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Schöne neue Arbeitswelt

Jochen Kürten17. September 2012

Zwischen Bürokratie und Change-Management: Wie sich die Arbeitswelten in den letzten Jahren verändert haben. Christoph Bartmann und seine Bestandsaufnahme moderner Arbeitsprozesse.

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Büro, Computer, Internet, Laptop, Schreibtisch, Beruf, Headset, Skype, Bewerbung (Foto: Alterfalter - Fotolia.com)
Bild: Alterfalter - Fotolia.com
Buchcover von "Leben im Büro" von Christoph Bartmann (Hanser Verlag).

"Kann man sich noch einen Reformprozess vorstellen, der an ein Ende gelangt, nachdem die Reform vollzogen wäre?" fragt Christoph Bartmann und gibt im Laufe seiner Untersuchung eine eindeutige Antwort: Nein. Das Leben, oder besser: Die Arbeit in den Büros von heute, ist ein andauernder Prozess: "Der zeitgenössische Büro- und Management-Prozess, der Prozess des 21. Jahrhunderts, von dem Kafkas Process einen Vorgeschmack gibt, scheint prinzipiell unabschließbar", so der Autor. Und Bartmann muss es wissen. Zu Beginn seines Buchs "Leben im Büro - Die schöne neue Welt der Angestellten" stellt er sich vor: "Ich bin Angestellter, öffentlicher Angestellter". Im Klappentext kann man dann noch nachlesen, dass der Autor beim Goethe-Institut arbeitet, derzeit als Direktor der New Yorker Filiale. Doch nicht die Arbeit in Amerika, sondern seine langjährigen Erfahrungen in der Münchner Zentrale der deutschen Auslandsorganisation dürften Bartmann zu dem Buch inspiriert haben. Und da Bartmann auch Litarturkritiker ist, zitiert er eifrig Kafka, Freud und andere Geistesgrößen. Auf dieser Basis entwickelt der Autor seine Thesen vom Leben im Büro und fragt: Was macht es uns heute so schwer als Angestellter der Arbeit nachzugehen? Die Antwort fällt eindeutig aus: Es ist zweifellos die Bürokratie, die sich verselbständigt hat.

Dabei sollte man nicht an einen verstaubten Bürokratiebegriff denken. Nicht Kafkas Großraumbüros sind gemeint, keine Leitz-Ordner, Stempelkissen oder Klarsichthüllen. Diese Zeit ist vorbei. Das weiß auch Bartmann. Doch besser geworden ist es wohl nicht: "Die Bürokratie ist nicht verschwunden, sie ist lediglich dem neuesten wissenschaftlichen Stand angepasst worden. Und das heißt zunächst: mehr Bürokratie." Das ist erschreckend, aber wohl wahr. Wie es zu diesem schleichenden Bürokratieumbau gekommen ist, dass erklärt Bartmann mit Klassikern wie Max Weber, Siegfried Kracauer und jüngeren Beispielen einschlägiger Literatur zum Thema (Peter F. Druckers: "Das Fundament für Morgen"). Die Bilder dazu, die uns allen im Gedächtnis sind, lieferten dann die Filme: Fritz Langs "Spione", Jacques Tati "Mein Onkel" und vor allem Orson Welles Kafka-Adaption "Der Prozess".

Szene aus dem Film "der Prozess" von Orson Welles nach F. Kafka. (Foto: DVD-Anbieter Studiocanal)
Die Vorläufer: alte Bürokratie bei Kafka und Welles (Szene aus dem Film von Orson Welles, DVD bei Studiocanal)Bild: Studiocanal

Der Leser von "Leben im Büro" mag vieles wiedererkennen, die Slogans "Von der Behörde zum Dienstleistungsunternehmen" bis zum ewig propagierten Changemanagement, das - so Bartmann - inzwischen schon eine religiöse Konnotation hat: "Das Prinzip Kirche hat sich universalisiert, es ist in andere Lebensbereiche eingedrungen und hat den Gedanken des Seelenheils in die Trainingslager der modernen Bürosubjekte hineingetragen. So wie jetzt, dank Microsoft Office und dem Smartphone, überall Büro ist, so ist auch, dank der neuen flexibleren Metaphysik des Seelenheils, überall Kirche."

Dass es dem Autor wohl graut vor diesen neuen Arbeitsrealitäten, merkt man immer dann, wenn er aus dem persönlichen Arbeitsalltag berichtet. Doch das ist nicht das Hauptanliegen seines Textes. Das ist - in letzter Konsequenz - wohl die Angst, dass die Ungeheuer der Bürokratie einmal wieder in falsche Hände gelangen könnten. Bartmann zitiert hier den polnischen Soziologen Zygmunt Bauman. Der Holocaust, so Baumann, sei kein Rückfall in die Barbarei gewesen, sondern ein Projekt ganz aus dem Geist der bürokratischen Moderne, geprägt von Prinzipien wie Arbeitsteilung, Verfahren von Prozessrationalität, strategischer Steuerung und Statistik. Das ist ein erschreckender Blick zurück. Doch der Autor verharrt nicht im Klagen, wenn er am Ende schreibt: "Es käme also dringend darauf an, gerade im Büro kein Manager zu sein, ja das Büro von den Managern zu retten, die Würde des Büros gegen sie zu bewahren und zu behaupten."

Christoph Bartmann: Leben im Büro - Die schöne neue Welt der Angestellten, Hanser Verlag 2012, 320 Seiten, 18,90 Euro, ISBN: 978-3446238770. Orson Welles Kafka-Adaption "Der Prozess" liegt seit kurzem in einer Ausgabe beim DVD-Anbieter Studiocanal vor.