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Box-Weltmeisterin Susianna Kentikian

Tamara Himmel / Redaktion: Wolfgang van Kann18. März 2009

Am Samstag steht sie wieder im Boxring, die deutsche Armenierin Susianna Kentikian. Wieder einmal geht es um einen Weltmeistertitel - aber den größten Kampf ihres Lebens hat sie längst hinter sich.

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Susianna Kentikian (Bild: DW/Christina Beyert)
Susianna KentikianBild: DW

(Bild: DW/Christina Beyert)
Susianna Kentikian beim Training im RingBild: DW

Der "Universum Boxstall" in Hamburg ist ein altes Fabrikgebäude aus Backstein. Ist man auf der Suche nach Susianna Kentikian, sollte man dort nachschauen, denn die 21-jährige trainiert hier fast jeden Tag.

Gerade ist Zirkeltraining angesagt: die junge Sportlerin springt auf Kisten, stemmt Gewichte und boxt vor einem großen Spiegel gegen ihren eigenen Schatten. Auf dem Boden der Halle liegen blaue Matten, im Mittelpunkt des Raumes stehen zwei Boxringe, an den weiß gestrichenen Backsteinwänden kleben Poster von früheren Kämpfen. Boxgrößen wie die Klitschko-Brüder und Michalczewsky haben hier schon trainiert. Nun auch Susianna Kentikian. Ihr Weg dorthin war mühsam und hart.

Odyssee einer Flucht

Im Alter von fünf Jahren muss Susianna Kentikian mit ihrer Familie aus der Heimat Armenien fliehen. Es herrscht Krieg um die umkämpfte Enklave Berg-Karabach. Der Vater soll zum Militärdienst einberufen werden. Die Flucht führt die Familie über Moldawien und Russland nach Deutschland. 1996 kommen sie schließlich in Hamburg an. Damals ist Susi Kentikian bereits 9 Jahre alt. In der Hansestadt wird die Familie geduldet, lebt aber ohne Aufenthaltspapiere in einem Asylbewerberheim.

Die Angst vor Abschiebung gehört zum Alltag. „Da kommen Leute und wollen dich abschieben und bringen dich zum Flughafen und das war es dann. So läuft das dann ab. Mehr ist da nicht.“ Abgeklärt und distanziert spricht Susianna Kentikian über das Durchlebte. Bei ihrer Familie war es genau so. Eines Nachts stehen fünf Beamte vor der Tür. Sie bringen Susianna, Bruder Mikael und den Vater zum Flughafen. Ihre Mutter liegt im Krankenhaus, sie bleibt zurück.

Beginn einer Boxkarriere

Schon damals war Susianna Kentikian ein neuer Hoffnungsstern am Boxhimmel. Aber auch sie hat klein angefangen. Durch Bruder Mikael kommt sie zum Boxen. Als Susianna zwölf ist, nimmt er sie mit zum Training. Zuvor probiert sie mehrere Sportarten aus: Schwimmen, Gymnastik, Judo, Karate. Es dauert nie länger als zwei Wochen, dann schmeißt sie den Kurs.

Box-Übungen vor dem Spiegel (Bild: DW/Christina Beyert)
Box-Übungen vor dem SpiegelBild: DW

Nur das Boxen weckt ihr Interesse, fesselt sie. „Ich hatte immer mein Training. Es hat mich sehr abgelenkt. Für mich war nur das Boxen wichtig, nichts anderes“, erinnert sich Susianna. Früh hat sie das Ziel Weltmeisterin zu werden. Freunde und Fans motivieren sie dazu. Der Vater äußerst zuerst Bedenken, zweifelt daran, dass seine Tochter diesen Sport durchziehen wird. Aber Susianna hat einen starken Willen, ist ehrgeizig und zielstrebig. Sie bleibt beim Boxen und schafft es bis nach ganz oben. Bruder und Vater sind stolz auf ihre Jüngste.

23 Mal stand die kleinste Profiboxerin der Welt, die gerade mal einen Meter 53 misst, schon im Ring. 23 Mal ging sie aus dem Kampf als Siegerin hervor, 16 Mal davon vorzeitig durch K.O. Das Gefühl eines K.O.-Schlags kann sie kaum beschreiben „du bist überglücklich, hast dein Ziel erreicht und musst nicht über 10 Runden weiterboxen“. Bei diesen Worten schmunzelt sie.

Rettung in letzter Sekunde

Zurück am Flughafen. Da der Abschiebebeschluss juristisch längst abgehandelt ist, erlauben die Beamten der Familie zu telefonieren. Das ist ihre Rettung. Susiannas damaliger Trainer Frank Rieth wird aus dem Schlaf gerissen, als sein Telefon klingelt. Er setzt alle Hebel in Bewegung, um die Abschiebung aufzuhalten: Presse, Anwalt, Petitionsausschuss. Eine Stunde vor Abflug gelingt die Wende: Die Familie wird aus der Abschiebehaft frei gelassen, sie darf bleiben.

Noch Monate nach dem Vorfall wacht die Familie bei nächtlichen Geräuschen auf. Manchmal springt Susianna Kentikian aus dem Bett und schaut aus dem Fenster auf den dunklen Innenhof des Schulgebäudes das als Asylbewerberheim dient. Rücken wieder Beamte an? Es passiert nichts. Durch die Petition hat die Familie die Möglichkeit erhalten vorerst in Deutschland zu bleiben, zu arbeiten und sich als „gute Bürger zu beweisen“ wie Susi Kentikian selbst sagt.

Sie hat es geschafft: Susianna hat sich als "gute Bürgerin“ bewiesen und im Juni 2008 die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Bei ihren Boxkämpfen erklang aber auch schon vorher die deutsche Nationalhymne. Verändert hat sich für sie deshalb nicht viel „Ich fühl mich wie vorher. Ich bin natürlich eine Armenierin, aber ich lebe hier in Deutschland und verhalte mich wie eine deutsche Bürgerin.“ Und die nächste Herausforderung wartet schon auf sie.