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Schindlers Lager soll in Mähren auferstehen

22. März 2002

- Steven Spielberg machte "Schindlers Liste" weltberühmt - Originalschauplatz will davon profitieren

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Prag, 21.3.2002, PRAGER ZEITUNG, deutsch, Gerd Lemke

"Eintrittskarten für das Konzentrationslager, neue Touristenattraktion, Leute kommt und erlebt hautnah den Schrecken des Holocaust, ein Wochenende Zwangsarbeit für hundert Kronen!"

Was wie eine absurde Parodie klingt, könnte bald in Mähren wahr werden. Denn die Gemeinde Brnenec arbeitet an Plänen, ein früheres Konzentrationslager als Touristenattraktion aufzubauen. Allerdings handelt es sich dabei nicht um irgendeinen der vielen Orte, an dem Nationalsozialisten ihre Gegner gefoltert, gequält und umgebracht haben. Brnenec ist der Ort, wo Oskar Schindler in seiner Emaille-Fabrik rund 1200 Juden das Leben gerettet hat.

Weltberühmtheit erlangte die Begebenheit aus den letzten Kriegsjahren durch den Film von Steven Spielberg "Schindlers Liste." Sieben Oscars gewann die großangelegte Produktion. Das hat Mitte der 90er Jahre Touristen in den kleinen mährischen Ort geführt, welche die Originalschauplätze besichtigen wollten. Nicht zu ungetrübter Freude aller. Denn die legendäre Fabrik steht zwar heute noch immer, jedoch werden dort andere Dinge hergestellt als Besteck und Granatenzünder für die Wehrmacht. Die Firma Vitka produziert dort Garn und beschäftigt 450 Arbeitskräfte. Sie ist damit größter Arbeitgeber in einem industriell geprägten Ort.

Eine weitere Fabrik stellt Kunstseidewaren her, eine andere Metallkonstruktionen. "Wir haben 700 bis 800 Arbeitsplätze hier am Ort bei 1400 Einwohnern", erklärt der Bürgermeister Radek Dirr nicht ohne Stolz. Denn die Arbeitslosigkeit ist mit 6,5 bis 7 Prozent verhältnismäßig niedrig für das eher strukturschwache Mähren.

Der 38-Jährige gehört keiner Partei an - wie übrigens die meisten Mitglieder der Gemeindevertretung. Er brachte den Vorschlag auf, eine Gedenkstätte aufzubauen. Derzeit wird an einem Konzept gearbeitet, mit dem Brnenec auf Sponsorensuche gehen kann. "Wir rechnen derzeit mit 15 bis 20 Millionen Kronen", schätzt Dirr die Größenordnung des Projektes ein. Er hofft auf Unterstützung seitens der Europäischen Union oder der Jüdischen Gemeinde.

Wie die Gedenkstätte aussehen wird, ist aber derzeit noch unklar. Zwei oder drei Wachtürme, von denen aus das ganze Gelände überstrahlt werden kann, sollen auf jeden Fall aufgestellt werden. Möglicherweise wird das Lazarett, von dem nur noch Trümmer erhalten sind, wieder aufgebaut. Ob jedoch die Fabrik in dieses Konzept eingebunden werden kann, scheint mehr als fraglich.

"Bisher hat der Bürgermeister mit mir noch nicht darüber gesprochen", erklärt der Direktor von Vitka, Frantisek Olbert. Er wisse aber selbstverständlich von dem Vorhaben, denn "einige Mitglieder der Gemeindevertretung arbeiten bei Vitka." Auch Bürgermeister Dirr hat noch keinen konkreten Lösungsvorschlag. Denn er will natürlich auch nicht, dass der größte Arbeitgeber am Ort abwandert. Jedoch ist gerade die Fabrik wie gemacht für eine Gedenkstätte, denn "hier hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg nichts verändert", wie ein Arbeiter von Vitka erzählt.

Oskar Schindler könnte zwar den kleinen Ort berühmt machen, doch ranken sich um seine Person gerade in Tschechien vermehrt Zweifel. Denn der umtriebige Lebemann - übrigens im nur wenige Kilometer von Brnenec entfernten Svitavy (Zwittau) geboren - gilt in Tschechien auch als Landesverräter. Er arbeitete 1937 für den deutschen Spionagedienst Abwehr und wurde ein Jahr später des Hochverrats überführt. Einzig das Münchner Abkommen und die Besetzung der tschechischen Teile der Tschechoslowakei durch die Wehrmacht bewahrte Schindler vor der Hinrichtung.

Nach dem Polenfeldzug tauchte Schindler in Krakau auf und leitete eine Fabrik für Emaillegefäße, die er direkt an die Wehrmacht lieferte. Zur Arbeit wurden die Juden aus dem Krakauer Getto eingesetzt. 1943, nach Zerschlagung des Gettos, siedelte Schindler mit der Fabrik in die Nähe des Konzentrationslagers Plaszow um. Dort entstand dann die berühmte "Schindler-Liste." Schindler verlegte ein Jahr später seine Fabrik, die als "kriegswichtig" galt, ins ruhigere Mähren. Dorthin nahm er fast 1200 Juden mit, die er als unabkömmliche Arbeitskräfte deklarierte und so vor dem sicheren Tod bewahrte.

Weit gehen die Meinungen über Schindler auseinander, der in Israel hohes Ansehen genoss. Er durfte 1963 in der Allee der Gerechten in Jerusalem einen Olivenbaum pflanzen und galt seither als "Gerechter unter den Völkern." Außerdem wurde Schindler in Israel begraben. Auch von den geretteten Juden sind durchweg lobende Worte zu hören.

Jedoch erhebt die Historikerin Jitka Gruntova schwere Vorwürfe gegen Schindler. Es sei eine Schande, dass dieser Nazi in Svitavy eine Gedenktafel habe. "Oskar Schindler hat in Brnenec in Wirklichkeit keine Gefangenen gerettet", fährt Gruntova schweres Geschütz gegen Schindler auf.

Auch Bürgermeister Dirr geht mit der historischen Figur eher vorsichtig um. "Wir wissen nicht, wie man es nennen soll, aber entschieden nicht Schindler-Gedenkstätte. Wir wissen, welche unterschiedlichen Meinungen über seine Person existieren. Die Wahrheit wird irgendwo in der Mitte liegen", erklärt Dirr.

Allerdings, wenn Spielberg aus Schindler nicht den am Ende Guten gemacht hätte, wäre Hollywood nicht Hollywood, hätte "Schindlers Liste" nicht sieben Oscars gewonnen - und wären auch keine Schaulustigen nach Brnenec gekommen. (ykk)