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"Bei TTIP kann nicht jeder gewinnen"

Michael Knigge/ml20. September 2014

Während die deutschen Sozialdemokraten um eine gemeinsame Haltung zu TTIP ringen, berichtet die Globalisierungsexpertin Saskia Sassen im DW-Gespräch, warum es immer mehr Handelsabkommen gibt und wer davon profitiert.

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US-Soziologin Saskia Sassen (Foto: MIGUEL RIOPA/AFP/Getty Image)
Bild: MIGUEL RIOPA/AFP/Getty Images

DW: Frau Sassen, es scheint so als würden wir in einer Zeit leben, in der es eine zunehmende Anzahl an Handelsabkommen gibt: Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP), das Freihandelsabkommen zwischen Kanada und der EU (CETA), das Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen (TISA) und die Transpazifische strategische wirtschaftliche Partnerschaft (TPP) werden alle gerade verhandelt oder stehen kurz vor dem Abschluss. Was verbirgt sich hinter diesem Trend?

Saskia Sassen: Ich denke, das sind entscheidende Elemente, um - beginnend mit dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) und der Welthandelsorganisation (WTO) - einen globalen Handlungsraum zu schaffen. Dieser bietet einen Vorteil für die multinationalen Konzerne. Wenn Sie sich die Daten anschauen ist es einfach so, dass die Unternehmen, die global aufgestellt sind, davon profitieren. Die Frage, ob Arbeitsplätze verloren oder hinzugewonnen werden, spielt für sie keine Rolle. Sie möchten die Möglichkeit haben, auf das Angebot an Arbeitskräften zuzugreifen und ein regulatorisches Umfeld zu haben, das in ihrem Sinne agiert. Für die Vereinigten Staaten ist die Datenlage da ganz klar: Die Vereinigten Staaten haben Arbeitsplätze verloren. Das trifft die Arbeitnehmer, aber für die großen Unternehmen hat es keine Bedeutung.

Aber die EU argumentiert, TTIP würde den Handel und die Wirtschaft ankurbeln und das Einkommen eines durchschnittlichen europäischen Haushalts könnte um 545 € pro Jahr ansteigen. Was soll man daran kritisieren?

Ja, das wurde immer wieder gesagt. Die Vereinigten Staaten haben seit langer Zeit Handelsabkommen, daher gibt es eine Menge von Daten. Daran kann man erkennen, dass die Preise durch billigere Importe sinken. Also, aus dieser Sicht profitieren die Haushalte davon, weil sie weniger ausgeben. Ein berühmtes Beispiel hierfür sind die Billigimporte aus China. Aber die große Frage ist, ob auch die Volkswirtschaft, in der sich dieser Haushalt befindet, davon profitiert. Gibt es einen Nutzen für ein größeres komplexes System, oder kann man sich nur das Paar Schuhe billiger kaufen? Da zeigen die Daten ein negatives Bild. Der Haushalt mag also profitieren, aber es ist ein sehr beschränkter und sehr kurzfristiger Nutzen. Die langfristige Wirkung kann so aussehen, dass die Dynamik einer Volkswirtschaft verringert und der Zuwachs neuer Arbeitsplätze gebremst wird.

Das am meisten diskutierte Handelsabkommen ist wahrscheinlich die "Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft" zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt, der EU und den USA, die fast 50 Prozent des globalen BIP abdecken würde und den bilateralen Handel zwischen den beiden Partnern stärken soll. Was halten Sie von TTIP?

Wenn Sie lesen, was die Regierung in den Vereinigten Staaten über den Vertrag sagt, dann steht da nur: Wir gewinnen, wir gewinnen, wir gewinnen. Und in Europa sagen sie genau das Gleiche. Sie präsentieren uns also ein Wunder - jeder gewinnt. Man kann wahrscheinlich ein paar Variablen isoliert betrachten, aus denen hervorgeht, dass jeder gewinnt. Aber wir wissen aus früheren Verträgen, dass im Laufe der Zeit nur die Gewinne der global operierenden Unternehmen ansteigen und die Volkswirtschaften verlieren. In Europa würde ich also die Frage stellen, welche Waren und Dienstleistungen billiger werden, weil wir sie aus Ländern mit niedrigeren Produktionskosten importieren. Europa ist ein gemischter Wirtschaftsraum, weil es im Osten einige Niedriglohnländer gibt. Schauen Sie, wie erfolgreich Polen damit war, die eigene Währung beizubehalten und Waren in die EU zu exportieren. Das war ein Segen für das Land. Ich kann mir vorstellen, dass diese Länder viel mehr profitieren als Deutschland.

Also lehnen Sie bilaterale Handelsabkommen wie TTIP komplett ab?

Nein, aber ich will Verträge, die ehrlich sind und wo die Vorteile des Vertrages nicht nur aus den Vorteilen der Konzerne bestehen. Man muss auf die Arbeitnehmer in den beteiligten Ländern achten und darf nicht nur auf die Gewinne der Kapitalgesellschaften schauen, die dann als ein Hinweis darauf gesehen werden, wie viel wir gewonnen haben.

Die andere Sache ist viel schwieriger und erfordert ein komplettes Überdenken dessen, wie unsere Wirtschaft funktioniert. Man muss herausfinden, wie die gesamte Wirtschaft wirklich langfristig gewinnt und nicht nur im Hinblick auf niedrigere Preise für die Verbraucher. Ich bin nicht gegen den internationalen Handel. Den brauchen wir unbedingt. Unterschiedliche Dinge können gern in unterschiedlichen Ländern produziert werden. Aber wir müssen auch einen zusätzlichen Faktor mit einbeziehen, der immer mehr an Bedeutung gewinnt: die Umwelt.

Und als letzten Punkt habe ich noch ein weiteres Problem mit all diesen neuen Verträgen, nämlich dass die Firmen immer mehr Rechte bekommen. Wenn man hergeht und sich fragt, wer Rechte hinzugewinnt, dann sind es nicht die Bürger sondern die Unternehmen. Die Menschen in vielen unserer Länder haben Rechte verloren. Kleine Rechte, die in Formalien eingeschlossen sind und die die meisten Bürger nicht einmal bemerken, bis sie selbst einmal betroffen sind. Und mit TTIP und TTP nimmt das noch zu, so dass diese beiden Verträge viele kritische Beobachter fassungslos machen.

Saskia Sassen ist Professorin für Soziologie und Co-Vorsitzende des Committee on Global Thought an der Columbia University in New York. Sie ist eine der führenden Wissenschaftler auf den Gebieten Globalisierung und Städte.

Das Gespräch führte Michael Knigge.