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Bundesverfassungsgericht beurteilt EU-Vertrag von Lissabon

30. Juni 2009

Das Urteil wird mit Spannung in ganz Europa erwartet: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verkündet an diesem Dienstag, ob der EU-Vertrag von Lissabon mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar ist oder nicht.

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Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts (Foto: dpa)
Der Zweite Senat unter Vorsitz von Andreas Voßkuhle (Mitte) fällt das UrteilBild: picture-alliance/ dpa

Nach der mündlichen Verhandlung, in der Gegner und Befürworter des EU-Vertrages ihre Argumente zwei Tage vortragen durften, waren sich die Beobachter nicht einig, wie die acht Richter des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts wohl entscheiden könnten. Der Berichterstatter des Senats, Udo di Fabio, stand bei der mündlichen Verhandlung im Februar dem Vertragswerk, das 23 EU-Staaten inzwischen ratifiziert haben, eher kritisch gegenüber.

Der Vorsitzende des Verfassungsausschusses im Europäischen Parlament, der Sozialdemokrat Jo Leinen, kann sich nicht vorstellen, warum der neue Vertrag nicht mit der deutschen Verfassung vereinbar sein sollte. "Aber ein Gerichtsverfahren hat auch immer die Unwägbarkeit, dass vielleicht ein hohes Gericht Bedingungen stellt oder Urteile fällt, die auch Blockaden bedeuten können," sagt Jo Leinen.

Gibt Deutschland seine Souveränität preis?

Peter Gauweiler (Foto: AP)
Abgeordneter Peter Gauweiler (CSU) klagt gegen LissabonBild: AP

Die Kläger führen an, dass der EU-Vertrag Deutschland dazu zwinge, souveräne Rechte, die im Grundgesetz garantiert seien, aufzugeben. Die deutsche Verfassung würde dem EU-Recht unterworfen. Das Bundesverfassungsgericht würde seine Kompetenzen verlieren. Dieses Argument ließ die Richter des Zweiten Senats natürlich aufhorchen. Der konservative Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler (CSU) fürchtet eine Entmachtung des deutschen Parlaments: "Durch die Konstruktion des Vertrages von Lissabon kann die Bundesregierung, wenn sie mit einem Vorhaben im Parlament scheitert, dieses in einen EU-Rat einbringen, eine Verordnung auf EU-Ebene erlassen." Der Volksvertretung bliebe in diesem Fall nur die Option, diese Verordnung zu vollziehen, bemängelt der Münchner Jurist Gauweiler.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble vertrat vor Gericht in Karlsruhe die Bundesregierung, die den Vertrag von Lissabon mit ausgehandelt hat. Für Schäuble ist klar, dass die europäische Integration eine Übertragung von Kompetenzen auf die EU erfordere. Die nationalen Verfassungen würden vom EU-Vertrag nicht ausgehebelt, sondern ausdrücklich geschützt.

Keine Entwertung der deutschen Verfassung

Das widerspreche auf keinem Fall dem deutschen Grundgesetz, denn das Grundgesetz sei schon von Anfang an auf europäische Einigung angelegt gewesen, meint Wolfgang Schäuble: "Es stand schon in der Präambel 1949, dass das damals noch geteilte Deutschland das Ziel hat, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinigten Europa dem Frieden der Welt zu dienen."

Wolfgang Schäuble (Foto: AP)
Die EU greife nicht nach zuviel Macht: Innenminister Schäuble verteidigt LissabonBild: AP

Von der Entmachtung des Bundesverfassungsgerichts könne keine Rede sein, so die Befürworter des Vertrages. Europa werde demokratischer, transparenter und sozialer als heute. Dieser Ansicht widerspricht ein weiterer Kläger, der Fraktionschef der Linkspartei im Bundestag. Oskar Lafontaine hält es für falsch, dass der Vertrag die Wirtschaftsordnung festschreibe, die gerade gescheitert sei. Der Vertrag biete zu wenig demokratische Mitwirkungsrechte, bemängelt der ehemalige sozialdemokratische Bundesfinanzminister Lafontaine: "Wir können Europa aber nur demokratisch bauen. Es darf nicht nur von Bürokraten und Regierungen bestimmt werden."

Ausgang offen?

Bei bisherigen Klagen gegen fundamentale EU-Verträge ist das Bundesverfassungsgericht nie den Argumenten der Kläger gefolgt. In seinem Urteil zum Vertrag von Maastricht aus dem Jahr 1993 hat das Gericht allerdings festgelegt, dass die deutschen Wähler einen ausreichenden Einfluss auf die Entscheidungen des Staatenbundes EU haben müssten. Ob dies beim aktuellen EU-Vertrag gewährleistet ist, wird man am 30. Juni 2009 wissen. Der Verfassungs- und Europarechtler Professor Jürgen Schwarze von der Universität Freiburg wagte im Interview mit der Deutschen Welle eine Prognose: "Es ist immer schwer, über den Ausgang von Gerichtsverfahren zu spekulieren. Ich glaube, dass der Vertrag die Hürde des Bundesverfassungsgerichts nehmen wird."

Eine politische Entscheidung dieser Tragweite könne vom Verfassungsgericht nur bei evidenten Verfassungsverletzungen gefasst werden, sagte Jürgen Schwarze. "Der Vertrag kann nicht aus politischen Gründen der Richter aufgehoben werden, sondern nur bei Verfassungsverletzungen. Und hier sehe ich keine Verfassungsverletzungen, die das Gericht zur Aufhebung berechtigen würden."

Polen, Tschechien und Irland fehlen noch

Angela Merkel unterzeichnet den Vertrag von Lissabon am 13.12.2007 (Foto: dpa)
Bundeskanzlerin Merkel unterzeichnete den Vertrag 2007 - ratifiziert ist er in Deutschland noch nichtBild: picture-alliance/ dpa

Würde der Lissabon-Vertrag ausgerechnet im größten EU-Mitgliedsland Deutschland endgültig gekippt, wäre der politische Schaden für die Europäische Union immens. Wahrscheinlich würde der Staatenbund dann in mehrere Gruppen von Ländern zerfallen, die mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten die europäische Integrationspolitik weiter verfolgen. Die EU der 27 Staaten, die ja noch die Balkanstaaten und die Türkei aufnehmen will, wäre vorerst erledigt.

In vier Staaten der Europäischen Union ist die Ratifizierung des neuen EU-Grundlagenvertrages noch nicht abgeschlossen: Polen, Tschechien, Irland und Deutschland. In Polen und Tschechien müssen die Präsidenten die entsprechenden Urkunden noch unterschreiben. In Irland muss das Volk im Oktober zum zweiten Mal abstimmen.

Der neue EU-Vertrag war im Dezember 2007 in Lissabon unterzeichnet worden. Er dient als Ersatz für die eigentlich angestrebte EU-Verfassung, die an Referenden in Frankreich und den Niederlanden gescheitert war.

Autor: Bernd Riegert
Redaktion: Sandra Voglreiter / Mareike Röwekamp

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