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Schläge gegen den Alkohol

Stephan Hille, Moskau26. April 2005

Der Wodka gibt und der Wodka nimmt, heißt es in Russland. Laut offizieller Statistik sterben pro Jahr rund 40.000 Russen an den Folgen von Alkoholmissbrauch. In Russland ist Alkoholismus die Volkskrankheit Nummer Eins.

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Stephan Hille

So verbreitet der Missbrauch, so vielfältig die Methoden, die auf dem russischen Markt der Möglichkeiten angeboten werden, um die Trinksucht zu heilen. Manche versuchen es mit Hypnose, andere lassen sich ein Mittelchen injizieren, das dafür sorgen soll, dass dem Patienten fürchterlich schlecht wird, falls er sich doch ein Gläschen genehmigt.

Eiskalte Gewalt

Russische Zeitungen berichteten kürzlich von einem neuen Ansatz zur Heilung der Alkoholabhängigkeit. "Sibirische Methode" heißt die Therapie; vielleicht der letzte Rettungsanker, für diejenigen, die bislang erfolglos gegen Sucht und Laster angekämpft haben.

"Sibirien" - ein Hauch von Entbehrung und Leiden schwingt mit. Und in der Tat: Schläge auf den Hintern sind das, was Wissenschaftler in Nowosibirsk als viel versprechendes Mittel gegen Alkoholismus preisen und auch praktizieren. Das Prinzip ist einfach, wie die Psychiaterin Marina Tschukrowa der "Moscow Times" erklärte. In einer dreiwöchigen Therapie erhält der Patient mindestens 300 Schläge pro Woche mit der Rute auf das nackte Hinterteil. Die weitere Dosierung hängt von den eigenen Wünschen des Suchtkranken ab. Frau Tschukrowa empfiehlt jedoch mindestens eine "Sitzung" mit Schlägen auf das Sitzfleisch pro Monat.

Glück durch Schmerzen

Nein, mit sadomasochistischen Trieben habe ihre Methode nichts zu tun. Vielmehr mangele es Suchtkranken an den Glückshormonen, die Schläge auf den Hintern führen dazu, dass "die Patienten ihren eigenen Körper spüren". Als natürliche Folge sinke bei den Behandelten das Verlangen nach Hochprozentigem und Drogen. Geschlagen werde, so versichert Tschukrowa, auch nicht bis aufs Blut, sondern höchstens bis zum Bluterguss.

"Billig und effizient"

Wissenschaftlich müsste der Erfolg der "Rutenkur" noch bewiesen werden, doch Tschukrowa hat bislang auf eine wissenschaftliche Veröffentlichung ihrer Methode bewusst verzichtet. Zu groß seien das Misstrauen und die Zweifel der akademischen Kollegen.

Dennoch ist die Psychiaterin, die sich bereits seit zwanzig Jahren mit der Therapie von Suchtkranken beschäftigt, von ihrem Heilansatz überzeugt: "Die Methode ist billig, effizient und seriös." Vor allem aber helfe die Methode, ihre Patienten zu heilen. Bereits seit zwei Jahren geht die Psychiaterin mit der Rute und gemeinsam mit einem Wissenschaftler von einem medizinischen Institut in Nowosibirsk gegen die Suchtkrankheiten ihrer Patienten vor. Von insgesamt zehn Patienten seien noch sechs in Behandlung.

"Das Ergebnis zählt"

Einer von ihnen, Alexej, war nach eigener Darstellung eine hoffnungslose Trinkerseele, bis er vor ungefähr einem Jahr auf die Psychiaterin mit der rauen Rute traf. "Natürlich fühlt man sich wie ein Idiot, wenn man den Hintern versohlt bekommt", gestand der dem Reporter. Doch bereits am ersten Tag danach, habe er schon keinen Wunsch mehr nach Alkohol verspürt. Inzwischen sei er "trocken", doch über seine Therapie redet er nur ungern. "Nicht der Weg", sagt er, "sondern das Ergebnis zählt".