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Schwarzarbeit blüht

Nikolai Tsekov / Alexander Andreev1. Juni 2012

Neue Studien zeichnen ein drastisches Bild vom Ausmaß der verdeckten Ökonomie in Bulgarien: Der Anteil der Schattenwirtschaft liegt bei 40 Prozent. Durch den EU-Beitritt hat sich die Lage nicht gebessert.

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Symbolbild: Ein Schwarzarbeiter mit einem Hammer in der Faust beim Ausholen zum Schlag (Foto: Patrick Seeger)
Schwarzarbeit ist sehr verbreitet in BulgarienBild: picture-alliance/dpa

Zwischen 2009 und 2012 wurde fast die Hälfte aller Wirtschaftsleistungen in Bulgarien in der Schattenwirtschaft erbracht. Das ist das ernüchternde Ergebnis einer Studie, die der Bulgarische Verband für Industriekapital im Rahmen des Projekts "Einschränkung und Prävention der Parallelwirtschaft" durchgeführt hat. Finanziert wurde die Studie von der Europäischen Union. In den Bereichen Bau, Tourismus und Gesundheitswesen werden laut dieser Studie bis zu 70 Prozent aller Leistungen am Fiskus vorbei erwirtschaftet.

Zum Vergleich: Mitte der 1990er Jahre stellte die Weltbank einen Anteil der Schattenwirtschaft von 36 Prozent von der gesamten Ökonomie Bulgariens fest. Damit war das Land schon damals ganz oben in der unrühmlichen Liste der mittel- und osteuropäischen Länder, direkt hinter Georgien, Aserbaidschan, der Ukraine und Russland. Nach dem EU-Beitritt Bulgariens Anfang 2007 hat sich die Lage nicht gebessert: Im Gegenteil, heute ist der Anteil der Schattenwirtschaft auf etwa 40 Prozent gestiegen.

Finanzministerium sieht die Lage optimistischer

Doch nach Angaben des bulgarischen Finanzministeriums scheint die Lage viel weniger bedenklich zu sein: Es hat im Jahr 2011 einen Anteil der Schattenwirtschaft von nur 20 Prozent festgestellt. Allerdings stellt eine von der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung finanzierte Analyse diese Angaben in Frage. In Bulgarien gebe es keine zuverlässigen Zahlen zu den drei häufigsten Erscheinungsformen der Schattenwirtschaft: den Wirtschaftsleistungen, bei denen Steuern hinterzogen und keine Sozialabgaben eingezahlt werden, dem Schwarzmarkt, wo mit illegal produzierten Waren und Dienstleistungen gehandelt wird und der Naturalienwirtschaft und Tauschökonomie. Außerdem seien in Bulgarien die Verbindungen der Schattenwirtschaft zu der organisierten Kriminalität kaum erforscht, so die Ergebnisse der FES-Studie.

Ansicht aus der bulgarischen Hauptstadt Sofia (Foto: DW/Roumiana Taslakova)
In Sofia kann man vieles ohne Kassenbon kaufenBild: DW

Selbst im Zentrum der bulgarischen Hauptstadt Sofia kann man heutzutage fast alles ohne Kassenbon kaufen. Die Kontrollen der Steuerpolizei zeigen offenbar keine positiven Auswirkungen. Wenn es zu gefährlich wird, lassen die Händler einfach ihre Ware stehen und laufen davon.

"Schattenwirtschaft vertreibt Investoren aus dem Land"

Die Krise sei ein zusätzlicher Impuls für die Schattenwirtschaft, meint Emiliyan Abadschiev, Geschäftsführer der Firma Metro in Bulgarien. In einem schrumpfenden Markt würden viele Unternehmer an der Steuer vorbei arbeiten, dadurch werde der Wettbewerb verzerrt, stellt der Leiter des deutschen Konzerns in Bulgarien fest. "Die Schattenwirtschaft beraubt die Konsumenten und die ehrlichen Wirtschaftsakteure und vertreibt dadurch die Investoren aus dem Land", beklagt er. "Ein Beispiel aus meiner Erfahrung bei Metro-Bulgarien: Vor einem Jahr hat der Premierminister Boiko Borissov den Produzenten und Vertreibern von illegalem Alkohol mit massiven Sanktionen gedroht. Unmittelbar darauf sind die Verkäufe von Alkoholgetränken in den Metro-Läden binnen eines einzigen Tages um 40 Prozent gestiegen."

Der Chef von Metro-Bulgarien ist überzeugt, dass sich der Übergang des Landes zur freien Marktwirtschaft noch nicht endgültig vollzogen hat, weil es auch nach 20 Jahren immer noch keine klaren Regeln gibt. In Bulgarien stünden die Interessen der Allgemeinheit zu oft im Schatten des Privatinteresses.

Das Ergebnis der florierenden Schattenwirtschaft: Dem Staat fehlen Steuereinnahmen in Höhe von Hunderten Millionen Euro pro Jahr. "Und wenn die Steuereinnahmen niedrig ausfallen, dann fehlt es an allen Ecken und Enden - im Gesundheitswesen, im Bildungssystem, bei der Infrastruktur", kritisiert Emiliyan Abadschiev.