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Schengen eingeschränkt

Christoph Hasselbach 12. Juni 2012

Wer entscheidet, ob die EU-Staaten ihre eigenen Grenzen überwachen? Mit einer Notfallklausel haben die Innenminister festgelegt: die Länder selber. Das EU-Parlament droht mit einer Klage.

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Das Ortsausgangsschild von Schengen (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/ dpa

Auch bisher kann ein EU-Staat in bestimmten Fällen Grenzkontrollen vorübergehend wiedereinführen. Polen wird das beispielsweise bei der Fußball-Europameisterschaft tun, um Randalierer aus dem Ausland abzufangen. Auch bei unvorhergesehenen Ereignissen wie Naturkatastrophen oder Terroranschlägen ist das möglich. Dabei sieht der Schengen-Raum, dem fast alle EU-Staaten und sogar einige Nichtmitglieder angehören, routinemäßige Kontrollen gar nicht mehr vor. Kriterium für die Ausnahme ist, dass die öffentliche Ordnung in Gefahr ist. Die Entscheidung, wann dies der Fall ist, trifft der einzelne Staat. Und das soll nach dem Willen der meisten EU-Regierungen auch so bleiben.

Die EU-Innenminister haben bei ihrem Treffen in Luxemburg am Donnerstag (07.06.2012) ebenfalls durchgesetzt, dass auch Flüchtlingsströme als Grund für Grenzkontrollen gelten können. Zunächst hatten Flüchtlinge aus Nordafrika, die nach Italien kamen, die Regierungen beunruhigt. Inzwischen gilt vor allem Griechenland als Buhmann. Griechenland gelang es bislang nicht, seine Grenze zur Türkei zu sichern. Und da Griechenland zum Schengen-Raum gehört, können Flüchtlinge von Griechenland leicht auch in andere EU-Länder gelangen. "Die Zustände an der griechisch-türkischen Grenze zeigen, dass wir einen klaren Handlungsmechanismus brauchen", meinte die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner in Luxemburg.

Die polnisch-ukrainische Grenze bei Nach (Foto: AP)
Zur Fußball-EM kontrolliert Polen wieder seine GrenzenBild: AP

Beim Thema Sicherheit sind die Staaten empfindlich

Die Minister haben deshalb einen Notfallmechanismus für den Fall beschlossen, dass "außergewöhnliche Umstände das Funktionieren des Schengen-Raums insgesamt ohne interne Grenzkontrollen gefährden". Wichtig war dem deutschen Innenminister Hans-Peter Friedrich dabei: "Das letzte Entscheidungsrecht bleibt natürlich bei den Mitgliedsstaaten, denn wir sind verantwortlich für die Sicherheit unserer Bürger."

Der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich (Foto: dpa)
Deutschlands Innenminister Friedrich sagt: Das letzte Recht haben die StaatenBild: picture-alliance/dpa

Grundlage für eine Wiedereinführung von Grenzkontrollen soll zwar eine Empfehlung der Kommission und des gesamten EU-Ministerrats sein. Der betroffene Staat muss sich aber nicht daran halten. Friedrich weiß die Mehrheit seiner Kollegen auf seiner Seite. "Wir können nicht akzeptieren, dass jemand anderes über unsere Grenzkontrollen entscheidet", meinte etwa die schweizerische Innenministerin Simonetta Sommaruga, deren Land, obwohl außerhalb der EU, ebenfalls Schengen-Mitglied ist. 

Die Kommission auf verlorenem Posten

Die Meinung geht EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström dagegen völlig gegen den Strich. Sie beklagt sich über eine Schwächung des Schengen-Raums. "Falls wir Grenzkontrollen unter außergewöhnlichen Umständen wieder einführen müssen, muss das eine gemeinsame Entscheidung in der Europäischen Union sein, nicht eine, die die Mitgliedsstaaten selbst treffen können." Vergeblich hatte sie dafür gekämpft, dass die europäische Ebene die letzte Instanz bleibt. Dabei sagte sie immer wieder, die bisherigen Flüchtlingsströme könnten keinesfalls als Bedrohung der öffentlichen Ordnung gesehen werden. Malmström sieht dagegen etwas anderes bedroht, nämlich den freien Personenverkehr in Europa durch Missbrauch des Notfallmechanismus. Schengen sei eine "europäische Errungenschaft", die es zu verteidigen gelte. 

EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström (Foto: dapd)
EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström sieht Schäwchung des Schengen-RaumsBild: dapd

Das Europaparlament droht mit Klage

Deutschlands Minister Friedrich wiegelt dagegen ab. Wenn ein Staat die EU-Außengrenzen nicht mehr sichern könne, solle ihm zunächst die ganze EU beistehen. "Der Notfallmechanismus ist etwas, das nur ganz am Schluss, wenn alle Stricke reißen, als Ultima Ratio infrage kommt." Doch es geht vor allem um die Grundsatzentscheidung Gemeinschaftsmethode gegen Einzelstaatsentscheidung.

Die Kraftprobe mit der Kommission um neue Schengen-Regeln haben die Mitgliedsstaaten vorerst gewonnen. Das ist aber nicht unbedingt das Ende vom Lied. Die Staaten haben die Rechnung nämlich vielleicht ohne den Wirt Europaparlament gemacht. Das fühlt sich zu wenig an dem Entscheidungsprozess beteiligt und droht mit einer Klage. "Wir schlagen vor, den Europäischen Gerichtshof die Rechtslage überprüfen zu lassen", meinte in Brüssel Manfred Weber für die christdemokratische Fraktion. Weber hat pikanterweise ein CSU-Parteibuch wie Innenminister Friedrich - was wieder mal zeigt, dass Parteifreunde auf europäischer und nationaler Ebene durchaus sehr unterschiedlich denken können.