1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Schlaflieder und der Ursprung von Musik

Madeleine Amberger (sams)8. September 2005

Musik ist ein universeller Bestandteil unseres sozialen und emotionalen Lebens. Doch wie, wann und warum sie entstand, ist unklar. Eine These: Musik könnte ein Evolutionsvorteil gewesen sein.

https://p.dw.com/p/78oe
Ein wenig übertrieben an sich aber eine gute IdeeBild: dpa

Was sind die Ursprünge der Musik? Was macht den Menschen zu einem musikalischen Tier? Erst in den letzten Jahren interessiert sich die Wissenschaft für diese Fragen. Die Erforschung der musikalischen Welt von Neugeborenen scheint dabei eine der viel versprechendsten Ansätze zu sein: Unsere engsten Verwandten, Gorillas und Schimpansen, haben keinen Sinn für Musik, menschliche Babys aber schon. Werden Menschen schon musikalisch geboren?

Babys haben es, Schimpansen nicht

Studien haben nachgewiesen, dass sechsmonatige Babys auf harmonische Musik wie zum Beispiel Mozart positiver reagieren als auf dissonante. Kommen wir also mit einem musikalischen Gehör zur Welt?

Manche Wissenschaftler bezweifeln dies. Für sie gibt es keine "naiven", musikalisch quasi "leeren" Neugeborenen. Schließlich könne ein Fötus schon im Mutterleib Musik hören und werde davon geprägt. Die Psychologin Sandra Trehub von der Universität Toronto, über viele Jahre eine der profiliertesten Forscherinnen zum Thema, glaubt nicht an die große Bedeutung des pränatalen Lernens: Babys würden nach der Geburt zwar eindeutig positiver auf spezielle "Babysprache" reagieren, bei Tests vor der Geburt sei dies aber nicht nachzuweisen.

Baby träumt
6 Monat altes Baby träumtBild: Illuscope

"Babysprache" ist deutlich langsamer und melodischer als Erwachsenensprache - und ähnelt in Rhythmus, Tempo und Klangfarbe Schlafliedern. Und sowohl Schlaflieder als auch Babysprache sind universell, sagt Laurel Trainor von der Canada's McMaster University. Die langsame, vom Tonfall fast singende Babysprache, die Erwachsene gegenüber Kleinkindern automatisch sprechen, lässt nach Tainors Meinung Rückschlüsse zu: "Die Verarbeitung von Sprache und Musik ist im frühkindlichen Hirn noch ähnlicher als später", sagt Trainor. "Dies weist daraufhin, dass Musik und Sprache den selben Ursprung haben. Einige behaupten, es habe Proto-Sprache und Proto-Musik gegeben, bevor sich diese beiden Systeme getrennt haben."

Darwin und die Proto-Musik

Keine neue Idee: Die Vorstellung von Musik als Vorläufer der Sprache geht zurück auf den Vater der Evolutionstheorie, Charles Darwin. Die frühen menschlischen Äußerungen haben demnach vor allem zur Übermittlung von Emotionen gedient - gerade auch beim Aufwachsen. "Als wir gelernt haben aufrecht zu gehen, konnten wir die Babys nicht mehr mit uns herumtragen. Wir mussten unsere Babys ablegen, um unsere Hände benutzen zu können - die meisten Tiere tun dies nicht", sagt Tainor. "Um mit dem Kind trotzdem in Kontakt zu bleiben, brauchte man etwas, um die Distanz zu überwinden - Proto-Musik konnte dies leisten."

Babys können ihre Emotionen noch nicht selbst steuern. Ein Schlaflied kann dies. Wenn ein Baby hingelegt wird, kann ein Lied oder eben Babysprache eine akustische Verbindung weiter aufrechterhalten, die das Kind beruhigt. Und natürlich wird dieses Baby weniger wahrscheinlich anfangen zu schreien. In Urzeiten hätte das Babygeschrei vielleicht Raubtiere angelockt. Mit anderen Worten: Schlaflieder könnte die Chance zu Überleben deutlich erhöht haben - und somit die Musikalität des Menschen ein früher Selektionsvorteil gewesen sein.