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Schafft sich Deutschland ab?

30. August 2010

Es ist derzeit das "Aufregerthema" Nummer 1 in Deutschland: Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab", das der 65-Jährige an diesem Montag in Berlin vorstellt. Eine Auswahl an Pressestimmen.

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Thilo Sarrazin (Foto: AP)
Bild: AP

Über das Buch wird schon seit Tagen heftig diskutiert, obwohl es erst an diesem Montag präsentiert wird: "Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen", so der provokante Titel des Werks von Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin.

Immer dümmer?

Buchcover 'Deutschland schafft sich ab'

Das Buch war auszugsweise vorab veröffentlicht worden - seitdem sorgt es für großen Wirbel. Der frühere Berliner Finanzsenator wirft darin vor allem Einwanderern muslimischen Glaubens eine fehlende Bereitschaft zur Integration vor. Und das SPD-Mitglied stellt die These auf: Durch den Kinderreichtum schlecht gebildeter muslimischer Zuwanderer werde die Gesamtbevölkerung im Schnitt tendenziell dümmer.

Ist Sarrazin ein "profilneurotischer Provokateur" oder ein "scharfzüngiger Mahner"?, fragen sich viele deutsche Tageszeitungen an diesem Montag (30.08.2010) in ihren Kommentaren. Hier nur einige davon:

WESTDEUTSCHE ZEITUNG

"Sachlichkeit ist oberstes Gebot. Die von Sarrazin angesprochenen Themen sind nicht nur sensibel, sondern durchaus entscheidend für die Zukunft. Denn auch wenn die meisten aufgeklärten Bürger seine Aussagen für politisch unkorrekt halten, dürfen wir die Probleme nicht schönreden: Vor allem bei der Integration ist in Deutschland sehr viel im Argen. Das auszusprechen ist in Ordnung und sogar wichtig. Es so polemisch wie Sarrazin zu tun, hingegen nicht."

Bonner GENERAL-ANZEIGER

"Sarrazin spricht ein zentrales Thema deutscher Gesellschaft an, aber es geht auch eine Nummer kleiner. Es geht darum, die bekannten Missstände durch konkrete Initiativen weiter abzubauen: durch Sprachlern-Pflicht, durch klare Nachzugsregelungen, durch Bedingungen für Sozialleistungen. Es geht nicht darum, den Eindruck zu erwecken, als könne es eine Abschottung Deutschlands in Europa geben, als gäbe es ein Zurück in eine heile Welt, die nie heil war. Es wäre schön, wenn es einfache Wahrheiten und Rezepte gäbe. Aber die gibt es auch hier nicht. Vor allem aber: Es gilt das Grundgesetz: Niemand darf wegen ... seiner Abstammung, seiner Rasse ... benachteiligt werden. Der Grundsatz ist in Gefahr."

FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND

"Wenn sich die Aufregung um die verbalen Irrläufer aus dem Wortschatz des Thilo Sarrazin wieder gelegt hat, wird eines bleiben: die Gewissheit, dass Deutschland ein Problem mit seinen Zuwanderern hat. Und die Neigung von immer mehr Menschen, diesem Problem mit schlichter Ablehnung zu begegnen. Doch diese Reaktion ist gefährlich, menschlich wie ökonomisch. Und es ist an der Politik, aber auch an der Wirtschaft, das unmissverständlich klarzustellen. Die Wirtschaftsverbände drängen schon lange darauf, die Zuwanderung Hochqualifizierter zu verbessern. Genauso sollten sie Bund und Länder drängen, das Abdriften von Migranten der zweiten und dritten Generation in Parallelgesellschaften zu bremsen."

LAUSITZER RUNDSCHAU

"Die Politik hat stets ignoriert, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist; die Folgen davon sind in jeder großen Stadt, an fast jeder Schule inzwischen zu begutachten. Einwanderer haben im Gegenzug oft ihren eigenen Beitrag zur Integration vermissen lassen, und viel zu selten ist darauf gedrängt worden. Insofern kann es doch nicht darum gehen, wer blöder oder unwilliger ist, sondern nur noch darum, wie sich die offenbar immer größer werdenden Probleme im Miteinander noch lösen lassen. Aber da ist die Politik leider nicht anders als Sarrazin: Sie weiß es auch nicht. Und genau das ist das Fatale."

NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG

"Querdenker sind gut. Sie rütteln am Konsens. Sie werfen Lichter auf Probleme, die die Mehrheit als gegeben akzeptiert oder bis dahin gar nicht mal gesehen hat. Thilo Sarrazin allerdings denkt längst nicht mehr quer sondern verquer. Der Unterschied dazwischen ist größer, als die drei Buchstaben es vermuten lassen. Aus einem ungewöhnlichen, aber intelligenten Einwurf wird so im besten Fall dummes Gerede, im schlimmsten Fall noch mehr. Dann nämlich, wenn jemand wie Sarrazin sich ein märtyrerisches Mäntelchen umhängt und dabei von manchen noch beklatscht wird. Es fragt sich, was er im Vorstand der Bundesbank zu suchen hat und ob er dort auch Produktives leistet oder ständig nur öffentlich Unsinn erzählt."

SAARBRÜCKER ZEITUNG

"Rechts liegenlassen ist die geeignete Reaktion. Und wenn das nicht möglich ist: Gegenfragen stellen. Zum Beispiel die, warum Sarrazin in seiner Zeit als sozialdemokratischer Politiker nicht für Verbesserungen bei der Integration und der Bildung von Einwanderern sorgte. Gerade in Berlin wäre dies dringend notwendig gewesen. Man könnte aber auch mal jene fragen, die sich derzeit besonders laut über ihren Parteifreund ereifern, warum sie ihn überhaupt zum Bundesbank-Vorstand machten. Obwohl doch klar war, dass der Mann einer tickenden Verbal-Bombe gleichkommt."

EMDER ZEITUNG

"Ganz Deutschland redet sich den Mund fusselig über ein Buch, das bislang so gut wie keiner gelesen hat. Aber alle wissen, was drin steht. Gute Voraussetzungen also, dass dieses Buch ein Bestseller wird. Thilo Sarrazin kann sich die Hände reiben. Der Bundesbanker macht vor, wie Marketing funktioniert. Er streut ein paar provokante Thesen unters Volk, die allesamt nicht neu sind, aber in ihrer polemischen Überspitzung wie Knallfrösche explodieren. Das Echo ist vom Autor einkalkuliert und Teil seiner Verkaufsstrategie. Es hagelt Proteste. SPD-Chef Gabriel, der das Buch höchstwahrscheinlich auch noch nicht gelesen hat, möchte den Parteifreund gerne loswerden. Das macht aus Sarrazin fast schon einen Dissidenten, und das garantiert noch mehr Käufer. Der grandiose Erfolg wird Sarrazin motivieren, noch viele, viele Bücher zu schreiben."

Redaktion: Christian Walz