläge aus dem dschihadistischen Lager geht, hört man aus diesen Reihen gewöhnlich: Das habe alles nichts mit dem Islam zu tun. Man möchte sich eben nicht damit auseinandersetzen, mit einer Fundierung im Koran oder in den islamischen Überlieferungen. Man wehrt alles ab und erhebt sofort im zweiten Schritt Vorwürfe: Jede Art von Kritik sei islamfeindlich, sei islamophob. Und hofft, dass sich die Diskussion damit erübrigt habe und versucht dann aber auf einer strukturellen Ebene überall Zugang zu Gremien oder zu Positionen zu bekommen, in denen sie Einfluss erreichen können.

An deutschen Universitäten werden nun langsam Imame ausgebildet. Wie lange wird es denn dauern, bis sich über die Moschee-Gemeinden eine Breitenwirkung der in Deutschland ausgebildeten Imame feststellen lässt?

Das ist die große Frage, bzw. die Frage ist eigentlich: Wie kann man das beschleunigen. Ansonsten ist es vielleicht zu langsam, weil wir ein bisschen gegen die Zeit arbeiten, nämlich gegen eine Radikalisierung von bestimmten muslimischen jugendlichen Milieus. Salafismus und auch Dschihadismus entwickeln sich sozusagen zu einer Popkultur. Dass das zu einer regelrechten Jugendbewegung wird, dass sie weitere Kreise von muslimischen Jugendlichen erfasst und dass auch nicht-muslimische Jugendliche geneigt sind, zum Salafismus zu konvertieren, weil ihnen die dortige Kultur irgendwie cool erscheint, dagegen müssen wir argumentieren. Deshalb denke ich, sind Programme ganz schnell notwendig, um dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen und tatsächlich diesen liberalen Islam stärker in unserer Gesellschaft und auch in den muslimischen Milieus zu verankern.

Sie plädieren für einen deutschen Islam. Was darf man sich darunter vorstellen?

Als einen offenen Islam, der sich nicht abgrenzt gegen die Mehrheitsgesellschaft. Also Muslime, die durchaus ihren speziellen Weg zu Gott suchen, finden und praktizieren, die aber nicht vorhaben, tatsächlich islamisches Recht irgendwann durchzusetzen, sondern mit diesem Rechtsstaat absolut einverstanden sind. Er gibt ihnen Religionsfreiheit garantiert ihnen, dass sie Moscheen bauen können, dass sie ihre religiösen Zeremonien feiern können. All das was Muslime als religiöse Menschen brauchen, können sie hier leben, ohne Angst vor Repression. Und ich glaube, dafür muss man einfach stärker werben. Für unsere Gesellschaft heißt das ganz klar: Grenzen aufzeigen, aber auch den Leuten die Hand geben und nicht zu sagen: Ihr gehört nicht zu uns und wir wollten euch noch nie haben.

Prof. Susanne Schröter ist Direktorin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam (FFGI) am Exzellenzcluster "Die Herausbildung normativer Ordnungen" an der Goethe-Universität Frankfurt und Ausrichterin der Konferenz "Welcher Islam gehört zu Deutschland?" in Frankfurt.

Das Interview führte Matthias von Hein.