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Politik

Die große Schlammschlacht

9. Oktober 2017

Es geht ruppig zu vor der anstehenden Nationalratswahl in Österreich. Vor allem die Mitglieder der großen Koalition in Wien beharken sich gegenseitig. Davon profitiert vor allem die rechtspopulistische FPÖ.

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Deutschland Dreckschweinfest in Hergisdorf, Sachsen-Anhalt
Bild: picture-alliance/dpa/H. Schmidt

Über das zahme sogenannte Fernsehduell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz vor der Bundestagswahl können die Österreicher nur lachen. Wie in Deutschland bis zur Wahl im September haben auch die Österreicher eine große Koalition, im Unterschied zu Deutschland allerdings unter sozialdemokratischer Führung. Aber im Gegensatz zu Deutschland liefern sich Österreichs SPÖ-Kanzler Christian Kern und sein Vizekanzler und Außenminister Sebastian Kurz in diesen Wochen eine wahre Schlammschlacht. Der Wahlkampf gilt als der schmutzigste, den das Land seit dem Krieg erlebt hat. "Die Auseinandersetzungen haben eine Dimension erreicht, die dem Publikum nicht mehr zumutbar ist", sagte Kern am Sonntag im ORF-Fernsehen, obwohl er selbst kräftig dabei mitmacht.

Aufgeladen ist die Stimmung ohnehin. Wie in anderen europäischen Ländern hat die Migrationswelle auch Österreich aufgewühlt und Ausländerfeinden Auftrieb gegeben. Bei der Wahl des Bundespräsidenten im vergangenen Jahr hatte zunächst der Grünenkandidat Alexander Van der Bellen nur hauchdünn gegen Norbert Hofer von der rechtspopulistischen FPÖ gewonnen. Als die Wahl wegen Unregelmäßigkeiten im Dezember wiederholt werden musste, siegte jedoch Van der Bellen mit knapp 60 Prozent deutlich. Das Land schien sich danach ein wenig zu beruhigen, zumal der Sozialdemokrat Christian Kern solide und undogmatisch regierte.

Österreich Kurz und Kern im Parlament in Wien
Das Tischtuch ist schon halb zerschnitten zwischen Bundeskanzler Kern (r.) und Außenminister KurzBild: Reuters/L. Foeger

Die Silberstein-Affäre

Doch dann traf die SPÖ-Führung eine Entscheidung, die sie noch bitter bereuen sollte: Sie engagierte den israelischen Wahlkampfberater Tal Silberstein. Der hat sich international als Spezialist für Negativkampagnen einen Namen gemacht, einen zweifelhaften, wie sich dann herausstellte. Silberstein soll hinter gefälschten Facebook-Seiten mit rassistischen und antisemitischen Inhalten stehen, mit denen ÖVP-Chef Sebastian Kurz fertiggemacht werden sollte. Als Silberstein im August in Israel wegen des Verdachts auf Geldwäsche, Untreue und Behinderung der Justiz festgenommen wurde, beendete die SPÖ die Zusammenarbeit mit ihm. Doch es war zu spät. Kern behauptete, von der Aktion nichts gewusst zu haben, außerdem habe die ÖVP Silberstein bestochen und die SPÖ ausspioniert. Doch der Schaden für die Sozialdemokraten durch die Silberstein-Affäre ist immens und das Vertrauen zwischen den Regierungspartnern zerstört.

Die Stimmung in der Wiener Koalition ließ sich in einem Fernsehduell am Sonntagabend zwischen Kern und dem 20 Jahre jüngeren Kurz besichtigen. "Hassduell" nennt es die Boulevardzeitung "Österreich". Darin sagte Kern zu Kurz: "Tun Sie nicht so, als wenn Sie das Opferlamm wären", während Kurz dem Kanzler vorwarf, seinen Umgangston nicht im Griff zu haben: "Sie hören ja gar nicht auf, mich immer weiter anzupatzen."

Die FPÖ als lachender Dritter

Vor diesem Hintergrund klingt es ein wenig hilflos, wenn Kern in der Tageszeitung "Die Presse" gleichzeitig versucht, eine neue große Koalition nicht ganz abzuschreiben: "Ich habe die ÖVP mehrfach gewarnt, sie sollen das Tischtuch nicht zerschneiden." Die ÖVP führt nun in den Umfragen deutlich. Das hat auch viel mit Sebastian Kurz zu tun. Der smarte, stets frischgegelte Kurz hat aus der etwas verstaubten Altherrenpartei eine ganz auf sich selbst zugeschnittene "Bewegung" mit vielen Quereinsteigern gemacht. Mit einer konsequenten Anti-Einwanderungspolitik spricht er dazu eine verbreitete Meinung an, die gut zur noch radikaleren FPÖ passt. Mit den Freiheitlichen würde Kurz denn auch eine Koalition schmieden. Die FPÖ liegt in den Umfragen etwa gleichauf mit der SPÖ. Sie profitiert als lachender Dritter von der Schlammschlacht der Großkoalitionäre.

Deutschland Frauke Petry und Heinz-Christian Strache auf der Zugspitze
FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hatte sich gut mit der ehemaligen AfD-Chefin Frauke Petry verstandenBild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Ein Bund zwischen Konservativen und Rechtspopulisten wäre keineswegs neu in Österreich. Einen solchen hat es schon in den 2000er Jahren auf Bundesebene gegeben. Auf Landesebene arbeitet selbst die SPÖ inzwischen mit den Freiheitlichen zusammen. Das Tabu ist also längst gebrochen. Sollte Kurz tatsächlich Kanzler werden, hat er schon vorsorglich eher niedrige Hürden für einen Koalitionspartner FPÖ aufgebaut. Die FPÖ muss sich demnach nur von der Idee eines Ausstiegs Österreichs aus der EU verabschieden. "Der Wille, Europa zum Besseren zu gestalten, die Absage an das Liebäugeln mit dem Öxit, das muss klares Ziel der nächsten Regierung sein", so Kurz in der Tageszeitung "Kurier". Ihre europapolitische Rhetorik hat die FPÖ bereits gemäßigt und empfiehlt sich damit als Regierungspartei. Strache selbst tritt inzwischen moderat und staatsmännisch auf.

Wo bleibt der Anstand?, fragt der Caritas-Präsident

Bezeichnend für die Stimmung waren auch die beiden sehr unterschiedlichen Fernsehduelle am Sonntagabend. Im Gegensatz zu der aggressiven Begegnung zwischen Kurz und Kern fassten sich Kurz und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache anschließend mit Samthandschuhen an. Kurz prophezeite dem Konkurrenten sogar: "Es wird ein tolles Ergebnis für die FPÖ geben." Alles deutet demnach auf eine ÖVP-FPÖ-Koalition hin. 

Doch manche befürchten bereits, dass der schmutzige Wahlkampf das Land beschädigen könne. Der österreichische Caritas-Präsident Michael Landau sagte der "Kronen-Zeitung": "Wenn das so weitergeht, befürchte ich einen echten Schaden für unsere Demokratie." Es gehe "um Grundhaltungen wie Zusammenhalt, Respekt, Ehrlichkeit und ein Mindestmaß an Anstand", so Landau. Nach Einschätzung des Wiener Politologen Hubert Sickinger hat das auch mit dem Aufstieg der FPÖ unter ihrem früheren Vorsitzenden Jörg Haider zu tun. Der Ton sei seitdem schärfer geworden. In der "Süddeutschen Zeitung" sagte Sickinger kürzlich: "Haider hat 'Wir gegen die da oben' und die Anti-Ausländer-Politik institutionalisiert." Seitdem sei diese "schrille Rhetorik" auf der Tagesordnung. "Das ist ganz anders als in Deutschland, wo Populismus im Wahlkampf ein eher neues Phänomen ist."

 

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik