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Politik

Acht Antworten zum Brexit

Nina Niebergall Brüssel
29. März 2017

Lange angekündigt, nun ist es amtlich: Theresa May hat den Austritt Großbritanniens aus der EU beantragt. Wie geht es nun weiter? Von rüstigen Briten in der EU, Grenzfragen und offenen Rechnungen.

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UK Anti-Brexit Kundgebung 'Unite for Europe'
Bild: picture-alliance/ZUMAPRESS.com/J. Goodman

Neun Monate ist es inzwischen her, dass die Briten per Referendum entschieden haben: Wir verlassen die EU. Seitdem wird viel diskutiert, viel spekuliert, wie der sogenannte "Brexit" genau vonstatten gehen soll. Mit dem Auslösen von Artikel 50 hat Premierministerin Theresa May den ersten Schritt getan. Die Verhandlungen zwischen London und Brüssel gehen jetzt erst richtig los.

1. Worüber wird verhandelt?

Schon an diesem Punkt scheiden sich die britisch-europäischen Geister. Denn während Brüssel nur den Trennungsprozess verhandelt sehen will, könnte London versuchen, Forderungen für die Zeit danach zu stellen. Brisant wird das insbesondere beim Thema Handel. Denn sobald Großbritannien kein Teil des Binnenmarkts mehr ist, muss es einen neuen Handelsvertrag mit der Europäischen Union aushandeln. Außerdem müssen die Briten einzelne Verträge mit Drittstaaten schließen, mit denen sie bislang über die EU verbunden waren. Das soll nach Brüsseler Willen aber erst passieren, wenn die Scheidung vollzogen ist.

EU-Renter an der Costa Blanca
EU-Rentner in Spanien: Für hunderttausende Briten steht der Aufenthaltsstatus auf dem SpielBild: picture-alliance/NurPhoto/M. Fludra

Zuerst wird vermutlich das Schicksal der drei Millionen EU-Bürger in Großbritannien und das der gut 900.000 Briten in EU-Ländern auf den Tisch kommen. Sie müssten schlimmstenfalls ihre Staatsangehörigkeit aufgeben und würden damit ihr Recht auf Gesundheitsfürsorge und Rente verlieren. Für die britischen Pensionäre an der spanischen Costa del Sol könnte es dann heißen: Koffer packen. Rund ein Drittel der Exil-Briten lebt in Spanien.

2. Wie viel Geld schuldet die britische Regierung der EU?

Welcher Punkt als nächstes auf der Tagesordnung stehen wird, ist noch unklar. Die EU will möglichst schnell über die Rechnung reden, die London in Brüssel noch offen hat. Die britische Premierministerin wollte das sensible Thema ganz ans Ende der Verhandlungen setzen. 

Brexit-Hauptakteure - Donald Tusk
Er wird die EU-Leitlinien für die Verhandlungen vorstellen: Ratspräsident Donald TuskBild: Getty Images/L. Neal

Es ist eine enorme Summe, die seit einigen Wochen durch die europäischen Zeitungen geistert: 60 Milliarden Euro. Insider sprechen schlicht von "The Bill". Ob die Rechnung wirklich so hoch ausfallen wird, weiß zum jetzigen Zeitpunkt niemand. So geht die britische Seite nur von 20 Milliarden Euro aus.

Fest steht: Großbritannien ist Verpflichtungen eingegangen, die am Tag des Austritts nicht plötzlich verfallen. Das betrifft zum Beispiel die Pensionen der EU-Beamten. Kommissionssprecher Margaritis Schinas erklärte die Situation so: "Das ist, als wenn man mit 27 Freunden in den Pub geht. Man bestellt eine Runde Bier, aber dann kann man nicht gehen, wenn die Party noch läuft. Man muss für die Runde bezahlen, die man bestellt hat."

3. Wer verfolgt welche Verhandlungsstrategie?

Viele Entscheidungsträger in Brüssel sind der Meinung, dass London die Nachteile des Austritts spüren soll. Ein Satz von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bringt diese Einstellung auf den Punkt: "Der Deserteur wird nicht mit offenen Armen empfangen." Ratspräsident Donald Tusk hat angekündigt, innerhalb von 48 Stunden nach Auslösung des Artikel 50 Leitlinien für die Verhandlungen mit den Briten herauszugeben. Ein Sondergipfel der 27 Staats- und Regierungschefs soll diese vier Wochen später absegnen.

Gemischte Reaktionen auf Brexit

Die Briten werden vermutlich versuchen, ihre Trümpfe möglichst gewinnbringend auszuspielen. Einer davon: die Rechte der drei Millionen in Großbritannien lebenden EU-Bürger. Die Lords im britischen Oberhaus hatten zunächst gefordert, diese schon vor Beginn der Verhandlungen zu garantieren. Aber damit hätte London eines der wenigen Druckmittel aus der Hand gegeben.

EU-Gipfel auf Malta Juncker und May
Zwei der Hauptakteure in den Brexit-Verhandlungen: Jean-Claude Juncker und Theresa MayBild: Getty Images/AFP/F. Monteforte

Böse Zungen behaupten außerdem, London könnte nach dem Motto "divide et impera" - teile und herrsche - vorgehen. Da wären zum Beispiel die zuletzt gegen die Europäische Gemeinschaft aufbegehrenden Polen, die sich gegebenenfalls instrumentalisieren ließen. Bei der 60-Jahr-Feier in Rom demonstrierten die Staats- und Regierungschefs allerdings ein anderes Motto: Einigkeit in Krisenzeiten.

4. Wer verhandelt die Bedingungen für den Brexit?

Die Verhandlungen führt im Auftrag des Ministerrates, also der 27 Mitgliedsstaaten, die Europäische Kommission. Das Europäische Parlament soll eingebunden werden, da die Abgeordneten ganz am Ende der Ausstiegs-Vereinbarung zustimmen müssen. Für die Brüsseler Abgeordneten wird der belgische Liberale Guy Verhofstadt in den Ring steigen, für den Rat Didier Seeuws. Für Schlagzeilen hat jedoch vor allem der Kandidat der EU-Kommission gesorgt: Michel Barnier. Die britische Tageszeitung "The Telegraph" nennt den Franzosen den "gefährlichsten Mann Europas", weil er als früherer Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen Bonus-Zahlungen für Manager deckeln wollte.

Auf britischer Seite gibt es ein eigens für den Brexit eingerichtetes Ministerium, das die Verhandlungen vermutlich übernehmen wird. Angeführt wird es von einem der prominentesten "Leave"-Vertreter: David Davis.

5. Wo verläuft künftig die EU-Außengrenze?

Das Grenzproblem wird sich in Irland stellen. Noch ist die Grenze zwischen Nordirland, das zum Vereinigten Königreich gehört, und der Republik Irland sehr durchlässig. Beide Staaten sind EU-Mitglieder. Glaubt man den Worten von Brexit-Minister Davis soll das auch so bleiben. Eine Frage beantwortet er jedoch nicht: Wie soll das gehen, wenn gleichzeitig die Einwanderung aus EU-Ländern unterbunden werden soll?

6. Wann werden die Verhandlungen abgeschlossen sein?

Offiziell heißt es: Nach zwei Jahren ist Schluss. So steht es auch in Artikel 50, der den Austritt aus der EU regelt. Andere Szenarien sind denkbar. Zum Beispiel könnten die Briten die Verhandlungen abbrechen - frei nach dem Motto: "No deal is better than a bad deal."

EU-Verhandler Guy Verhofstad, Didier Seeuws und Michel Barnier (AFF/Getty Images + picture-alliance/dpa)
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Kompliziert könnte es auch dann werden, wenn die nationalen Parlamente ein Mitspracherecht bekommen und einem Austritts-Abkommen zustimmen müssen. Das steht allerdings noch nicht fest. Ein neues Handelsabkommen für die Zeit nach dem Brexit muss von allen EU-Staaten ratifiziert werden. Allein das dürfte Monate dauern.

Eine Hintertür ist in den Verträgen der EU allerdings vorgesehen: Wenn sich London und Brüssel nach Ablauf der Frist von zwei Jahren nicht einigen können, gibt es die Möglichkeit, die Verhandlungen zu verlängern. Dem müssen jedoch alle 27 Staats- und Regierungschefs und Großbritannien zustimmen.

7. Was passiert danach?

Haben sich beide Seiten auf ein Austritts-Abkommen geeinigt, sind alle Übergangsregelungen getroffen und von allen Mitgliedsstaaten ratifiziert, wird es darum gehen, längerfristige Vereinbarungen zu treffen. Sir Ivan Rogers, bis vor kurzem Großbritanniens Botschafter bei der EU, rechnet damit, dass es rund zehn Jahre dauern könnte, bis neue Verträge ausgehandelt sind.

Die britische Regierungschefin Theresa May hingegen beschwört eine glorreiche Zukunft: Andere Länder stünden Schlange, um mit dem Vereinigten Königreich Freihandelsabkommen abzuschließen. Ken Clarke, konservativer Abgeordneter und einer der EU-Befürworter in Mays Partei, forderte diese Perspektive zuletzt mit einem Zitat aus Alice im Wunderland heraus: "Alles nur Fantasie?"

8. Können die Briten der EU erneut beitreten?

Ja, das regelt der berühmte Artikel 50 ebenfalls. In Absatz 5 heißt es lapidar, wer wieder rein möchte in den Klub, muss das Antragsverfahren für neue Mitglieder komplett durchlaufen. Auch das könnte wieder Jahre dauern. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat mehrfach in Interviews gesagt, er hoffe, die Briten kehrten eines Tages in den Schoß der Union zurück.