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Salafisten im Visier

Martin Koch14. März 2013

Nach dem vereitelten Anschlag auf den Chef der rechtsextremen Bürgerbewegung "pro NRW" durch Salafisten ist diese Gruppe erneut in den Blickpunkt geraten. Experten warnen aber vor Vorverurteilungen.

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Frau hält Koran in der Hand (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Die Sicherheitskräfte in Deutschland sind in erhöhter Alarmbereitschaft und von Politikern und Medienvertretern wird immer häufiger der Begriff "Salafist" gleichbedeutend mit "Terrorist" verwendet. Am Mittwoch (13.03.2013) waren im Bundesland Nordrhein-Westfalen vier Salafisten festgenommen worden. Sie sollen Anschläge auf die rechtsextremistische Partei "Pro NRW" geplant haben.

Allerdings seien längst nicht alle Anhänger des Salafismus gewaltbereit oder extremistisch, sagt der Islamwissenschaftler Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin: "Es gibt viele sehr friedliche Salafisten hier in Deutschland, die sich meiner Ansicht nach zurecht darüber beschweren, dass sie mit diesen gewalttätigen Leuten, von denen immer die Rede ist, über einen Kamm geschoren werden."

Bundesinnenministerium (BMI) und Verfassungsschutz schätzen die Zahl der Salafisten in Deutschland auf knapp 5000, andere Experten rechnen mit bis zu 10.000 Anhängern. Einig sind sich alle darin, dass nur eine Minderheit von etwa 1000 als Terrorismus-Unterstützer gelten könne. Und von denen seien wiederum nur einige Hundert bereit, selbst Gewalt anzuwenden, so Steinberg.

Auch das Bundesinnenministerium rät zu einer differenzierten Sichtweise. Es gebe zwar Zusammenhänge zwischen Terrorismusverdächtigen und dem Salafismus, doch die müssten sauber definiert werden, sagt Pressesprecher Jens Teschke: "Nicht alle Salafisten sind Terroristen, aber alle Terroristen mit islamischem Hintergrund waren zumindest zu einem Zeitpunkt salafistisch orientiert."

Mehrere Salafisten-Strömungen

Die in Deutschland lebenden Angehörigen des Salafismus teilen sich in drei Gruppierungen auf: Die Puristen, die politisch orientierten Salafisten und die Dschihadisten. Den Puristen geht es darum, ihr Modell von religiöser Lebensführung umzusetzen: Sie wollen so leben wie Mohammed und seine Anhänger im 7. Jahrhundert. Diese Gruppe ist nach Ansicht von Experten ungefährlich, weil bei ihnen nur die persönliche, korantreue Lebensführung im Mittelpunkt steht und sie meist keine konkreten politischen Ziele verfolgen.

Das ist bei den politisch orientierten Salafisten anders. In den Ländern des Arabischen Frühlings waren sie es häufig, die den Sturz der Regime betrieben haben, um anschließend ihre eigenen Vorstellungen eines islamischen Staates und einer islamischen Gesellschaft umzusetzen. In Deutschland sei ihr Ziel vor allem, die eigene Position stärker in der Gesellschaft zu verbreiten und autonome Lebensbereiche zu schaffen, erklärt Guido Steinberg.

Guido Steinberg, Stiftung Wissenschaft und Politik (Foto: DW/Birgit Görtz)
Guido Steinberg: "Nur eine kleine Gruppe ist gewaltbereit"Bild: DW

Die zahlenmäßig kleinste, aber gefährlichste Untergruppe ist die der Dschihadisten. Sie wollen das islamische Recht, die Scharia, durchsetzen und einen islamischen Staat gründen. Dafür sind sie auch bereit, Gewalt gegen Anders- oder Nichtgläubige einzusetzen. Und sie erhalten immer stärkeren Zulauf aus der Mitte, sagt der Islam-Experte Steinberg: "Das größte Problem in Deutschland ist der rechte Rand des politischen Salafismus. Man kann seit ein paar Jahren beobachten, dass immer mehr Anhänger aus dem eigentlich gewaltfreien politischen Salafismus in die Gewalttätigkeit abrutschen."

Salafismus à la Deutschland

Jahrelang galt der gewaltbereite Salafismus als international bestens vernetzt, angehende Dschihadisten ließen sich in Trainingscamps in Pakistan ausbilden, um anschließend in ihren Heimatländern Terroranschläge zu verüben. Seit etwa ein bis zwei Jahren habe sich das Bild jedoch verändert, sagt Guido Steinberg. Die gewaltbereite Szene sei sehr deutsch geworden: "Wir haben es überdurchschnittlich oft mit deutschen Konvertiten zu tun. Oft mit Leuten, die fast ihr ganzes Leben in der Bundesrepublik verbracht haben." Diesen fehle deswegen meist die militärische Ausbildung zum Terroristen. Damit seien sie zwar weniger gefährlich, gleichzeitig sei die Szene aber auch schwerer zu überschauen, so Steinberg.

Trotzdem muss sich nach Ansicht von Innenministeriumssprecher Teschke die Bevölkerung selbst nach dem vereitelten Anschlag auf den "Pro NRW"-Chef Markus Beisicht keine Sorgen machen: "Panik ist nicht angebracht, aber wir müssen wachsam sein. Wir haben gesehen, wohin radikalisierte Einzeltäter gehen können."

"Salafismus ist cool"

Die Zahl der Salafisten in Deutschland steigt schnell. Viele junge Muslime und vor allem viele deutsche Konvertiten fühlten sich zu der Bewegung hingezogen, weil sie eine sehr klare, wenn auch radikal-islamische, Orientierung gebe, sagt SWP-Experte Steinberg: "Salafismus ist ein Teil der muslimischen Jugendkultur geworden. Früher war es mal cool, links zu sein, in Ostdeutschland ist es cool, rechts zu sein - und unter vielen Muslimen oder Konvertiten ist es heute ganz schlicht cool, Salafist zu sein."

Umso wichtiger sei es, eng mit den vielen muslimischen Verbänden und Vereinen zusammenzuarbeiten, die Gewalt ablehnen und an einem friedlichen Miteinander der Kulturen und Religionen interessiert sind, betont BMI-Sprecher Teschke. Im engen Kontakt mit ihnen wolle man ein Bewusstsein für die Gefahren des extremen Salafismus wecken, denn die radikalen Kräfte könnten für die gesamte salafistische Gemeinschaft großen Schaden verursachen. Deshalb müssten schon erste Anzeichen sehr ernst genommen werden: "Wenn man merkt, dass junge Menschen plötzlich die demokratischen Grundwerte ablehnen und stattdessen eine radikale Form des Islam und des Salafismus hochhalten, dann wird es Zeit, auf sie einzuwirken, dass das der falsche Weg ist."

Eine Jugendliche mit Kopftuch (Foto: Michael Gottschalk/dapd)
Der Salafismus ist Teil der muslimischen Jugendkultur gewordenBild: dapd

Sicherheitsbehörden im Interessenkonflikt

Im Kampf gegen die gewaltbereiten Salafisten hat das Innenministerium in dieser Woche erneut drei islamistische Vereine und Internetseiten verboten. Doch solche Aktionen können sich auch als kontraproduktiv erweisen, warnt Guido Steinberg: "Die Bundesregierung sollte darauf achten, dass ihre Gegenmaßnahmen nicht dazu führen, dass sich Leute radikalisieren, die heute noch am Rande der Szene stehen."

Außerdem seien solche Propaganda-Seiten im Internet eine der wichtigsten Quellen für Erkenntnisse über radikale Gruppierungen wie die gewaltbereiten Salafisten. "Ich würde dafür plädieren, dass man nur dann Verbote ausspricht, wenn man tatsächlich auch eine Struktur hinter diesen Webseiten erkennen kann, die man auch bekämpft und damit verhindert, dass diese Terrorpropaganda unter einer anderen Adresse anderswo auftaucht."