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Schön schräger Deutsch-Pop

Udo Taubitz21. September 2005

Deutschsprachige Bands erobern schon länger den deutschen Markt - jetzt haben die Musikkritiker einen neuen Liebling gefunden: Jens Friebe. Der kann zwar nicht singen, dafür sind die Texte klug.

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Gibt sich gern verwegen: Jens Friebe

Nur selten laufen beim Musiksender MTV Songs aus Deutschland in deutscher Sprache - doch "Kennedy" hat es geschafft. Der Song handelt vom Mordattentat auf den legendären amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy, und er eröffnet die zweite CD von Jens Friebe.

Poetisch-subtil

Der schlaksige Musiker ist knapp dreißig, er lebt in Berlin und gilt als der neue deutsche Popstar, obwohl ihn noch kaum jemand kennt. Die Musikkritiker wichtiger Zeitungen überbieten sich derzeit mit Lobeshymnen. Sie loben Friebes poetisch-subtile Liedtexte und seinen eigenwilligen Musikstil - eine Mischung aus Elektro-Pop, Rock und Punk. Reizvoll ist auch seine äußerliche Mischung von Gegensätzen: Er tritt unter seinem bürgerlichen Namen auf und der klingt nach Verkäufer oder Bauarbeiter. Auf der Bühne aber inszeniert er sich als verschlampte Diva: mit Lippenstift, glamourösem Outfit und überhaupt ziemlich eitel. Das bringt dem smarten Jüngling manchmal Beschimpfungen ein, aber immer viel Aufmerksamkeit.

Jens Friebe provoziert ganz bewusst. "Wenn man sich das Personal anguckt, das in Deutschland zu Stars gemacht wird, und es vergleicht mit England zum Beispiel, dann fällt auf, dass die Inszenierung von Durchschnittlichkeit besonders belohnt wird", sagt Jens Friebe. Wenn man als Deutscher in Deutschland viel verkaufen wolle und in die Höhe gehoben werden wolle, müsse man dem Publikum erst mal deutlich machen: "Hey, ich bin so wie ihr. Ich bin ein völlig durchschnittlicher, vielleicht ein bisschen hässlicherer, vielleicht ein bisschen tollpatschiger Durchschnittstyp, und auf keinen Fall irgendwie arrogant. Ich bin mir immer bewusst, dass ich auf dem Teppich bleiben muss, dass ich alles nur meinen Fans zu verdanken hab."

Keine Lust auf Nettigkeiten

Jens Friebe
Jens Friebe liebt die Selbst-Inszenierung

Jens Friebe aber lebt seine Arroganz aus - und schon deshalb ist er im netten deutschen Musikbetrieb etwas Besonderes. Beim Interview gibt er einem zur Begrüßung nicht die Hand, er vermeidet jedes Lächeln, Fragen, die ihm nicht passen, bezeichnet er als banal, und die Musik seiner jungen deutschen Popkollegen macht er pauschal runter - er findet das alles schrecklich, zu erbaulich. Dabei laden seine eigenen Rhythmen auch oft zum Schunkeln oder Tanzen ein, selbst wenn die Texte ernst sind, wie bei diesem Lied: es verteufelt alle Menschen, die Fleisch essen und ruft zum Vegetarismus auf. "Theke mit den Toten" heißt der Song.

Großer Aufklärer

Auf die Frage, was ihn als Künstler umtreibt, sagt Jens Friebe, er habe Angst vor dem Wegfall von Zivilisation. Das sei ein Prozess, der sich andeute. "In meinen Liedern geht es auch um Probleme wie Irrationalismus und religiöse Tendenzen. Ich bin jemand, der skeptisch und aufklärerisch ist, sich aber gleichzeitig der Faszination des Archaischen aussetzt", erklärt Jens Friebe. Das Archaische gewönne wieder mehr an Einfluss, in der Astrologie, teilweise auch in der Gen- und Hirnforscher-Ideologie und so weiter. Die Menschen tendierten wieder mehr dazu, ihre Eigenverantwortung aus der Hand zu geben, sagt er. "Ich glaube immer noch an das aufklärerische Ideal, dass die menschliche Vernunft dazu taugt, die Welt zu erfassen und Strategien zur Veränderung zu entwickeln."

Bohemien

Aber dass er mit Musik die Welt verändern kann, daran glaubt Jens Friebe nicht. Die Politik sei dazu auch kaum in der Lage, wie er sagt, das sei doch nur ein großes Kasperletheater. Jens Friebe präsentiert sich als übersatter Bohemien, der Luxus schätzt und trotzdem sozialistische Flausen im Kopf hat. Damit trifft er den Nerv der jungen Deutschen, die ohne schlechtes Gewissen so viel wie möglich konsumieren und gleichzeitig die ungerechte Verteilung des Reichtums anprangern. Jens Friebe ist Repräsentant einer jungen Generation von Orientierungslosen. In einem Lied singt er: Ich habe jede Menge Ziele / Ihr habt vielleicht mehr / Aber ich hab auch ganz viele / Ich verrat sie euch bloß hinterher.