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Sachsen-Anhalt

Peter Hille

Früher arbeiteten im Sachsen-Anhaltinischen Chemie-Dreieck zwischen Leuna, Schkopau und Bitterfeld einmal 120.000 Menschen - bis die DDR zusammenbrach. Seitdem kämpft man um neue Arbeitsplätze und um die Zukunft.

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Natürlich kennt auch Karlheinz Kiesling diesen Spruch. "Wir stehen früher auf. Sachsen-Anhalt." Damit wirbt das Bundesland für sich, seit eine Studie ergeben hat, dass die Sachsen-Anhaltiner die Frühaufsteher der Nation sind. "Heute stimmt's", sagt Kiesling, "um vier Uhr hat mein Wecker geklingelt. Schließlich geht die Frühschicht um Punkt sechs Uhr los."

Früher aufstehen in Sachsen-Anhalt

Das Hauptgebäude im Werk der Leuna-Harze
Das Hauptgebäude im Werk der Leuna-HarzeBild: DW/Peter Hille

Karlheinz Kiesling ist Chemiearbeiter. Im Werk der Leuna-Harze bei Halle an der Saale überwacht er die Produktion von 120 Tonnen Epoxidharzen täglich. Epoxidharze? "Das ist ein Stoff, mit dem zum Beispiel Beton versiegelt wird", erklärt Kiesling. "Auf dem Bau ist das wichtig. Aber unsere Harze werden auch zum Verkleben von Rotorblättern für Windkraftanlagen verwendet, und für die Kunststoffteile in Autos. Das ist eine Art Klebstoff für die Industrie."

Im Blaumann und mit gelbem Schutzhelm macht Kiesling seinen Kontrollgang durch die Produktionsanlage. Auf vier Stockwerken mit der Grundfläche einer Turnhalle herrscht ein kaum zu durchblickendes Gewirr von silbern glänzenden Stahlrohren, großen Kesseln und bunten Leitungen. Man hört nur das Pfeifen der Ventile, ein Rauschen in den Rohren. Abgesehen von Kiesling ist hier kein Mensch zu sehen.

Strukturwandel in vollem Gange

Karlheinz Kiesling
Hatte Glück: Karlheinz KieslingBild: DW/Peter Hille

"Früher waren wir bestimmt 40 Mann in so einer Anlage", sagt Kiesling und rückt seinen gelben Helm zurecht. "Aber heute ist eben alles automatisiert, da braucht man wenig Personal." Früher, das war in den 1970er Jahren, als Kiesling seine Karriere in der staatlich gelenkten Chemieindustrie der DDR begann. Kiesling zeigt auf die riesigen freien Flächen ringsum. "Hier war mal jeder Quadratmeter bebaut. Aus allen Rohren dampfte es, aber dann kam die Abrissbirne. Zehntausende Kollegen waren von heute auf morgen ihren Job los."

Viele gingen in den Westen

Denn nach dem Zusammenbruch der DDR 1990 konnten sich die meisten Betriebe in der freien Marktwirtschaft nicht mehr halten. "Das war hart, mit ansehen zu müssen, wie hier eine Firma nach der anderen vor die Hunde ging", sagt Kiesling. Auch er verlor seine Arbeit. "Viele sind in den Westen gegangen. Aber das wollte ich nicht, schließlich habe ich hier ein Haus gebaut, habe einen Garten. Ich gehöre hier her."

Im Westen das Glück suchen?

Auch das ist Halle
Auch das ist HalleBild: DW/Peter Hille

Nach einem Jahr fand Kiesling schließlich wieder einen neuen Job. Doch viele seiner Kollegen hatten weniger Glück. "Aber es geht aufwärts", sagt Kiesling. "Viele der Flächen hier sind schon wieder verpachtet. Und in Sachsen-Anhalt haben sich mittlerweile auch viele Solar- und Biotechnik-Firmen angesiedelt." Nach zwölf Stunden Arbeit ist seine Schicht für heute beendet. Ab nach Hause, und möglichst schnell ins Bett? Nein, er hat noch etwas vor. Kiesling fährt zur Volkshochschule nach Naumburg, nach Feierabend nimmt er hier einmal wöchentlich Englischkurse. "In diesem Gebäude hab ich schon als Kind die Schulbank gedrückt, das war meine Grundschule. Und schlafen kann ich immer noch, wenn ich in Rente bin."